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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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So konnten denn die Reformatoren schon ein enges Band zwischen
Staat und Kirche knüpfen, und es fehlte nicht an Rechtstiteln für die Auf¬
gaben, Vollmachten und Pflichten, welche sie der Obrigkeit überantworteten.
Die Obrigkeit ist die Hüterin der beiden Tafeln des Gesetzes, insofern dasselbe
die äußere Zucht fordert, und hat als solche ihre Unterthanen in der Wahr¬
heit des Evangeliums und für sie zu erziehen. Dazu verpflichtet sie auch ihre
Stellung als (praeeipuum insmbruw eeelösias) hervorragendes Glied der christ¬
lichen Gemeinde. Und denselben Beruf giebt ihnen ihr Amt, die Grundlagen
der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Denn diese hat in der Begründung
und Pflege der wahren Gotteserkenntniß ihre wichtigste Ausgabe zu erblicken.
Das ist die kirchenpolitische Theorie Melanchthon's.*) "Staat und Kirche
sind ihm zwei Hälften eines Ganzen, die Kirche soll die innere freie An¬
eignung, der Staat die äußere nothwendige Darstellung des Evangeliums
verwirklichen. Kirche und Staat sind zu gleichen Zielen berufen, wenn sie
dieselben auch in verschiedener Weise erreichen. In der Kirche tritt die innere,
im Staate die äußere Seite des Evangeliums in die Erscheinung."**)

So tritt denn auch in den späteren kirchenpolitischen Theorien immer mit
Rücksicht auf die sittlichen Aufgaben des Staats die Obrigkeit als status
politious neben den Status eedesiastieus und oseonoinieus.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die protestantische Kirche und die protestan¬
tische kirchenpolitische Theorie die sittlichen Kräfte des Staats überschätzt und
eben daher Aufgaben gestellt haben, deren Lösung außerhalb seiner Compe-
tenz liegt. So lange der status Lcelosiustieus der Kirchenpolitik des
Staats die innere Richtung gab, hatte die Kirche wenig Anlaß, sich über un¬
günstige Folgen zu beklagen. Dies änderte sich, als der stg-tus seelssiustieus
Seite geschoben wurde, und der Staat ohne ihn die ihm zuerkannten
Zechte auszuüben unternahm. Denn das war allerdings die bald stillschwei¬
gende bald ausgesprochene Voraussetzung sowohl der Reformatoren wie der
hervorragenden Lehrer der protestantischen Kirche in den folgenden Generationen
gewesen, daß die Kirchenpolitik gemäß dem Rathe des solus "zeelesiastieus
geschehe. Diese Voraussetzung beseitigte der Territorialismus und identifizirte
schlechthin Kirche und Staat. Hugo Grotius legte die gesammte Kirchengewalt
^s einen Theil der Souveränität in die Hände des Staatsoberhauptes, und
Hobbes erklärte den Souverän für den obersten Pastor, dessen Diener die
Adrigen Pastoren ebensowohl seien, wie alle weltlichen Beamten. Und der
^ollegialismus, der prinzipiell die Selbständigkeit der Kirche gewährleistete,
konnte doch die Mission, die ihm zugefallen war, nicht lösen, da er durch die




') vo M'L rswrmaucli (1S37) o. R. III, 24" u. d. f.
vgl. den Aufsah des Verf.: Die Illusionen der Reformatoren über die kirchlichen
"pctcnze" des Staates. Ev. Gemeindeblatt (f. d. Provinz Preußen.) ,872. Na>. 23.

So konnten denn die Reformatoren schon ein enges Band zwischen
Staat und Kirche knüpfen, und es fehlte nicht an Rechtstiteln für die Auf¬
gaben, Vollmachten und Pflichten, welche sie der Obrigkeit überantworteten.
Die Obrigkeit ist die Hüterin der beiden Tafeln des Gesetzes, insofern dasselbe
die äußere Zucht fordert, und hat als solche ihre Unterthanen in der Wahr¬
heit des Evangeliums und für sie zu erziehen. Dazu verpflichtet sie auch ihre
Stellung als (praeeipuum insmbruw eeelösias) hervorragendes Glied der christ¬
lichen Gemeinde. Und denselben Beruf giebt ihnen ihr Amt, die Grundlagen
der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Denn diese hat in der Begründung
und Pflege der wahren Gotteserkenntniß ihre wichtigste Ausgabe zu erblicken.
Das ist die kirchenpolitische Theorie Melanchthon's.*) „Staat und Kirche
sind ihm zwei Hälften eines Ganzen, die Kirche soll die innere freie An¬
eignung, der Staat die äußere nothwendige Darstellung des Evangeliums
verwirklichen. Kirche und Staat sind zu gleichen Zielen berufen, wenn sie
dieselben auch in verschiedener Weise erreichen. In der Kirche tritt die innere,
im Staate die äußere Seite des Evangeliums in die Erscheinung."**)

