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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Stande, und glaube nicht, daß es diesmal viel Gutes gegeben haben wird.
Aber, wie gesagt, geläufig war die Rede, und Freund Kroll, der zugehört
hatte, wollte sie sogar schön und inhaltreich finden. Doch möchte ich diesmal
seinem Urtheil nicht trauen; denn was findet ein guter Mensch, der von der
vierten Taufe kommt und bei keiner von allen vieren umhin gekonnthat, mit
den Eltern und Pathen ein Glas, bei braven Leuten mehrere, auf das Ge¬
deihen des Täuflings zu leeren, nicht alles schön und inhaltsreich! Nothert
lobte auch, aber ich mußte ja durchaus sein Pastor werden. Andern soll die
Predigt nicht rührend genug erschienen sein, und das wollen wir eher für
richtig halten.

4. November. Heute Nachmittag wurden Henry Hansemann und
Sophie Schwartz. nachdem sie mir durch Vorzeigung der "Licence" dargethan,
daß sie vor dem Friedensrichter Mann und Frau geworden, vor dem Altar
des heiligen Paulus von mir durch eine stattliche Rede -- ich weiß nicht, ob
ich sagen soll, getraut oder eingesegnet. Hoffe, daß es ihnen nicht schaden
und mir an jenem Tage nicht zu hoch angerechnet werden wird, wenn ich das
besorgte, ohne ordinirt zu sein.

Abends mit Kroll in die Kirche, um Kuchs Stegreifsermon zu hören.
Kroll's Urtheil lautet: "Ein guter lieber Mensch, aber ein schlechter Fecht¬
meister." was ich nicht in Abrede nehmen möchte. Indeß könnte Knab doch
gewählt werden, da die Partei des abgesetzten Pfarrers entschlossen sein soll,
dem Schlechtesten ihre Stimme zu geben, um sagen zu können: "Seht Jhr's,
aus dreizehn Bewerbern haben wir den vorzüglichsten ausgesucht, und der
reicht dem schnöde Vertriebnen Göbel das Wasser nicht." Heißt es doch, selbst
der Schulmeister Breitfeld, ein Orthodoxer, der bei seiner einen Probepredigt
den Kampf Michaels mit dem Drachen so drastisch gemalt hat, daß selbst
den Trockensten das Wasser verhaltnen Lachens in die Augen getreten ist, habe
einige Aussichten. Nur über einen der Candidaten scheint man von vorn¬
herein sich klar gewesen zu sein, daß er nicht zu brauchen sei. Sein Ruf war
aber freilich nicht eben hochfein. Herr Le Marle, in den ersten vierziger
Jahren Buchhändler in Leipzig und, wenn ich nicht irre, Mitglied der dor¬
tigen deutschkatholischen Gemeinde, war nach Amerika ausgewandert und dort
nach verschiedenen meist widrigen Schicksalen Prediger einer rationalistischen
Gemeinde zu Buffalo und Redacteur des "Lügenfeindes" geworden. Von da
nach Verübung verschiedner Dinge, die wir mild als Symptome eines schwa¬
chen Gedächtnisses für eingegcmgne Verbindlichkeiten bezeichnen wollen, bet
Nacht und Nebel verschwunden, war er von seinem Stern oder Unstern nach
Chicago geführt worden.

Hier hatten sich jene Symptome noch stärker gezeigt, und die Folge war
gewesen, daß er abermals unsichtbar hatte werden müssen. Zu Fuß -- so


Stande, und glaube nicht, daß es diesmal viel Gutes gegeben haben wird.
Aber, wie gesagt, geläufig war die Rede, und Freund Kroll, der zugehört
hatte, wollte sie sogar schön und inhaltreich finden. Doch möchte ich diesmal
seinem Urtheil nicht trauen; denn was findet ein guter Mensch, der von der
vierten Taufe kommt und bei keiner von allen vieren umhin gekonnthat, mit
den Eltern und Pathen ein Glas, bei braven Leuten mehrere, auf das Ge¬
deihen des Täuflings zu leeren, nicht alles schön und inhaltsreich! Nothert
lobte auch, aber ich mußte ja durchaus sein Pastor werden. Andern soll die
Predigt nicht rührend genug erschienen sein, und das wollen wir eher für
richtig halten.

4. November. Heute Nachmittag wurden Henry Hansemann und
Sophie Schwartz. nachdem sie mir durch Vorzeigung der „Licence" dargethan,
daß sie vor dem Friedensrichter Mann und Frau geworden, vor dem Altar
des heiligen Paulus von mir durch eine stattliche Rede — ich weiß nicht, ob
ich sagen soll, getraut oder eingesegnet. Hoffe, daß es ihnen nicht schaden
und mir an jenem Tage nicht zu hoch angerechnet werden wird, wenn ich das
besorgte, ohne ordinirt zu sein.

Abends mit Kroll in die Kirche, um Kuchs Stegreifsermon zu hören.
Kroll's Urtheil lautet: „Ein guter lieber Mensch, aber ein schlechter Fecht¬
meister." was ich nicht in Abrede nehmen möchte. Indeß könnte Knab doch
gewählt werden, da die Partei des abgesetzten Pfarrers entschlossen sein soll,
dem Schlechtesten ihre Stimme zu geben, um sagen zu können: „Seht Jhr's,
aus dreizehn Bewerbern haben wir den vorzüglichsten ausgesucht, und der
reicht dem schnöde Vertriebnen Göbel das Wasser nicht." Heißt es doch, selbst
der Schulmeister Breitfeld, ein Orthodoxer, der bei seiner einen Probepredigt
den Kampf Michaels mit dem Drachen so drastisch gemalt hat, daß selbst
den Trockensten das Wasser verhaltnen Lachens in die Augen getreten ist, habe
einige Aussichten. Nur über einen der Candidaten scheint man von vorn¬
herein sich klar gewesen zu sein, daß er nicht zu brauchen sei. Sein Ruf war
aber freilich nicht eben hochfein. Herr Le Marle, in den ersten vierziger
Jahren Buchhändler in Leipzig und, wenn ich nicht irre, Mitglied der dor¬
tigen deutschkatholischen Gemeinde, war nach Amerika ausgewandert und dort
nach verschiedenen meist widrigen Schicksalen Prediger einer rationalistischen
Gemeinde zu Buffalo und Redacteur des „Lügenfeindes" geworden. Von da
nach Verübung verschiedner Dinge, die wir mild als Symptome eines schwa¬
chen Gedächtnisses für eingegcmgne Verbindlichkeiten bezeichnen wollen, bet
Nacht und Nebel verschwunden, war er von seinem Stern oder Unstern nach
Chicago geführt worden.

Hier hatten sich jene Symptome noch stärker gezeigt, und die Folge war
gewesen, daß er abermals unsichtbar hatte werden müssen. Zu Fuß — so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/68>, abgerufen am 06.02.2025.