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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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nämlich aus der Beschaffenheit der ältesten Universitätsstädte und ihrer Sitten.
Der große Zusammenfluß von Studirenden an den berühmtesten alten Hoch¬
schulen veranlaßte ein schnelles Steigen der Preise für Wohnungen. Ueber-
vorthcilung der reicheren, Bedrückung der ärmeren und fortwährende Streitig¬
keiten zwischen Studenten und Bürgern. Schon aus diesem Grunde also war
ein gemeinsames und daher billigeres Zusammenwohnen erwünscht, während
es auf der anderen Seite durch die überHand nehmende Zuchtlosigkeit der
Sitten in den Universitätsstädten fast ebenso dringend geboten wurde. Milde
Stiftungen hervorragender Männer zum Besten armer Studenten legten sehr
oft den Grund zu den ersten Collegien. Nach und nach vergrößerten und
vermehrten sich diese Anstalten, in Paris namentlich durch die rege Bethei¬
ligung verschiedener Mönchsorden am Unterricht, welche weitläufige Gebäude
zur Aufnahme von Schülern mit ihren Klöstern verbanden. Auch auf den
deutschen Universitäten, von denen einige der ältesten, wie Prag, Wien, Leipzig,
Ingolstadt nach dem Pariser Vorbilde eingerichtet waren, entstanden ähnliche
Anstalten, Bursen genannt, welche aber nur zum geringeren Theil milde Stif¬
tungen, sondern meistens Pensionsanstalten waren, in welchen den Studenten
Wohnung und Lebensunterhalt, sowie Beaufsichtigung und Nachhülfe bei ihren
Studien von den Rectoren gegen Vergütung gewährt wurde. Während diese
Anstalten bei uns zu Anfang des 16. Jahrhunderts ganz in Verfall geriethen
und die französischen Collegien sich allmählich von der Universität sonderten
und zu ihrer jetzigen Stellung von secundär-Schulen -- Lyceen und Gym-
nasien -- entwickelten, haben nur noch in England die Colleges ihre ursprüng¬
liche Bedeutung und Einrichtung bis auf unsere Zeit fast unverändert bewahrt
und ragen daher, fast könnte man sagen, wie ein versteinertes Stück Mittel¬
alter gar seltsam in unsere moderne Zeit hinein.

Das vorhin erwähnte älteste College Oxfords, University College, entstand
aus kleinen Anfängen und entwickelte sich nur sehr langsam. Erst 31 Jahre
später, als das Vermächrniß eines gewissen William von Durham im Betrage
von 310 Mark zum Besten von 12 armen Magistern aus der Umgegend von
Durham gestiftet worden war, ist es urkundlich erwiesen, daß die Theilhaber
dieser Stiftung in convictorischer Gemeinschaft lebten. Bevor nun diese Dur-
ham'sche Stiftung, die durch manche kleinere Vermächtnisse Anderer vermehrt
wurde, sich zu einem vollständig organisirten College gestaltete, erwarb sich
Walter von Merton, Kanzler von England unter der Regierung Heinrich's III.,
ein von Vaterlandsliebe und wissenschaftlichem Sinn erfüllter Mann, das
große Verdienst, ein solches gleichsam fix und fertig ins Leben treten zu lassen.
Mit Recht trägt daher das von ihm gestiftete Collegium noch heutigen Tages
den Namen Merton College. Im Jahre 1264 erlangte er vom Papst und
König die Vollmacht zu der Stiftung einer in Gemeinschaft lebenden Genossen-


nämlich aus der Beschaffenheit der ältesten Universitätsstädte und ihrer Sitten.
Der große Zusammenfluß von Studirenden an den berühmtesten alten Hoch¬
schulen veranlaßte ein schnelles Steigen der Preise für Wohnungen. Ueber-
vorthcilung der reicheren, Bedrückung der ärmeren und fortwährende Streitig¬
keiten zwischen Studenten und Bürgern. Schon aus diesem Grunde also war
ein gemeinsames und daher billigeres Zusammenwohnen erwünscht, während
es auf der anderen Seite durch die überHand nehmende Zuchtlosigkeit der
Sitten in den Universitätsstädten fast ebenso dringend geboten wurde. Milde
Stiftungen hervorragender Männer zum Besten armer Studenten legten sehr
oft den Grund zu den ersten Collegien. Nach und nach vergrößerten und
vermehrten sich diese Anstalten, in Paris namentlich durch die rege Bethei¬
ligung verschiedener Mönchsorden am Unterricht, welche weitläufige Gebäude
zur Aufnahme von Schülern mit ihren Klöstern verbanden. Auch auf den
deutschen Universitäten, von denen einige der ältesten, wie Prag, Wien, Leipzig,
Ingolstadt nach dem Pariser Vorbilde eingerichtet waren, entstanden ähnliche
Anstalten, Bursen genannt, welche aber nur zum geringeren Theil milde Stif¬
tungen, sondern meistens Pensionsanstalten waren, in welchen den Studenten
Wohnung und Lebensunterhalt, sowie Beaufsichtigung und Nachhülfe bei ihren
Studien von den Rectoren gegen Vergütung gewährt wurde. Während diese
Anstalten bei uns zu Anfang des 16. Jahrhunderts ganz in Verfall geriethen
und die französischen Collegien sich allmählich von der Universität sonderten
und zu ihrer jetzigen Stellung von secundär-Schulen — Lyceen und Gym-
nasien — entwickelten, haben nur noch in England die Colleges ihre ursprüng¬
liche Bedeutung und Einrichtung bis auf unsere Zeit fast unverändert bewahrt
und ragen daher, fast könnte man sagen, wie ein versteinertes Stück Mittel¬
alter gar seltsam in unsere moderne Zeit hinein.

Das vorhin erwähnte älteste College Oxfords, University College, entstand
aus kleinen Anfängen und entwickelte sich nur sehr langsam. Erst 31 Jahre
später, als das Vermächrniß eines gewissen William von Durham im Betrage
von 310 Mark zum Besten von 12 armen Magistern aus der Umgegend von
Durham gestiftet worden war, ist es urkundlich erwiesen, daß die Theilhaber
dieser Stiftung in convictorischer Gemeinschaft lebten. Bevor nun diese Dur-
ham'sche Stiftung, die durch manche kleinere Vermächtnisse Anderer vermehrt
wurde, sich zu einem vollständig organisirten College gestaltete, erwarb sich
Walter von Merton, Kanzler von England unter der Regierung Heinrich's III.,
ein von Vaterlandsliebe und wissenschaftlichem Sinn erfüllter Mann, das
große Verdienst, ein solches gleichsam fix und fertig ins Leben treten zu lassen.
Mit Recht trägt daher das von ihm gestiftete Collegium noch heutigen Tages
den Namen Merton College. Im Jahre 1264 erlangte er vom Papst und
König die Vollmacht zu der Stiftung einer in Gemeinschaft lebenden Genossen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/87>, abgerufen am 06.02.2025.