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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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beendigt, der Bericht, von Miquel erstattet, liegt vor. Ueber viele Einzel¬
heiten der Regierungsvorlage hat man sich in der Commission lebhaft gestrit¬
ten, wovon der Bericht Zeugniß ablegt. Zuletzt ist es im Großen und Ganzen
doch bei der Regierungsvorlage geblieben.

Die Abänderung oder die Nützlichkeit der Abänderung einzelner Theile
der Regierungsvorlage ist Alles in Allem eine ziemlich gleichgültige Sache.
Aber das Gesetz im Ganzen hat eine unberechenbare Tragweite, die. wie es
fast den Anschein hat, in diesem Augenblick von den Wenigsten übersehen
wird. Man ist im Begriff, einen recht gefährlichen Schritt ohne Bewußtsein
zu thun, während man sich der Gefahr bewußt sein könnte und bewußt sein
sollte. Unser Wunsch geht deshalb vor Allem dahin, daß aus dem Gesetz
nichts wird. Diesmal ist es das Herrenhaus, auf welchem die letzte Hoffnung
beruht, eine Gefahr vom preußischen Staat in letzter Stunde abgewendet zu
sehen, die ihm durch'eine Verbindung von Doctrinarismus und Schlendrian
droht. Im Herrenhaus ist, wie man hört, glücklicherweise die Rechte wie die
Linke entschlossen, das Gesetz auf keinen Fall so anzunehmen, Wie es vom
Abgeordnetenhaus kommen wird. Ein vom Herrenhaus wesentlich verändertes
Gesetz im Abgeordnetenhaus zur Annahme zu bringen, hat aber immer seine
Schwierigkeit. Die Sommerhitze wird das Ihrige thun, die Verhandlungen
abbrechen zu machen, wenn sie sich zu großer Weitläufigkeit anlassen. So
mag diese Session vorübergehen, ohne die preußische Verwaltung in den Ab¬
grund der Ohnmacht und Confusion zu stoßen. Dann liegen wieder Monate
dazwischen, und diese Monate mögen gute Gedanken bringen. So muß ein¬
mal der Mensch rechnen. Er muß suchen, sich der Zeit stückweise zu bemäch¬
tigen; die Stellungen, welche große Zeiträume beherrschen, werden selten ge¬
funden und errichtet.

Es liegt uns aber ob, noch einmal auf die unheilbaren Fehler des Ge¬
setzentwurfs hinzuweisen, über den das Ministerium des Innern und das Ab¬
geordnetenhaus sich der Aussicht freuen, Eines Herzens und Einer Seele
zu werden.

Die Einrichtung der preußischen Verwaltung hat seit lange an dem son¬
derbaren Fehler einer zerrissenen Mittelinstanz gekränkt. Bisher haben ver¬
schiedenartige Umstände die schädlichen Folgen dieses organischen Fehlers nicht
zur Entwicklung kommen lassen. Jetzt vereinigen sich Doctrin und Schlen¬
drian, die glücklich einschränkenden Umstände zu entfernen und zugleich die
Macht des Fehlers durch eine dem letzteren angepaßte Gestalt der sogenannten
Selbstverwaltung in bedeutendem Maße zu steigern. Es ist schon früher die
Rede davon gewesen, wie durch eine Verbindung romantischer Grillen, par-
tikularistischer Liebhabereien und liberaler Doctrin der preußische Staat die
für eine zweckmäßige Verwaltung höchst ungeeigneten großen Provinzen be-


beendigt, der Bericht, von Miquel erstattet, liegt vor. Ueber viele Einzel¬
heiten der Regierungsvorlage hat man sich in der Commission lebhaft gestrit¬
ten, wovon der Bericht Zeugniß ablegt. Zuletzt ist es im Großen und Ganzen
doch bei der Regierungsvorlage geblieben.

Die Abänderung oder die Nützlichkeit der Abänderung einzelner Theile
der Regierungsvorlage ist Alles in Allem eine ziemlich gleichgültige Sache.
Aber das Gesetz im Ganzen hat eine unberechenbare Tragweite, die. wie es
fast den Anschein hat, in diesem Augenblick von den Wenigsten übersehen
wird. Man ist im Begriff, einen recht gefährlichen Schritt ohne Bewußtsein
zu thun, während man sich der Gefahr bewußt sein könnte und bewußt sein
sollte. Unser Wunsch geht deshalb vor Allem dahin, daß aus dem Gesetz
nichts wird. Diesmal ist es das Herrenhaus, auf welchem die letzte Hoffnung
beruht, eine Gefahr vom preußischen Staat in letzter Stunde abgewendet zu
sehen, die ihm durch'eine Verbindung von Doctrinarismus und Schlendrian
droht. Im Herrenhaus ist, wie man hört, glücklicherweise die Rechte wie die
Linke entschlossen, das Gesetz auf keinen Fall so anzunehmen, Wie es vom
Abgeordnetenhaus kommen wird. Ein vom Herrenhaus wesentlich verändertes
Gesetz im Abgeordnetenhaus zur Annahme zu bringen, hat aber immer seine
Schwierigkeit. Die Sommerhitze wird das Ihrige thun, die Verhandlungen
abbrechen zu machen, wenn sie sich zu großer Weitläufigkeit anlassen. So
mag diese Session vorübergehen, ohne die preußische Verwaltung in den Ab¬
grund der Ohnmacht und Confusion zu stoßen. Dann liegen wieder Monate
dazwischen, und diese Monate mögen gute Gedanken bringen. So muß ein¬
mal der Mensch rechnen. Er muß suchen, sich der Zeit stückweise zu bemäch¬
tigen; die Stellungen, welche große Zeiträume beherrschen, werden selten ge¬
funden und errichtet.

