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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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geselliger Unterhaltung, nach geistiger Nahrung zu befriedigen; dort sowohl
wie in einer umfangreichen Literatur werden die Interessen der Arbeiter be¬
sprochen und vertreten; es fehlt dabei nicht an allerlei Schmeicheleien für den
Arbeiterstand und an heftigen Ausfällen gegen die besitzenden und herrschen¬
den Volksklassen. Die Ultramontanen verstehen es, in den Arbeitern das
Bewußtsein zu erwecken, daß sie es vor Allem sind, welche die wirklichen In¬
teressen der Arbeiter verfechten und dieselben zur Geltung zu bringen die
Macht haben. Dabei umkleiden sie sich mit dem Nimbus der Frömmigkeit;
sie stellen sich als die zur Wahrung der Rechte der Armen und Unterdrückten
gegen die reichen Unterdrücker von Gott gewissermaßen Berufenen dar und
appelliren an das religiöse Bewußtsein des Volkes, welcher Appell in deutschen
Herzen gewöhnlich einen sehr kräftigen Wiederhall findet. Daß sie sich zur
Begründung ihrer wirthschaftlichen Lehren auf dieselben oder auf ähnliche verkehrte
Grundsätze und irrige Behauptungen wie die Socialisten stützen, vermag
ihnen in den Augen der Arbeiter, welche zur Prüfung derselben unfähig sind,
durchaus keinen Eintrag zu thun.

Die Arbeiter können es nicht wissen und haben in ihrer großen Mehrzahl
nicht einmal die Ahnung davon, daß sie blos Werkzeuge in den Händen derer
sind, welche für ihre Interessen zu kämpfen und sich aufzuopfern vorgeben,
daß es den socialistischen Führern hauptsächlich darauf ankommt, ihre egoisti¬
schen Zwecke zu erreichen oder ihre revolutionäre Leidenschaft zu befriedigen,
und daß die Ultramontanen eine möglichst zahlreiche Armee zu sammeln trach¬
ten, welche in jeden Kampf für die alleinseligmachende Kirche und deren Ober¬
haupt willenlos ihnen zu folgen geneigt ist.

Der Socialismus und Ultramontanismus sind die mächtigsten Feinde
einer gesunden Entwicklung unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens,
deren Geringschätzung Thorheit oder frevelhafter Uebermuth wäre. Starke
Gegner kann man aber nur auf ihrem eigenen Gebiete und mit ihren eigenen
Waffen wirksam bekämpfen. Ihre erfolgreichsten Waffen sind nicht, wie viel¬
leicht Mancher glaubt, die unwahren und unsittlichen Mittel, welche sie an¬
wenden, um die Arbeiter für sich zu gewinnen, sondern daß sie dringenden
und wichtigen Bedürfnissen der Arbeiterklasse, wenngleich in unsittlicher Form,
gerecht zu werden verstehen. Gelingt es, die Bedürfnisse der Arbeiter in an¬
derer Weise d. h. unter Wahrung der religiösen, sittlichen, gesellschaftlichen
und nationalen Fundamente, auf denen das deutsche Volksleben sich bis jetzt
entwickelt hat und noch heute beruht, thatsächlich zu befriedigen, dann, aber
auch nur dann, dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, den Einfluß der
socialdemokratischen und der ultramontanen Partei auf die Arbeiterbevölkerung
zu vernichten oder auf ein ungefährliches Maß zu beschränken. Daher
handeln diejenigen unklug oder gar gewissenlos, welche alle Nothstände unter


geselliger Unterhaltung, nach geistiger Nahrung zu befriedigen; dort sowohl
wie in einer umfangreichen Literatur werden die Interessen der Arbeiter be¬
sprochen und vertreten; es fehlt dabei nicht an allerlei Schmeicheleien für den
Arbeiterstand und an heftigen Ausfällen gegen die besitzenden und herrschen¬
den Volksklassen. Die Ultramontanen verstehen es, in den Arbeitern das
Bewußtsein zu erwecken, daß sie es vor Allem sind, welche die wirklichen In¬
teressen der Arbeiter verfechten und dieselben zur Geltung zu bringen die
Macht haben. Dabei umkleiden sie sich mit dem Nimbus der Frömmigkeit;
sie stellen sich als die zur Wahrung der Rechte der Armen und Unterdrückten
gegen die reichen Unterdrücker von Gott gewissermaßen Berufenen dar und
appelliren an das religiöse Bewußtsein des Volkes, welcher Appell in deutschen
Herzen gewöhnlich einen sehr kräftigen Wiederhall findet. Daß sie sich zur
Begründung ihrer wirthschaftlichen Lehren auf dieselben oder auf ähnliche verkehrte
Grundsätze und irrige Behauptungen wie die Socialisten stützen, vermag
ihnen in den Augen der Arbeiter, welche zur Prüfung derselben unfähig sind,
durchaus keinen Eintrag zu thun.

