Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.jede Fähigkeit nach ihren Leistungen! Ich sehe in dieser Lehre eine unge¬ Der Rest der Abhandlung Treitschke's ist der Widerlegung dieser Thor¬ In Tagen, die noch dem Späterlebenden als ganz besonders verhängniß- jede Fähigkeit nach ihren Leistungen! Ich sehe in dieser Lehre eine unge¬ Der Rest der Abhandlung Treitschke's ist der Widerlegung dieser Thor¬ In Tagen, die noch dem Späterlebenden als ganz besonders verhängniß- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133807"/> <p xml:id="ID_1757" prev="#ID_1756"> jede Fähigkeit nach ihren Leistungen! Ich sehe in dieser Lehre eine unge¬<lb/> heuerliche Vermengung und Verwirrung von grundverschiedenen sittlichen, poli¬<lb/> tischen, rechtlichen und wirthschaftlichen Begriffen und stelle Ihnen geradezu<lb/> die Wahl, entweder auch nur einen einzigen bündigen Schluß aus Ihrer<lb/> Forderung zu ziehen, dann vernichten Sie jede Ordnung, jeden historischen<lb/> Zusammenhang in der Gesellschaft. Oder Sie gießen Wasser in Ihren Feuer¬<lb/> trank, daß nichts davon übrig bleibt als die Tugendlehre: Jeder bestrebe<lb/> sich seiner socialen Stellung durch ernste Pflichterfüllung Ehre zu machen.<lb/> Diese Weisheit konnten Sie auch, aus dem kleinen Katechismus Und aus<lb/> Gellert's Fabeln lernen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1758"> Der Rest der Abhandlung Treitschke's ist der Widerlegung dieser Thor¬<lb/> heit gewidmet. Er weist nach, daß nicht einmal den eigenen Beamten gegen¬<lb/> über der Staat, die Ehre nach den Tugenden und Leistungen vertheilen kann.<lb/> Noch weit weniger die Güter. Er legt Schmoller ans Herz, daß er mit<lb/> seinen menschenfreundlichen Plänen dem Armen geradezu den einzigen Trost<lb/> raubt, der ein edles Herz hinwegtragen kann über die unvermeidlichen Härten<lb/> der wirthschaftlichen Ordnung. Er zeigt, wie Schmoller mit seinen ethischen<lb/> Forderungen allmählich auf den Boden des platten Epikuräerthums herab¬<lb/> sinkt, da der Plan, die Tugenden durch irgend welche Gesellschaftsformen<lb/> zu belohnen, nur einer sinnlichen Lebensanschauung entspringt. Er fragt<lb/> dann: wie soll der Gedanke ins Leben treten, wie sollen die Güter nach<lb/> Verdienst vertheilt werden, da sie heute nur durch die freie Arbeit der<lb/> Gesellschaft selbst vertheilt werden, d. h. in der Weise, die heute in den<lb/> Zuständen der Gesellschaft die einzig mögliche ist. Wie wollte man auch<lb/> die zahllosen Leistungen der Gesellschaft nach den Grundsätzen des Rechts<lb/> gegeneinander abschätzen? Treitschke erwartet schließlich von jeder aus sorg¬<lb/> fältiger statistischer Forschung hervorgegangenen Reform, von der Enquüte<lb/> der Reichsregierung über die Arbeiterverhältnisse bei weitem mehr, als von<lb/> den willkürlichen theoretischen Speculationen in Schmoller's Manier. Sehr<lb/> richtig bemerkt er: „die sociale Frage beginnt endlich sich in eine lange<lb/> Reihenfolge praktischer Einzelfragen zu zerlegen. Der Zeitpunkt ist günstig;<lb/> der Niedergang der Geschäfte und das Sinken der Löhne haben die socialde¬<lb/> mokratischen Bewegungen für einige Zeit ins Stocken gebracht; unberührt von<lb/> Haß und Furcht kann der Reichstag an die Arbeit gehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1759"> In Tagen, die noch dem Späterlebenden als ganz besonders verhängniß-<lb/> voll erscheinen werden durch den gleichzeitigen Rückgang der deutschen In¬<lb/> dustrie, das Wiederaufleben der Schutzzöllnerei und das Auftreten des Ka¬<lb/> thedersocialismus gehört das Erscheinen einer Schrift, wie der vorliegenden<lb/><note type="byline"> H. B.</note> zu den freudigsten und tröstlichsten Ereignissen. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0519]
