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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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hatte er selbst erzählt -- war er darauf die vierhundert englische Meilen weite
Strecke von Chicago bis Louisville herabgepilgert, indem er sich seine Nahrung
durch Betteln erworben und die Nächte in Scheunen und Tabaksschuppen zu¬
gebracht hatte. Daß davon sein Anzug gelitten und sein Schuhwerk nicht
besser geworden, glaubte ich ohne ausdrückliche Versicherung derer, die ihn
gesehen hatten. Zerrissnen Rockes, zerdrückten Hutes, mit Stiefeln, aus denen
die nackten Zehen heraussahen, war er zuletzt in Cincinnati eingetroffen, um
sich als Candidat für die Pfarre von Sanct Paul zu melden. Hunger macht
Muth, und wer wagt, hat halb gewonnen, hier aber hatte es der armen
Vogelscheuche nur ein Almosen eingebracht.

11. November. Abends erfahren, daß gestern bei der Vorwahl --
bei welcher es sich um Gerwig, Bieler und mich gehandelt, die übrigen Can-
didaten sind als beseitigt zu betrachten -- die erhitzten Gemüther so an ein
ander gerathen sind, daß man schließlich sich beim Halse genommen und Faust¬
schläge ausgetheilt hat. Zerrissne Hemden, geschwollne Backen, zerbrochene
Bänke -- die Prügelei hat in der Kirche stattgefunden -- sollen die Stärke
der Ueberzeugungen, die dort mit einander gerungen haben, bezeugen. Das
schlägt dem lange schon lecken Fasse den Boden aus. Ich lasse Rothert
Wissen, daß ich, nach dem, was vorgefallen, auf die Stelle verzichte.

12. November. Auch Pastor Kroll meinen Entschluß, von der Wahl
zurückzutreten, mitgetheilt. Er mißbilligt ihn, aber "wir bleiben Freunde".
Höre jetzt von ihm, daß gewisse Herren, die ich andernfalls in einigen Tagen
als Amtsbruder zu begrüßen hätte, doch einige Flecken mehr auf dem Rocke
haben, als es anfangs schien. Pastor Subr ist nicht nur ein arger Trunken¬
bold . sondern prügelt auch die Frau Pastorin gelegentlich. Pastor Grassvw,
der ursprünglich (nicht Schneider, sondern) Schuster, dann Schlächter gewesen
ist und jetzt in seinen Musestunden mit Farmer und städtischen Häusern handelt,
hat beim General Mohr zum Barkeeper sich geäußert: "Glauben Sie denn,
daß ich all meine Lebtage Pfarrern will. Behüte Gott, Sir", wenn ich eine
hübsche Summe beisammen habe, lege ich einen Viehhandel an."

Daran knüpften sich andere erbauliche Historien. Da haben wir z. B.
einen Pfarrer Memminger. der bei drei oder vier Gemeinden sich durch stetes
Betrunkensein unmöglich macht und der sich zuletzt in einem Anfall des voll-
rium trcmous 'im Walde alle Kleider vom Leibe reißt und nackt umherstreift,
bis mitleidige Farmer ihm mit einem alten blauen Flaus und Hosen ohne
Boden die Blöße bedecken, in welchem Aufzuge er zu Kroll durch die Hinter¬
thür kommt. Da haben wir ferner einen Herrn Kabienzl, der, nachdem er
alle Welt mit rührenden Lügen bethört, überall Unterstützungen eincassirt und
sich schließlich in oder bei Se. Louis ein Pfarrämtchcn erschlichen, eines schönen
Tages als Dieb einer goldnen Uhr entlarvt wird. Die Gemeinde deckt, um


Grenzboten it, 187". 9

hatte er selbst erzählt — war er darauf die vierhundert englische Meilen weite
Strecke von Chicago bis Louisville herabgepilgert, indem er sich seine Nahrung
durch Betteln erworben und die Nächte in Scheunen und Tabaksschuppen zu¬
gebracht hatte. Daß davon sein Anzug gelitten und sein Schuhwerk nicht
besser geworden, glaubte ich ohne ausdrückliche Versicherung derer, die ihn
gesehen hatten. Zerrissnen Rockes, zerdrückten Hutes, mit Stiefeln, aus denen
die nackten Zehen heraussahen, war er zuletzt in Cincinnati eingetroffen, um
sich als Candidat für die Pfarre von Sanct Paul zu melden. Hunger macht
Muth, und wer wagt, hat halb gewonnen, hier aber hatte es der armen
Vogelscheuche nur ein Almosen eingebracht.

11. November. Abends erfahren, daß gestern bei der Vorwahl —
bei welcher es sich um Gerwig, Bieler und mich gehandelt, die übrigen Can-
didaten sind als beseitigt zu betrachten — die erhitzten Gemüther so an ein
ander gerathen sind, daß man schließlich sich beim Halse genommen und Faust¬
schläge ausgetheilt hat. Zerrissne Hemden, geschwollne Backen, zerbrochene
Bänke — die Prügelei hat in der Kirche stattgefunden — sollen die Stärke
der Ueberzeugungen, die dort mit einander gerungen haben, bezeugen. Das
schlägt dem lange schon lecken Fasse den Boden aus. Ich lasse Rothert
Wissen, daß ich, nach dem, was vorgefallen, auf die Stelle verzichte.

12. November. Auch Pastor Kroll meinen Entschluß, von der Wahl
zurückzutreten, mitgetheilt. Er mißbilligt ihn, aber „wir bleiben Freunde".
Höre jetzt von ihm, daß gewisse Herren, die ich andernfalls in einigen Tagen
als Amtsbruder zu begrüßen hätte, doch einige Flecken mehr auf dem Rocke
haben, als es anfangs schien. Pastor Subr ist nicht nur ein arger Trunken¬
bold . sondern prügelt auch die Frau Pastorin gelegentlich. Pastor Grassvw,
der ursprünglich (nicht Schneider, sondern) Schuster, dann Schlächter gewesen
ist und jetzt in seinen Musestunden mit Farmer und städtischen Häusern handelt,
hat beim General Mohr zum Barkeeper sich geäußert: „Glauben Sie denn,
daß ich all meine Lebtage Pfarrern will. Behüte Gott, Sir", wenn ich eine
hübsche Summe beisammen habe, lege ich einen Viehhandel an."

Daran knüpften sich andere erbauliche Historien. Da haben wir z. B.
einen Pfarrer Memminger. der bei drei oder vier Gemeinden sich durch stetes
Betrunkensein unmöglich macht und der sich zuletzt in einem Anfall des voll-
rium trcmous 'im Walde alle Kleider vom Leibe reißt und nackt umherstreift,
bis mitleidige Farmer ihm mit einem alten blauen Flaus und Hosen ohne
Boden die Blöße bedecken, in welchem Aufzuge er zu Kroll durch die Hinter¬
thür kommt. Da haben wir ferner einen Herrn Kabienzl, der, nachdem er
alle Welt mit rührenden Lügen bethört, überall Unterstützungen eincassirt und
sich schließlich in oder bei Se. Louis ein Pfarrämtchcn erschlichen, eines schönen
Tages als Dieb einer goldnen Uhr entlarvt wird. Die Gemeinde deckt, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/69>, abgerufen am 06.02.2025.