Die Arbeiter können es nicht wissen und haben in ihrer großen Mehrzahl
nicht einmal die Ahnung davon, daß sie blos Werkzeuge in den Händen derer
sind, welche für ihre Interessen zu kämpfen und sich aufzuopfern vorgeben,
daß es den socialistischen Führern hauptsächlich darauf ankommt, ihre egoisti¬
schen Zwecke zu erreichen oder ihre revolutionäre Leidenschaft zu befriedigen,
und daß die Ultramontanen eine möglichst zahlreiche Armee zu sammeln trach¬
ten, welche in jeden Kampf für die alleinseligmachende Kirche und deren Ober¬
haupt willenlos ihnen zu folgen geneigt ist.

Der Socialismus und Ultramontanismus sind die mächtigsten Feinde
einer gesunden Entwicklung unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens,
deren Geringschätzung Thorheit oder frevelhafter Uebermuth wäre. Starke
Gegner kann man aber nur auf ihrem eigenen Gebiete und mit ihren eigenen
Waffen wirksam bekämpfen. Ihre erfolgreichsten Waffen sind nicht, wie viel¬
leicht Mancher glaubt, die unwahren und unsittlichen Mittel, welche sie an¬
wenden, um die Arbeiter für sich zu gewinnen, sondern daß sie dringenden
und wichtigen Bedürfnissen der Arbeiterklasse, wenngleich in unsittlicher Form,
gerecht zu werden verstehen. Gelingt es, die Bedürfnisse der Arbeiter in an¬
derer Weise d. h. unter Wahrung der religiösen, sittlichen, gesellschaftlichen
und nationalen Fundamente, auf denen das deutsche Volksleben sich bis jetzt
entwickelt hat und noch heute beruht, thatsächlich zu befriedigen, dann, aber
auch nur dann, dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, den Einfluß der
socialdemokratischen und der ultramontanen Partei auf die Arbeiterbevölkerung
zu vernichten oder auf ein ungefährliches Maß zu beschränken. Daher
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[0058] geselliger Unterhaltung, nach geistiger Nahrung zu befriedigen; dort sowohl wie in einer umfangreichen Literatur werden die Interessen der Arbeiter be¬ sprochen und vertreten; es fehlt dabei nicht an allerlei Schmeicheleien für den Arbeiterstand und an heftigen Ausfällen gegen die besitzenden und herrschen¬ den Volksklassen. Die Ultramontanen verstehen es, in den Arbeitern das Bewußtsein zu erwecken, daß sie es vor Allem sind, welche die wirklichen In¬ teressen der Arbeiter verfechten und dieselben zur Geltung zu bringen die Macht haben. Dabei umkleiden sie sich mit dem Nimbus der Frömmigkeit; sie stellen sich als die zur Wahrung der Rechte der Armen und Unterdrückten gegen die reichen Unterdrücker von Gott gewissermaßen Berufenen dar und appelliren an das religiöse Bewußtsein des Volkes, welcher Appell in deutschen Herzen gewöhnlich einen sehr kräftigen Wiederhall findet. Daß sie sich zur Begründung ihrer wirthschaftlichen Lehren auf dieselben oder auf ähnliche verkehrte Grundsätze und irrige Behauptungen wie die Socialisten stützen, vermag ihnen in den Augen der Arbeiter, welche zur Prüfung derselben unfähig sind, durchaus keinen Eintrag zu thun. Die Arbeiter können es nicht wissen und haben in ihrer großen Mehrzahl nicht einmal die Ahnung davon, daß sie blos Werkzeuge in den Händen derer sind, welche für ihre Interessen zu kämpfen und sich aufzuopfern vorgeben, daß es den socialistischen Führern hauptsächlich darauf ankommt, ihre egoisti¬ schen Zwecke zu erreichen oder ihre revolutionäre Leidenschaft zu befriedigen, und daß die Ultramontanen eine möglichst zahlreiche Armee zu sammeln trach¬ ten, welche in jeden Kampf für die alleinseligmachende Kirche und deren Ober¬ haupt willenlos ihnen zu folgen geneigt ist. Der Socialismus und Ultramontanismus sind die mächtigsten Feinde einer gesunden Entwicklung unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, deren Geringschätzung Thorheit oder frevelhafter Uebermuth wäre. Starke Gegner kann man aber nur auf ihrem eigenen Gebiete und mit ihren eigenen Waffen wirksam bekämpfen. Ihre erfolgreichsten Waffen sind nicht, wie viel¬ leicht Mancher glaubt, die unwahren und unsittlichen Mittel, welche sie an¬ wenden, um die Arbeiter für sich zu gewinnen, sondern daß sie dringenden und wichtigen Bedürfnissen der Arbeiterklasse, wenngleich in unsittlicher Form, gerecht zu werden verstehen. Gelingt es, die Bedürfnisse der Arbeiter in an¬ derer Weise d. h. unter Wahrung der religiösen, sittlichen, gesellschaftlichen und nationalen Fundamente, auf denen das deutsche Volksleben sich bis jetzt entwickelt hat und noch heute beruht, thatsächlich zu befriedigen, dann, aber auch nur dann, dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, den Einfluß der socialdemokratischen und der ultramontanen Partei auf die Arbeiterbevölkerung zu vernichten oder auf ein ungefährliches Maß zu beschränken. Daher handeln diejenigen unklug oder gar gewissenlos, welche alle Nothstände unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/58>, abgerufen am 06.02.2025.