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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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die Behörden und die Wähler und durch die Wähler die Volksvertretung in
der Hand. So lange er über die Sacramente verfügt, ist die Trennung der
Kirche vom Staate nichts als eine gefährliche Täuschung.

Mit der Geistlichkeit regieren, heißt das Volk knechten; gegen sie regieren,
heißt alle Ordnung in Gefahr bringen. Neben ihr regieren, wie wenn
sie nicht vorhanden wäre, würde das Klügste sein, aber das erlaubt ihre
Denkweise nicht. Wer nicht für mich ist. der ist wider mich, sagt sie. Man
ist also darauf beschränkt. ihr zu gehorchen oder ihr Widerstand zu leisten.

Die katholischen Völker des Kontinents haben von England und Amerika
Grundsätze und Einrichtungen entliehen, die, aus dem Protestantismus her¬
vorgegangen . unter seinem Einflüsse gute Ergebnisse liefern. Aber man be¬
ginnt auf dem Continent einzusehen, wohin sie führen, wenn sie von einer
ultramontanen Geistlichkeit bekämpft oder ausgebeutet werden. Sie endigen
mit allmählicher Auflösung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, wenn
die Massen den Glauben verlieren, wie in Spanien und Frankreich. oder mit
der Herrschaft der Bischöfe, wenn sie ihn bewahren, wie in Belgien.

Ein aufmerksames und unparteiisches Studium der gegenwärtigen Lage
der Dinge scheint also zu dem niederschlagenden Schlüsse führen. daß die ka¬
tholischen Völker nicht zur Bewahrung der aus dem Protestantismus hervor- ,
gegangenen Freiheiten gelangen werden. Wenn sie sich der uneingeschränkten
Herrschaft der Kirche unterwerfen wollten. könnten sie sich vielleicht eines fried¬
ichen Wohlergehens und eines mittelmäßig behaglichen Lebens erfreuen, wo¬
ern sie isolirt wären. Aber das ist nicht der Fall, und so scheint sie aus
naher Zukunft her eine Gefahr von außen zu bedrohen, es wäre denn, daß
sie sich weigerten, der Stimme des Episkopats zu gehorchen.

Buckle rechnet unter die Vorzüge unseres Jahrhunderts die religiöse Gleich¬
gültigkeit, die uns vor Glaubenskriegen bewahrt habe. Es scheint, als ob
^e letzte Hälfte dieses Jahrhunderts diesen Zug nicht bewahren sollte. Alles
scheint sich zu einem großen Zusammenstoße vorzubereiten, bei dem die Reli¬
gion einer der Hauptbeweggründe sein würde. Schon 1870 war es in erster
Linie der Ultramontaniswus. der Deutschland den Krieg erklärte. Wenn
Heinrich der Fünfte oder Napoleon der Vierte auf den Thron kommen, so
wird es unter Mitwirkung der Geistlichkeit geschehen, und diese wird dann
auf einen neuen Kreuzzug hindrängen. der die jenseits des Rhein verfolgten
Brüder befreien soll. Die Staaten. in denen die clericale Partei herrscht,
Werden wahrscheinlich in diesen heiligen Krieg mit verwickelt werden. Das ist
die Politik, welche in Frankreich das "Univers" predigt, und die anderwärts
Von Blättern ähnlichen Calibers empfohlen wird. Die Wiedereinsetzung der
Vourbonen und der andern vertriebenen Dynastien in Spanien, Italien und
Frankreich, die Rückgabe des Kirchenstaates an den Papst, die Aufrichtung


die Behörden und die Wähler und durch die Wähler die Volksvertretung in
der Hand. So lange er über die Sacramente verfügt, ist die Trennung der
Kirche vom Staate nichts als eine gefährliche Täuschung.

Mit der Geistlichkeit regieren, heißt das Volk knechten; gegen sie regieren,
heißt alle Ordnung in Gefahr bringen. Neben ihr regieren, wie wenn
sie nicht vorhanden wäre, würde das Klügste sein, aber das erlaubt ihre
Denkweise nicht. Wer nicht für mich ist. der ist wider mich, sagt sie. Man
ist also darauf beschränkt. ihr zu gehorchen oder ihr Widerstand zu leisten.

Die katholischen Völker des Kontinents haben von England und Amerika
Grundsätze und Einrichtungen entliehen, die, aus dem Protestantismus her¬
vorgegangen . unter seinem Einflüsse gute Ergebnisse liefern. Aber man be¬
ginnt auf dem Continent einzusehen, wohin sie führen, wenn sie von einer
ultramontanen Geistlichkeit bekämpft oder ausgebeutet werden. Sie endigen
mit allmählicher Auflösung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, wenn
die Massen den Glauben verlieren, wie in Spanien und Frankreich. oder mit
der Herrschaft der Bischöfe, wenn sie ihn bewahren, wie in Belgien.

