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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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oder aber, wenn sie dies gelegentlich thaten, sich nicht zu den nothwendigen
Concessionen verstehen wollten und konnten.

Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, müssen wir den Mosenthal'schen
Operntext trotz mannigfacher dramatischer Schwächen und Gebrechen, die er
in sich trägt, dennoch als einen ganz vorzüglichen Vorwurf für den Compo-
nisten bezeichnen. Allerdings ist diejenige Person des Dramas, um die sich
das Hauptinteresse dreht, von vornherein durch bindenden Eidschwur lahm¬
gelegt. Prinz Magnus ist kein "Held"; er greift nicht in die Handlung ein.
Vielmehr sind es die andern Personen, der Lars, der Seen Petrik, Berge von
Schooner, der Abt Ansgar und die Prinzessin Maria, welche handeln, und
die Handlung in Bewegung setzen. Magnus bleibt durch die ganze Oper der
willenlose Spielball des Geschicks, dem er einen Widerstand entgegenzusetzen
nicht vermag. Auch die Wiederholung eines und desselben dramatischen
Effektes, das Erkanntwerden des Magnus und seine Weigerung sich als den,
der er in Wirklichkeit ist, zu nennen, dürfen wie als eine wesentliche Schwäche
des Stückes nicht verschweigen. Immerhin aber macht das Ganze einen echt
poetischen Eindruck.

Was nun die Musik Edmund Kretschmer's anlangt, so schicken wir vor¬
aus, daß wir es hier allerdings nicht mit dem geistigen Erzeugnisse eines
epochemachenden Gerdes zu thun haben. Wohl aber sehen wir in Kretschmer
ein tüchtiges Talent, das vollkommen klar über sich und seine Fähigkeiten,
mit sicherster Beherrschung aller technischen Mittel nur das giebt, was es zu
geben und zu leisten wirklich im Stande ihl, Kretschmer hat die guten Meister
aller Zeiten, ja auch der neuesten Neuzeit mit Nutzen und Erfolg studirt. Er
hat sich in den Besitz aller musikalischen Errungenschaften gesetzt, und schaltet
und waltet mit diesem Materials frei und selbstständig, ohne sich an bestimmte
Vorbilder in irgendwie ausfallender Weise anzulehnen. Daß er den ganzen
Wagner'schen Orchester-Apparat für die musikalische Illustration benutzt, kann
ihm nicht zum Vorwürfe gemacht werden. Welcher Musiker wollte, oder
könnte auch heutzutage sich in soweit dem Einflüsse Wagner's entschlagen, daß
er bet der Composition einer Oper von vornherein auf eine Anzahl instru¬
mentaler Effekte, die Wagner theils erfunden, theils weiter ausgebildet hat,
Verzicht leistete. Nur ein beschränkter Dilettantismus, oder ein böswilliges
Aburtheilen wird darin ein schwächliches, unselbstständiges Nachahmen sehen
wollen.

Bon den fünf Akten der Oper sind die drei mittleren die musikalisch
inhaltreichsten. Es finden sich darin Momente von ausgezeichneter Schönheit
vor. Als den großartigsten derselben heben wir das Ensemble: "Sprich', bist
Du Erik's Sohn" im zweiten Akte hervor. Fast ebenso bedeutend ist im
dritten Akte das Sextett mit Chor: "O blick' in dieses Auges Strahl."


oder aber, wenn sie dies gelegentlich thaten, sich nicht zu den nothwendigen
Concessionen verstehen wollten und konnten.

Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, müssen wir den Mosenthal'schen
Operntext trotz mannigfacher dramatischer Schwächen und Gebrechen, die er
in sich trägt, dennoch als einen ganz vorzüglichen Vorwurf für den Compo-
nisten bezeichnen. Allerdings ist diejenige Person des Dramas, um die sich
das Hauptinteresse dreht, von vornherein durch bindenden Eidschwur lahm¬
gelegt. Prinz Magnus ist kein „Held"; er greift nicht in die Handlung ein.
Vielmehr sind es die andern Personen, der Lars, der Seen Petrik, Berge von
Schooner, der Abt Ansgar und die Prinzessin Maria, welche handeln, und
die Handlung in Bewegung setzen. Magnus bleibt durch die ganze Oper der
willenlose Spielball des Geschicks, dem er einen Widerstand entgegenzusetzen
nicht vermag. Auch die Wiederholung eines und desselben dramatischen
Effektes, das Erkanntwerden des Magnus und seine Weigerung sich als den,
der er in Wirklichkeit ist, zu nennen, dürfen wie als eine wesentliche Schwäche
des Stückes nicht verschweigen. Immerhin aber macht das Ganze einen echt
poetischen Eindruck.

Was nun die Musik Edmund Kretschmer's anlangt, so schicken wir vor¬
aus, daß wir es hier allerdings nicht mit dem geistigen Erzeugnisse eines
epochemachenden Gerdes zu thun haben. Wohl aber sehen wir in Kretschmer
ein tüchtiges Talent, das vollkommen klar über sich und seine Fähigkeiten,
mit sicherster Beherrschung aller technischen Mittel nur das giebt, was es zu
geben und zu leisten wirklich im Stande ihl, Kretschmer hat die guten Meister
aller Zeiten, ja auch der neuesten Neuzeit mit Nutzen und Erfolg studirt. Er
hat sich in den Besitz aller musikalischen Errungenschaften gesetzt, und schaltet
und waltet mit diesem Materials frei und selbstständig, ohne sich an bestimmte
Vorbilder in irgendwie ausfallender Weise anzulehnen. Daß er den ganzen
Wagner'schen Orchester-Apparat für die musikalische Illustration benutzt, kann
ihm nicht zum Vorwürfe gemacht werden. Welcher Musiker wollte, oder
könnte auch heutzutage sich in soweit dem Einflüsse Wagner's entschlagen, daß
er bet der Composition einer Oper von vornherein auf eine Anzahl instru¬
mentaler Effekte, die Wagner theils erfunden, theils weiter ausgebildet hat,
Verzicht leistete. Nur ein beschränkter Dilettantismus, oder ein böswilliges
Aburtheilen wird darin ein schwächliches, unselbstständiges Nachahmen sehen
wollen.

Bon den fünf Akten der Oper sind die drei mittleren die musikalisch
inhaltreichsten. Es finden sich darin Momente von ausgezeichneter Schönheit
vor. Als den großartigsten derselben heben wir das Ensemble: „Sprich', bist
Du Erik's Sohn" im zweiten Akte hervor. Fast ebenso bedeutend ist im
dritten Akte das Sextett mit Chor: „O blick' in dieses Auges Strahl."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/123>, abgerufen am 22.07.2024.