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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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politischen Parteien unserer Tage im Einzelnen: Die Brutalität, die UnHalt¬
barkeit ihrer Grundsätze, die absolute Unfähigkeit historischer Auffassung, die
Neichsfeindlichkeit aller socialdemokratischen Parteien, die erheblichen Bedenken,
welche die unverblümte Gönnerschaft des Kathedersocialismus gegen die rothe
Internationale bei jedem deutschen Patrioten wach rufen müsse. Sie schloß
mit einer Prüfung der socialen Uebelstände, welche die Verstimmung der
Gegenwart hervorgerufen haben.

Der Eindruck dieser Artikel war in ganz Deutschland, bei Freund und
Feind ein ungewöhnlich mächtiger. Laute Entrüstung, gellendes Geheul
des Schmerzes und der Wuth über die erlittene Züchtigung auf der ganzen
Linie der Socialdemokratie, in ihrer Presse, in ihren Wanderpredigten, in
ihren Volksversammlungen u. s. w. -- Der Verfasser dieser Zeilen kann viel¬
leicht besser als mancher Andere beurtheilen, wie tief Treitschke ihr ins Fleisch
geschnitten hatte, wie schmerzhaft die Wunde brannte, wie lächerlich ihr der
Versuch zu Gesichte stand, das unerträgliche Mißbehagen, das diese Schrift ihr
bereitete, mit Hülfe des für solche Gelegenheiten vorräthigen Hohnes und Spaß-
machens bei den Anhängern zu betäuben. Der Verfasser dieser Zeilen hatte,
eben als jene Artikel erschienen waren, und er von ihren Ideen und Gedan¬
ken frisch erfüllt und freudig gehoben war, die Aufgabe, der Socialdemokratie,
zum Zwecke einer reichstreuen Nachwahl zum Reichstag, in einer Reihe öffent¬
licher Versammlungen das Gefecht anzubieten und er that es in der Haupt¬
sache stets mit dem schweren Geschütz der Treitschke'schen Schrift. Die Folgen
waren unerwartet günstige. Ueberall mußten sich die Führer der Socialdemo¬
kratie selbst auf dem Kampfplatz einstellen, um das verlorene Terrain wo¬
möglich zu retten -- was ihnen nicht gelang. Die ländliche Bevölkerung
namentlich wich scheu vor dem den socialen Führern abgezwungenen Einge¬
ständnisse reichsfeindlicher Gesinnung und communistischer Pläne zurück. Das
Wahlresultat zeigte schließlich in diesem einzigen Wahlkreise seit den Februar¬
wahlen desselben Jahres einen Rückgang von etwa dreitausend Stimmen für
die Socialdemokratie. Aehnliche Wahrnehmungen wird Jeder gemacht haben
oder zum gemeinen Besten heute noch nachholen können, der den Versuch
macht, die leitenden Gedanken der Treitschke'schen Schrift namentlich ihre ver¬
nichtende Kritik gegen die heutige deutsche Socialdemokratie, deren Ideen¬
losigkeit und Vaterlandslosigkeit, Verlogenheit und Unfähigkeit, durch das
Mittel der lebendigen Rede in weite Massen aller Kreise des Volkes zu
tragen. Die socialdemokratischen "Agitatoren" lernen die Reden Bebel's und
Lasalle's, die grausamsten Kapitel von Karl Marx oder die saftigsten Leitartikel
des "Volksstaat" auswendig, ehe sie ihre Wanderpredigten antreten. Niemand
wird unter den liberalen Parteien die sklavische Abgötterei für die Offen¬
barungen des Meisters so weit treiben oder sich bei den Hörern, vor denen


politischen Parteien unserer Tage im Einzelnen: Die Brutalität, die UnHalt¬
barkeit ihrer Grundsätze, die absolute Unfähigkeit historischer Auffassung, die
Neichsfeindlichkeit aller socialdemokratischen Parteien, die erheblichen Bedenken,
welche die unverblümte Gönnerschaft des Kathedersocialismus gegen die rothe
Internationale bei jedem deutschen Patrioten wach rufen müsse. Sie schloß
mit einer Prüfung der socialen Uebelstände, welche die Verstimmung der
Gegenwart hervorgerufen haben.