Ein aufmerksames und unparteiisches Studium der gegenwärtigen Lage
der Dinge scheint also zu dem niederschlagenden Schlüsse führen. daß die ka¬
tholischen Völker nicht zur Bewahrung der aus dem Protestantismus hervor- ,
gegangenen Freiheiten gelangen werden. Wenn sie sich der uneingeschränkten
Herrschaft der Kirche unterwerfen wollten. könnten sie sich vielleicht eines fried¬
ichen Wohlergehens und eines mittelmäßig behaglichen Lebens erfreuen, wo¬
ern sie isolirt wären. Aber das ist nicht der Fall, und so scheint sie aus
naher Zukunft her eine Gefahr von außen zu bedrohen, es wäre denn, daß
sie sich weigerten, der Stimme des Episkopats zu gehorchen.

Buckle rechnet unter die Vorzüge unseres Jahrhunderts die religiöse Gleich¬
gültigkeit, die uns vor Glaubenskriegen bewahrt habe. Es scheint, als ob
^e letzte Hälfte dieses Jahrhunderts diesen Zug nicht bewahren sollte. Alles
scheint sich zu einem großen Zusammenstoße vorzubereiten, bei dem die Reli¬
gion einer der Hauptbeweggründe sein würde. Schon 1870 war es in erster
Linie der Ultramontaniswus. der Deutschland den Krieg erklärte. Wenn
Heinrich der Fünfte oder Napoleon der Vierte auf den Thron kommen, so
wird es unter Mitwirkung der Geistlichkeit geschehen, und diese wird dann
auf einen neuen Kreuzzug hindrängen. der die jenseits des Rhein verfolgten
Brüder befreien soll. Die Staaten. in denen die clericale Partei herrscht,
Werden wahrscheinlich in diesen heiligen Krieg mit verwickelt werden. Das ist
die Politik, welche in Frankreich das „Univers" predigt, und die anderwärts
Von Blättern ähnlichen Calibers empfohlen wird. Die Wiedereinsetzung der
Vourbonen und der andern vertriebenen Dynastien in Spanien, Italien und
Frankreich, die Rückgabe des Kirchenstaates an den Papst, die Aufrichtung


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[0105] die Behörden und die Wähler und durch die Wähler die Volksvertretung in der Hand. So lange er über die Sacramente verfügt, ist die Trennung der Kirche vom Staate nichts als eine gefährliche Täuschung. Mit der Geistlichkeit regieren, heißt das Volk knechten; gegen sie regieren, heißt alle Ordnung in Gefahr bringen. Neben ihr regieren, wie wenn sie nicht vorhanden wäre, würde das Klügste sein, aber das erlaubt ihre Denkweise nicht. Wer nicht für mich ist. der ist wider mich, sagt sie. Man ist also darauf beschränkt. ihr zu gehorchen oder ihr Widerstand zu leisten. Die katholischen Völker des Kontinents haben von England und Amerika Grundsätze und Einrichtungen entliehen, die, aus dem Protestantismus her¬ vorgegangen . unter seinem Einflüsse gute Ergebnisse liefern. Aber man be¬ ginnt auf dem Continent einzusehen, wohin sie führen, wenn sie von einer ultramontanen Geistlichkeit bekämpft oder ausgebeutet werden. Sie endigen mit allmählicher Auflösung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, wenn die Massen den Glauben verlieren, wie in Spanien und Frankreich. oder mit der Herrschaft der Bischöfe, wenn sie ihn bewahren, wie in Belgien. Ein aufmerksames und unparteiisches Studium der gegenwärtigen Lage der Dinge scheint also zu dem niederschlagenden Schlüsse führen. daß die ka¬ tholischen Völker nicht zur Bewahrung der aus dem Protestantismus hervor- , gegangenen Freiheiten gelangen werden. Wenn sie sich der uneingeschränkten Herrschaft der Kirche unterwerfen wollten. könnten sie sich vielleicht eines fried¬ ichen Wohlergehens und eines mittelmäßig behaglichen Lebens erfreuen, wo¬ ern sie isolirt wären. Aber das ist nicht der Fall, und so scheint sie aus naher Zukunft her eine Gefahr von außen zu bedrohen, es wäre denn, daß sie sich weigerten, der Stimme des Episkopats zu gehorchen. Buckle rechnet unter die Vorzüge unseres Jahrhunderts die religiöse Gleich¬ gültigkeit, die uns vor Glaubenskriegen bewahrt habe. Es scheint, als ob ^e letzte Hälfte dieses Jahrhunderts diesen Zug nicht bewahren sollte. Alles scheint sich zu einem großen Zusammenstoße vorzubereiten, bei dem die Reli¬ gion einer der Hauptbeweggründe sein würde. Schon 1870 war es in erster Linie der Ultramontaniswus. der Deutschland den Krieg erklärte. Wenn Heinrich der Fünfte oder Napoleon der Vierte auf den Thron kommen, so wird es unter Mitwirkung der Geistlichkeit geschehen, und diese wird dann auf einen neuen Kreuzzug hindrängen. der die jenseits des Rhein verfolgten Brüder befreien soll. Die Staaten. in denen die clericale Partei herrscht, Werden wahrscheinlich in diesen heiligen Krieg mit verwickelt werden. Das ist die Politik, welche in Frankreich das „Univers" predigt, und die anderwärts Von Blättern ähnlichen Calibers empfohlen wird. Die Wiedereinsetzung der Vourbonen und der andern vertriebenen Dynastien in Spanien, Italien und Frankreich, die Rückgabe des Kirchenstaates an den Papst, die Aufrichtung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/105>, abgerufen am 23.07.2024.