So tritt denn auch in den späteren kirchenpolitischen Theorien immer mit
Rücksicht auf die sittlichen Aufgaben des Staats die Obrigkeit als status
politious neben den Status eedesiastieus und oseonoinieus.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die protestantische Kirche und die protestan¬
tische kirchenpolitische Theorie die sittlichen Kräfte des Staats überschätzt und
eben daher Aufgaben gestellt haben, deren Lösung außerhalb seiner Compe-
tenz liegt. So lange der status Lcelosiustieus der Kirchenpolitik des
Staats die innere Richtung gab, hatte die Kirche wenig Anlaß, sich über un¬
günstige Folgen zu beklagen. Dies änderte sich, als der stg-tus seelssiustieus
Seite geschoben wurde, und der Staat ohne ihn die ihm zuerkannten
Zechte auszuüben unternahm. Denn das war allerdings die bald stillschwei¬
gende bald ausgesprochene Voraussetzung sowohl der Reformatoren wie der
hervorragenden Lehrer der protestantischen Kirche in den folgenden Generationen
gewesen, daß die Kirchenpolitik gemäß dem Rathe des solus «zeelesiastieus
geschehe. Diese Voraussetzung beseitigte der Territorialismus und identifizirte
schlechthin Kirche und Staat. Hugo Grotius legte die gesammte Kirchengewalt
^s einen Theil der Souveränität in die Hände des Staatsoberhauptes, und
Hobbes erklärte den Souverän für den obersten Pastor, dessen Diener die
Adrigen Pastoren ebensowohl seien, wie alle weltlichen Beamten. Und der
^ollegialismus, der prinzipiell die Selbständigkeit der Kirche gewährleistete,
konnte doch die Mission, die ihm zugefallen war, nicht lösen, da er durch die




') vo M'L rswrmaucli (1S37) o. R. III, 24» u. d. f.
vgl. den Aufsah des Verf.: Die Illusionen der Reformatoren über die kirchlichen
»pctcnze» des Staates. Ev. Gemeindeblatt (f. d. Provinz Preußen.) ,872. Na>. 23.
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[0129] So konnten denn die Reformatoren schon ein enges Band zwischen Staat und Kirche knüpfen, und es fehlte nicht an Rechtstiteln für die Auf¬ gaben, Vollmachten und Pflichten, welche sie der Obrigkeit überantworteten. Die Obrigkeit ist die Hüterin der beiden Tafeln des Gesetzes, insofern dasselbe die äußere Zucht fordert, und hat als solche ihre Unterthanen in der Wahr¬ heit des Evangeliums und für sie zu erziehen. Dazu verpflichtet sie auch ihre Stellung als (praeeipuum insmbruw eeelösias) hervorragendes Glied der christ¬ lichen Gemeinde. Und denselben Beruf giebt ihnen ihr Amt, die Grundlagen der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Denn diese hat in der Begründung und Pflege der wahren Gotteserkenntniß ihre wichtigste Ausgabe zu erblicken. Das ist die kirchenpolitische Theorie Melanchthon's.*) „Staat und Kirche sind ihm zwei Hälften eines Ganzen, die Kirche soll die innere freie An¬ eignung, der Staat die äußere nothwendige Darstellung des Evangeliums verwirklichen. Kirche und Staat sind zu gleichen Zielen berufen, wenn sie dieselben auch in verschiedener Weise erreichen. In der Kirche tritt die innere, im Staate die äußere Seite des Evangeliums in die Erscheinung."**) So tritt denn auch in den späteren kirchenpolitischen Theorien immer mit Rücksicht auf die sittlichen Aufgaben des Staats die Obrigkeit als status politious neben den Status eedesiastieus und oseonoinieus. Es läßt sich nicht leugnen, daß die protestantische Kirche und die protestan¬ tische kirchenpolitische Theorie die sittlichen Kräfte des Staats überschätzt und eben daher Aufgaben gestellt haben, deren Lösung außerhalb seiner Compe- tenz liegt. So lange der status Lcelosiustieus der Kirchenpolitik des Staats die innere Richtung gab, hatte die Kirche wenig Anlaß, sich über un¬ günstige Folgen zu beklagen. Dies änderte sich, als der stg-tus seelssiustieus Seite geschoben wurde, und der Staat ohne ihn die ihm zuerkannten Zechte auszuüben unternahm. Denn das war allerdings die bald stillschwei¬ gende bald ausgesprochene Voraussetzung sowohl der Reformatoren wie der hervorragenden Lehrer der protestantischen Kirche in den folgenden Generationen gewesen, daß die Kirchenpolitik gemäß dem Rathe des solus «zeelesiastieus geschehe. Diese Voraussetzung beseitigte der Territorialismus und identifizirte schlechthin Kirche und Staat. Hugo Grotius legte die gesammte Kirchengewalt ^s einen Theil der Souveränität in die Hände des Staatsoberhauptes, und Hobbes erklärte den Souverän für den obersten Pastor, dessen Diener die Adrigen Pastoren ebensowohl seien, wie alle weltlichen Beamten. Und der ^ollegialismus, der prinzipiell die Selbständigkeit der Kirche gewährleistete, konnte doch die Mission, die ihm zugefallen war, nicht lösen, da er durch die ') vo M'L rswrmaucli (1S37) o. R. III, 24» u. d. f. vgl. den Aufsah des Verf.: Die Illusionen der Reformatoren über die kirchlichen »pctcnze» des Staates. Ev. Gemeindeblatt (f. d. Provinz Preußen.) ,872. Na>. 23.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/129>, abgerufen am 23.07.2024.