Der Eindruck dieser Artikel war in ganz Deutschland, bei Freund und
Feind ein ungewöhnlich mächtiger. Laute Entrüstung, gellendes Geheul
des Schmerzes und der Wuth über die erlittene Züchtigung auf der ganzen
Linie der Socialdemokratie, in ihrer Presse, in ihren Wanderpredigten, in
ihren Volksversammlungen u. s. w. — Der Verfasser dieser Zeilen kann viel¬
leicht besser als mancher Andere beurtheilen, wie tief Treitschke ihr ins Fleisch
geschnitten hatte, wie schmerzhaft die Wunde brannte, wie lächerlich ihr der
Versuch zu Gesichte stand, das unerträgliche Mißbehagen, das diese Schrift ihr
bereitete, mit Hülfe des für solche Gelegenheiten vorräthigen Hohnes und Spaß-
machens bei den Anhängern zu betäuben. Der Verfasser dieser Zeilen hatte,
eben als jene Artikel erschienen waren, und er von ihren Ideen und Gedan¬
ken frisch erfüllt und freudig gehoben war, die Aufgabe, der Socialdemokratie,
zum Zwecke einer reichstreuen Nachwahl zum Reichstag, in einer Reihe öffent¬
licher Versammlungen das Gefecht anzubieten und er that es in der Haupt¬
sache stets mit dem schweren Geschütz der Treitschke'schen Schrift. Die Folgen
waren unerwartet günstige. Ueberall mußten sich die Führer der Socialdemo¬
kratie selbst auf dem Kampfplatz einstellen, um das verlorene Terrain wo¬
möglich zu retten — was ihnen nicht gelang. Die ländliche Bevölkerung
namentlich wich scheu vor dem den socialen Führern abgezwungenen Einge¬
ständnisse reichsfeindlicher Gesinnung und communistischer Pläne zurück. Das
Wahlresultat zeigte schließlich in diesem einzigen Wahlkreise seit den Februar¬
wahlen desselben Jahres einen Rückgang von etwa dreitausend Stimmen für
die Socialdemokratie. Aehnliche Wahrnehmungen wird Jeder gemacht haben
oder zum gemeinen Besten heute noch nachholen können, der den Versuch
macht, die leitenden Gedanken der Treitschke'schen Schrift namentlich ihre ver¬
nichtende Kritik gegen die heutige deutsche Socialdemokratie, deren Ideen¬
losigkeit und Vaterlandslosigkeit, Verlogenheit und Unfähigkeit, durch das
Mittel der lebendigen Rede in weite Massen aller Kreise des Volkes zu
tragen. Die socialdemokratischen „Agitatoren" lernen die Reden Bebel's und
Lasalle's, die grausamsten Kapitel von Karl Marx oder die saftigsten Leitartikel
des „Volksstaat" auswendig, ehe sie ihre Wanderpredigten antreten. Niemand
wird unter den liberalen Parteien die sklavische Abgötterei für die Offen¬
barungen des Meisters so weit treiben oder sich bei den Hörern, vor denen


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[0511] politischen Parteien unserer Tage im Einzelnen: Die Brutalität, die UnHalt¬ barkeit ihrer Grundsätze, die absolute Unfähigkeit historischer Auffassung, die Neichsfeindlichkeit aller socialdemokratischen Parteien, die erheblichen Bedenken, welche die unverblümte Gönnerschaft des Kathedersocialismus gegen die rothe Internationale bei jedem deutschen Patrioten wach rufen müsse. Sie schloß mit einer Prüfung der socialen Uebelstände, welche die Verstimmung der Gegenwart hervorgerufen haben. Der Eindruck dieser Artikel war in ganz Deutschland, bei Freund und Feind ein ungewöhnlich mächtiger. Laute Entrüstung, gellendes Geheul des Schmerzes und der Wuth über die erlittene Züchtigung auf der ganzen Linie der Socialdemokratie, in ihrer Presse, in ihren Wanderpredigten, in ihren Volksversammlungen u. s. w. — Der Verfasser dieser Zeilen kann viel¬ leicht besser als mancher Andere beurtheilen, wie tief Treitschke ihr ins Fleisch geschnitten hatte, wie schmerzhaft die Wunde brannte, wie lächerlich ihr der Versuch zu Gesichte stand, das unerträgliche Mißbehagen, das diese Schrift ihr bereitete, mit Hülfe des für solche Gelegenheiten vorräthigen Hohnes und Spaß- machens bei den Anhängern zu betäuben. Der Verfasser dieser Zeilen hatte, eben als jene Artikel erschienen waren, und er von ihren Ideen und Gedan¬ ken frisch erfüllt und freudig gehoben war, die Aufgabe, der Socialdemokratie, zum Zwecke einer reichstreuen Nachwahl zum Reichstag, in einer Reihe öffent¬ licher Versammlungen das Gefecht anzubieten und er that es in der Haupt¬ sache stets mit dem schweren Geschütz der Treitschke'schen Schrift. Die Folgen waren unerwartet günstige. Ueberall mußten sich die Führer der Socialdemo¬ kratie selbst auf dem Kampfplatz einstellen, um das verlorene Terrain wo¬ möglich zu retten — was ihnen nicht gelang. Die ländliche Bevölkerung namentlich wich scheu vor dem den socialen Führern abgezwungenen Einge¬ ständnisse reichsfeindlicher Gesinnung und communistischer Pläne zurück. Das Wahlresultat zeigte schließlich in diesem einzigen Wahlkreise seit den Februar¬ wahlen desselben Jahres einen Rückgang von etwa dreitausend Stimmen für die Socialdemokratie. Aehnliche Wahrnehmungen wird Jeder gemacht haben oder zum gemeinen Besten heute noch nachholen können, der den Versuch macht, die leitenden Gedanken der Treitschke'schen Schrift namentlich ihre ver¬ nichtende Kritik gegen die heutige deutsche Socialdemokratie, deren Ideen¬ losigkeit und Vaterlandslosigkeit, Verlogenheit und Unfähigkeit, durch das Mittel der lebendigen Rede in weite Massen aller Kreise des Volkes zu tragen. Die socialdemokratischen „Agitatoren" lernen die Reden Bebel's und Lasalle's, die grausamsten Kapitel von Karl Marx oder die saftigsten Leitartikel des „Volksstaat" auswendig, ehe sie ihre Wanderpredigten antreten. Niemand wird unter den liberalen Parteien die sklavische Abgötterei für die Offen¬ barungen des Meisters so weit treiben oder sich bei den Hörern, vor denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/511>, abgerufen am 06.02.2025.