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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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ihre Funktionen. Das giebt ein wahres Labyrinth streitender Verwal¬
tungsactionen, wobei Niemand weiß, wer Koch und wer Kellner ist. Das
preußische Beamtenthum, die größte permanente Kraft, welche der preußische
Staat sich erzogen und welche dafür das kräftigste Werkzeug der Bildung
desselben gewesen, verliert in dieser Verwirrung die Sicherheit des Wirkungs¬
kreises, damit das Gefühl der Verantwortlichkeit, damit die Energie des Ehren¬
punktes und des Pflichtgefühls. Sollten wir uns dieser Reform, die aber
hoffentlich nie zu Stande kommt, eine Anzahl Jahre erfreuen, so werden wir
erleben, daß der Zusammenhalt des preußischen Staats in alle vier Winde
gegangen.

Es wäre nun Unrecht zu verschweigen, daß die Schwerfälligkeit und
Verworrenheit der projectirten Einrichtungen auf vielen Seiten und auch in
der Commission des Abgeordnetenhauses bemerkt worden ist. Warum ist an
die Beseitigung dieser Fehler nicht die Hand gelegt worden? Die Antwort
ist, weil die Abgeordneten die Beseitigung auf einem falschen Wege suchen,
dem sich die Regierung mit gutem Recht aus allen Kräften widersetzt. Die
Abgeordneten möchten nämlich die jetzigen Bezirksregierungen in Wegfall brin¬
gen, ^>adel aber die unförmlichen Provinzen bestehen lassen.

Auf diesem Wege würde die Centralaction alle Kraft und jede Gewähr
verlieren. Die Staatshoheit wäre das Spiel unerprobter Selbstverwaltungs¬
organe, die ihrerseits der Spielball wer weiß welcher Interessen und Zufälle
sein würden. Diese Art der Vereinfachung ist also unannehmbar, und mit
ihrer Zurückweisung verdient die Regierung allen Dank. Offenbar hat die Ne¬
gierung d. h. das Ministerium des Innern die ganze Reform so angesehen, daß
in der Hauptsache Alles beim Alten bleibt, daß man, um den Zeitgeist zu
befriedigen, dem alten Gerüst mancherlei unschädliche Garnituren umhängt
und nebenbei noch einige unbequeme Verwaltungszweige auf die modische
Selbstverwaltung abbürdet. Wir würden uns damit ganz einverstanden erklä¬
ren, wenn die beliebten Garnituren wirklich unschädlich wären.

Daß alle diese Bezirksausschüsse und Provinzialausschüsse und Verwal¬
tungsgerichte und Provinzialversammlungen und Landesdirectorien schließlich
nur ungeheuere Schreibereien veranlassen nebst unnützen Ausgaben, halten wir
zwar nicht für unmöglich. In diesem günstigsten Falle hätte also die Reform
kein clamnum einel-MUS im Gefolge, aber es bliebe immer noch ein sehr un¬
erwünschtes lueoum eessklis. Denn die preußische Verwaltung bedarf der Ver¬
jüngung, der erhöhten Kraft und der erhöhten Leistung. Daß nun eine Reform
in solchem Sinne von dem jetzigen Ministerium des Innern nicht geplant
worden, können wir uns nur aus dem Schlendrian erklären. Darum nannten
wir den ganzen jetzigen Reformplan eine Verbindung von Doctrin und Schlen¬
drian. Eine Fülle von Garnitur zur Speisung der liberalen Doctrin und


ihre Funktionen. Das giebt ein wahres Labyrinth streitender Verwal¬
tungsactionen, wobei Niemand weiß, wer Koch und wer Kellner ist. Das
preußische Beamtenthum, die größte permanente Kraft, welche der preußische
Staat sich erzogen und welche dafür das kräftigste Werkzeug der Bildung
desselben gewesen, verliert in dieser Verwirrung die Sicherheit des Wirkungs¬
kreises, damit das Gefühl der Verantwortlichkeit, damit die Energie des Ehren¬
punktes und des Pflichtgefühls. Sollten wir uns dieser Reform, die aber
hoffentlich nie zu Stande kommt, eine Anzahl Jahre erfreuen, so werden wir
erleben, daß der Zusammenhalt des preußischen Staats in alle vier Winde
gegangen.

Es wäre nun Unrecht zu verschweigen, daß die Schwerfälligkeit und
Verworrenheit der projectirten Einrichtungen auf vielen Seiten und auch in
der Commission des Abgeordnetenhauses bemerkt worden ist. Warum ist an
die Beseitigung dieser Fehler nicht die Hand gelegt worden? Die Antwort
ist, weil die Abgeordneten die Beseitigung auf einem falschen Wege suchen,
dem sich die Regierung mit gutem Recht aus allen Kräften widersetzt. Die
Abgeordneten möchten nämlich die jetzigen Bezirksregierungen in Wegfall brin¬
gen, ^>adel aber die unförmlichen Provinzen bestehen lassen.