jede Fähigkeit nach ihren Leistungen! Ich sehe in dieser Lehre eine unge¬
heuerliche Vermengung und Verwirrung von grundverschiedenen sittlichen, poli¬
tischen, rechtlichen und wirthschaftlichen Begriffen und stelle Ihnen geradezu
die Wahl, entweder auch nur einen einzigen bündigen Schluß aus Ihrer
Forderung zu ziehen, dann vernichten Sie jede Ordnung, jeden historischen
Zusammenhang in der Gesellschaft. Oder Sie gießen Wasser in Ihren Feuer¬
trank, daß nichts davon übrig bleibt als die Tugendlehre: Jeder bestrebe
sich seiner socialen Stellung durch ernste Pflichterfüllung Ehre zu machen.
Diese Weisheit konnten Sie auch, aus dem kleinen Katechismus Und aus
Gellert's Fabeln lernen."
Der Rest der Abhandlung Treitschke's ist der Widerlegung dieser Thor¬
heit gewidmet. Er weist nach, daß nicht einmal den eigenen Beamten gegen¬
über der Staat, die Ehre nach den Tugenden und Leistungen vertheilen kann.
Noch weit weniger die Güter. Er legt Schmoller ans Herz, daß er mit
seinen menschenfreundlichen Plänen dem Armen geradezu den einzigen Trost
raubt, der ein edles Herz hinwegtragen kann über die unvermeidlichen Härten
der wirthschaftlichen Ordnung. Er zeigt, wie Schmoller mit seinen ethischen
Forderungen allmählich auf den Boden des platten Epikuräerthums herab¬
sinkt, da der Plan, die Tugenden durch irgend welche Gesellschaftsformen
zu belohnen, nur einer sinnlichen Lebensanschauung entspringt. Er fragt
dann: wie soll der Gedanke ins Leben treten, wie sollen die Güter nach
Verdienst vertheilt werden, da sie heute nur durch die freie Arbeit der
Gesellschaft selbst vertheilt werden, d. h. in der Weise, die heute in den
Zuständen der Gesellschaft die einzig mögliche ist. Wie wollte man auch
die zahllosen Leistungen der Gesellschaft nach den Grundsätzen des Rechts
gegeneinander abschätzen? Treitschke erwartet schließlich von jeder aus sorg¬
fältiger statistischer Forschung hervorgegangenen Reform, von der Enquüte
der Reichsregierung über die Arbeiterverhältnisse bei weitem mehr, als von
den willkürlichen theoretischen Speculationen in Schmoller's Manier. Sehr
richtig bemerkt er: „die sociale Frage beginnt endlich sich in eine lange
Reihenfolge praktischer Einzelfragen zu zerlegen. Der Zeitpunkt ist günstig;
der Niedergang der Geschäfte und das Sinken der Löhne haben die socialde¬
mokratischen Bewegungen für einige Zeit ins Stocken gebracht; unberührt von
Haß und Furcht kann der Reichstag an die Arbeit gehen."
In Tagen, die noch dem Späterlebenden als ganz besonders verhängniß-
voll erscheinen werden durch den gleichzeitigen Rückgang der deutschen In¬
dustrie, das Wiederaufleben der Schutzzöllnerei und das Auftreten des Ka¬
thedersocialismus gehört das Erscheinen einer Schrift, wie der vorliegenden
H. B. zu den freudigsten und tröstlichsten Ereignissen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |