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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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wie der Wald von Dunsinan, der in deutschen Volkssagen nur unter anderen
Namen, seine Rolle genau so spielt wie in Schottland, und wie Wilhelm
Tell, der nicht blos in der Schweiz, sondern auch in Norwegen und unter
den Kelten Irlands auftritt und hier fast in allen Einzelnheiten dasselbe ver¬
richtet, wie am See der vier Waldstädte, ein alter Arier, der aus der Ur¬
heimat!) derselben mit ihnen in Europa eingewandert ist.

Hier zunächst die Belege dafür, daß unsre Sage auch außerhalb Deutsch¬
lands lebt.

Der "Gesellschafter" vom 1. December 1824 berichtet nach dem "Corsaire":
Im Jahre 1240 fanden sich in dem Dorfe Drancy (im Nordosten von Paris
etwa anderthalb Stunden Wegs von der Marne und etwa ebensoweit von
der Seine entfernt) eine solche Menge Ratten und Mäuse ein, daß weder
Habe noch Gut. weder Menschen noch Vieh von ihrer Gefräßigkeit verschont
blieben. Kein Mittel half. