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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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flössen, so läßt uns dies fragen, ob wir nicht auch nach der Linken hin sich
ergießende Quellen bemerken sollten. Vielleicht daß uns hier Hoffnungen
aufsteigen zu Huldigungen, welche allgemeinere Sympathien erwecken als die
erwähnten. Und wie? Ist es nicht nahezu ein reiner Schellingianismus, der,
in einer popularisirenden Darstellung, seit dem Ende der sechziger Jahre ick
der "Philosophie des Unbewußten" sich des Beifalls weitester Kreise bemäch¬
tigte, ähnlich, wie einst die Philosophie Arthur Schopenhauer's, dessen Name
für diese Abzweigung die Austrittsstelle aus Schelling's Stamme bezeichnet?
Scheint es doch nach diesen Erfolgen fast zweifellos, daß wir, die Herrschaft
über die Gemüther der Mitwelt allein berücksichtigend, die große Hauptlinie
unsrer deutschen Philosophen, von Kant, Fichte, Schellina. auf Hegel, nur
fortsetzen dürfen durch die Namen Schopenhauer und Hartmann. So
bekämen wir denn von dieser Seite her heute eine berlinische Feier, welche
vor Allem hervorheben würde, daß Schelling zwar dazu angeleitet habe, ein
indifferentes Unbewußte für den Urgrund alles Daseins und das Wollen für
das innere Wesen aller Realität zu halten, aber doch noch so unweise gewesen
sei. an ein fernes Jenseits herrlicher Vollendung aller Dinge und seliger Er¬
reichung aller Ziele zu glauben, sodaß er sogar allen Menschenseelen diese
Aussicht stellte, den christlich - unchnstlichen Gedanken ewiger Höllenpein von
sich stoßend, während es für jene pessimistisch Gesinnten vielmehr überall nur
Hölle giebt, welche Hölle ihnen dies gegenwärtige Leben selbst ist.

Aber soll ich denn heute eine Schmährede auf Schelling halten?

Die anscheinend siegreichste Denkweise unsrer Tage setzt sich der Hart-
mann'schen ebenso schroff entgegen, wie jenen supranaturalistischen. Ich meine
die Denkweise, welche die mechanische Stoffbewegung entweder für das allein
Eristirende, oder doch für das allein Wißbare hält, und es am Liebsten sähe,
das Lebendige könnte durch bloßes Eintreten vorher nicht stattgefundener Arten
von Molecularbewegung aus dem Unlebendigen, das höher Organifirte ebenso
aus dem niederen, das Empfindende ebenso aus dem Empfindungslosen, das
Denkende aus dem Nichtdenkenden erklärt werden. Im äußersten Falle be¬
hauptet man hier mit Sicherheit, daß dieser gesammte Entstehungsproceß vom
Starren bis zum Denkenden und Wollenden lediglich mechanisches Geschehen
an lediglich materiellem Stoffe aufweise, und überall dabei keine anderen Ge¬
setze walten als die der Physik und Chemie. Diese Denkweise, die sich jetzt
merkwürdiger Weise des Namens Monismus bemächtigt, als ob ein ^o^o^
immer nur ein körperliches ^.^o^ sein könnte, während bei Weitem die meisten
und hervorragendsten Monisten aller Zeiten ihr einzig Seiendes in ein Geist¬
artiges setzten, -- diese Denkweise'' ist der Schellingischen so entgegen, daß
gerade ihre heutige Verbreitung zum Theil die Zweifel unsers Eingangs
motivirte. Wie nun, wenn wir dennoch auch dieser Richtung zeigen könnten,


flössen, so läßt uns dies fragen, ob wir nicht auch nach der Linken hin sich
ergießende Quellen bemerken sollten. Vielleicht daß uns hier Hoffnungen
aufsteigen zu Huldigungen, welche allgemeinere Sympathien erwecken als die
erwähnten. Und wie? Ist es nicht nahezu ein reiner Schellingianismus, der,
in einer popularisirenden Darstellung, seit dem Ende der sechziger Jahre ick
der „Philosophie des Unbewußten" sich des Beifalls weitester Kreise bemäch¬
tigte, ähnlich, wie einst die Philosophie Arthur Schopenhauer's, dessen Name
für diese Abzweigung die Austrittsstelle aus Schelling's Stamme bezeichnet?
Scheint es doch nach diesen Erfolgen fast zweifellos, daß wir, die Herrschaft
über die Gemüther der Mitwelt allein berücksichtigend, die große Hauptlinie
unsrer deutschen Philosophen, von Kant, Fichte, Schellina. auf Hegel, nur
fortsetzen dürfen durch die Namen Schopenhauer und Hartmann. So
bekämen wir denn von dieser Seite her heute eine berlinische Feier, welche
vor Allem hervorheben würde, daß Schelling zwar dazu angeleitet habe, ein
indifferentes Unbewußte für den Urgrund alles Daseins und das Wollen für
das innere Wesen aller Realität zu halten, aber doch noch so unweise gewesen
sei. an ein fernes Jenseits herrlicher Vollendung aller Dinge und seliger Er¬
reichung aller Ziele zu glauben, sodaß er sogar allen Menschenseelen diese
Aussicht stellte, den christlich - unchnstlichen Gedanken ewiger Höllenpein von
sich stoßend, während es für jene pessimistisch Gesinnten vielmehr überall nur
Hölle giebt, welche Hölle ihnen dies gegenwärtige Leben selbst ist.

Aber soll ich denn heute eine Schmährede auf Schelling halten?

Die anscheinend siegreichste Denkweise unsrer Tage setzt sich der Hart-
mann'schen ebenso schroff entgegen, wie jenen supranaturalistischen. Ich meine
die Denkweise, welche die mechanische Stoffbewegung entweder für das allein
Eristirende, oder doch für das allein Wißbare hält, und es am Liebsten sähe,
das Lebendige könnte durch bloßes Eintreten vorher nicht stattgefundener Arten
von Molecularbewegung aus dem Unlebendigen, das höher Organifirte ebenso
aus dem niederen, das Empfindende ebenso aus dem Empfindungslosen, das
Denkende aus dem Nichtdenkenden erklärt werden. Im äußersten Falle be¬
hauptet man hier mit Sicherheit, daß dieser gesammte Entstehungsproceß vom
Starren bis zum Denkenden und Wollenden lediglich mechanisches Geschehen
an lediglich materiellem Stoffe aufweise, und überall dabei keine anderen Ge¬
setze walten als die der Physik und Chemie. Diese Denkweise, die sich jetzt
merkwürdiger Weise des Namens Monismus bemächtigt, als ob ein ^o^o^
immer nur ein körperliches ^.^o^ sein könnte, während bei Weitem die meisten
und hervorragendsten Monisten aller Zeiten ihr einzig Seiendes in ein Geist¬
artiges setzten, — diese Denkweise'' ist der Schellingischen so entgegen, daß
gerade ihre heutige Verbreitung zum Theil die Zweifel unsers Eingangs
motivirte. Wie nun, wenn wir dennoch auch dieser Richtung zeigen könnten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/7>, abgerufen am 06.02.2025.