Es liegt uns aber ob, noch einmal auf die unheilbaren Fehler des Ge¬
setzentwurfs hinzuweisen, über den das Ministerium des Innern und das Ab¬
geordnetenhaus sich der Aussicht freuen, Eines Herzens und Einer Seele
zu werden.

Die Einrichtung der preußischen Verwaltung hat seit lange an dem son¬
derbaren Fehler einer zerrissenen Mittelinstanz gekränkt. Bisher haben ver¬
schiedenartige Umstände die schädlichen Folgen dieses organischen Fehlers nicht
zur Entwicklung kommen lassen. Jetzt vereinigen sich Doctrin und Schlen¬
drian, die glücklich einschränkenden Umstände zu entfernen und zugleich die
Macht des Fehlers durch eine dem letzteren angepaßte Gestalt der sogenannten
Selbstverwaltung in bedeutendem Maße zu steigern. Es ist schon früher die
Rede davon gewesen, wie durch eine Verbindung romantischer Grillen, par-
tikularistischer Liebhabereien und liberaler Doctrin der preußische Staat die
für eine zweckmäßige Verwaltung höchst ungeeigneten großen Provinzen be-


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[0079] beendigt, der Bericht, von Miquel erstattet, liegt vor. Ueber viele Einzel¬ heiten der Regierungsvorlage hat man sich in der Commission lebhaft gestrit¬ ten, wovon der Bericht Zeugniß ablegt. Zuletzt ist es im Großen und Ganzen doch bei der Regierungsvorlage geblieben. Die Abänderung oder die Nützlichkeit der Abänderung einzelner Theile der Regierungsvorlage ist Alles in Allem eine ziemlich gleichgültige Sache. Aber das Gesetz im Ganzen hat eine unberechenbare Tragweite, die. wie es fast den Anschein hat, in diesem Augenblick von den Wenigsten übersehen wird. Man ist im Begriff, einen recht gefährlichen Schritt ohne Bewußtsein zu thun, während man sich der Gefahr bewußt sein könnte und bewußt sein sollte. Unser Wunsch geht deshalb vor Allem dahin, daß aus dem Gesetz nichts wird. Diesmal ist es das Herrenhaus, auf welchem die letzte Hoffnung beruht, eine Gefahr vom preußischen Staat in letzter Stunde abgewendet zu sehen, die ihm durch'eine Verbindung von Doctrinarismus und Schlendrian droht. Im Herrenhaus ist, wie man hört, glücklicherweise die Rechte wie die Linke entschlossen, das Gesetz auf keinen Fall so anzunehmen, Wie es vom Abgeordnetenhaus kommen wird. Ein vom Herrenhaus wesentlich verändertes Gesetz im Abgeordnetenhaus zur Annahme zu bringen, hat aber immer seine Schwierigkeit. Die Sommerhitze wird das Ihrige thun, die Verhandlungen abbrechen zu machen, wenn sie sich zu großer Weitläufigkeit anlassen. So mag diese Session vorübergehen, ohne die preußische Verwaltung in den Ab¬ grund der Ohnmacht und Confusion zu stoßen. Dann liegen wieder Monate dazwischen, und diese Monate mögen gute Gedanken bringen. So muß ein¬ mal der Mensch rechnen. Er muß suchen, sich der Zeit stückweise zu bemäch¬ tigen; die Stellungen, welche große Zeiträume beherrschen, werden selten ge¬ funden und errichtet. Es liegt uns aber ob, noch einmal auf die unheilbaren Fehler des Ge¬ setzentwurfs hinzuweisen, über den das Ministerium des Innern und das Ab¬ geordnetenhaus sich der Aussicht freuen, Eines Herzens und Einer Seele zu werden. Die Einrichtung der preußischen Verwaltung hat seit lange an dem son¬ derbaren Fehler einer zerrissenen Mittelinstanz gekränkt. Bisher haben ver¬ schiedenartige Umstände die schädlichen Folgen dieses organischen Fehlers nicht zur Entwicklung kommen lassen. Jetzt vereinigen sich Doctrin und Schlen¬ drian, die glücklich einschränkenden Umstände zu entfernen und zugleich die Macht des Fehlers durch eine dem letzteren angepaßte Gestalt der sogenannten Selbstverwaltung in bedeutendem Maße zu steigern. Es ist schon früher die Rede davon gewesen, wie durch eine Verbindung romantischer Grillen, par- tikularistischer Liebhabereien und liberaler Doctrin der preußische Staat die für eine zweckmäßige Verwaltung höchst ungeeigneten großen Provinzen be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/79>, abgerufen am 06.02.2025.