Auf diesem Wege würde die Centralaction alle Kraft und jede Gewähr
verlieren. Die Staatshoheit wäre das Spiel unerprobter Selbstverwaltungs¬
organe, die ihrerseits der Spielball wer weiß welcher Interessen und Zufälle
sein würden. Diese Art der Vereinfachung ist also unannehmbar, und mit
ihrer Zurückweisung verdient die Regierung allen Dank. Offenbar hat die Ne¬
gierung d. h. das Ministerium des Innern die ganze Reform so angesehen, daß
in der Hauptsache Alles beim Alten bleibt, daß man, um den Zeitgeist zu
befriedigen, dem alten Gerüst mancherlei unschädliche Garnituren umhängt
und nebenbei noch einige unbequeme Verwaltungszweige auf die modische
Selbstverwaltung abbürdet. Wir würden uns damit ganz einverstanden erklä¬
ren, wenn die beliebten Garnituren wirklich unschädlich wären.

Daß alle diese Bezirksausschüsse und Provinzialausschüsse und Verwal¬
tungsgerichte und Provinzialversammlungen und Landesdirectorien schließlich
nur ungeheuere Schreibereien veranlassen nebst unnützen Ausgaben, halten wir
zwar nicht für unmöglich. In diesem günstigsten Falle hätte also die Reform
kein clamnum einel-MUS im Gefolge, aber es bliebe immer noch ein sehr un¬
erwünschtes lueoum eessklis. Denn die preußische Verwaltung bedarf der Ver¬
jüngung, der erhöhten Kraft und der erhöhten Leistung. Daß nun eine Reform
in solchem Sinne von dem jetzigen Ministerium des Innern nicht geplant
worden, können wir uns nur aus dem Schlendrian erklären. Darum nannten
wir den ganzen jetzigen Reformplan eine Verbindung von Doctrin und Schlen¬
drian. Eine Fülle von Garnitur zur Speisung der liberalen Doctrin und


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[0082] ihre Funktionen. Das giebt ein wahres Labyrinth streitender Verwal¬ tungsactionen, wobei Niemand weiß, wer Koch und wer Kellner ist. Das preußische Beamtenthum, die größte permanente Kraft, welche der preußische Staat sich erzogen und welche dafür das kräftigste Werkzeug der Bildung desselben gewesen, verliert in dieser Verwirrung die Sicherheit des Wirkungs¬ kreises, damit das Gefühl der Verantwortlichkeit, damit die Energie des Ehren¬ punktes und des Pflichtgefühls. Sollten wir uns dieser Reform, die aber hoffentlich nie zu Stande kommt, eine Anzahl Jahre erfreuen, so werden wir erleben, daß der Zusammenhalt des preußischen Staats in alle vier Winde gegangen. Es wäre nun Unrecht zu verschweigen, daß die Schwerfälligkeit und Verworrenheit der projectirten Einrichtungen auf vielen Seiten und auch in der Commission des Abgeordnetenhauses bemerkt worden ist. Warum ist an die Beseitigung dieser Fehler nicht die Hand gelegt worden? Die Antwort ist, weil die Abgeordneten die Beseitigung auf einem falschen Wege suchen, dem sich die Regierung mit gutem Recht aus allen Kräften widersetzt. Die Abgeordneten möchten nämlich die jetzigen Bezirksregierungen in Wegfall brin¬ gen, ^>adel aber die unförmlichen Provinzen bestehen lassen. Auf diesem Wege würde die Centralaction alle Kraft und jede Gewähr verlieren. Die Staatshoheit wäre das Spiel unerprobter Selbstverwaltungs¬ organe, die ihrerseits der Spielball wer weiß welcher Interessen und Zufälle sein würden. Diese Art der Vereinfachung ist also unannehmbar, und mit ihrer Zurückweisung verdient die Regierung allen Dank. Offenbar hat die Ne¬ gierung d. h. das Ministerium des Innern die ganze Reform so angesehen, daß in der Hauptsache Alles beim Alten bleibt, daß man, um den Zeitgeist zu befriedigen, dem alten Gerüst mancherlei unschädliche Garnituren umhängt und nebenbei noch einige unbequeme Verwaltungszweige auf die modische Selbstverwaltung abbürdet. Wir würden uns damit ganz einverstanden erklä¬ ren, wenn die beliebten Garnituren wirklich unschädlich wären. Daß alle diese Bezirksausschüsse und Provinzialausschüsse und Verwal¬ tungsgerichte und Provinzialversammlungen und Landesdirectorien schließlich nur ungeheuere Schreibereien veranlassen nebst unnützen Ausgaben, halten wir zwar nicht für unmöglich. In diesem günstigsten Falle hätte also die Reform kein clamnum einel-MUS im Gefolge, aber es bliebe immer noch ein sehr un¬ erwünschtes lueoum eessklis. Denn die preußische Verwaltung bedarf der Ver¬ jüngung, der erhöhten Kraft und der erhöhten Leistung. Daß nun eine Reform in solchem Sinne von dem jetzigen Ministerium des Innern nicht geplant worden, können wir uns nur aus dem Schlendrian erklären. Darum nannten wir den ganzen jetzigen Reformplan eine Verbindung von Doctrin und Schlen¬ drian. Eine Fülle von Garnitur zur Speisung der liberalen Doctrin und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/82>, abgerufen am 06.02.2025.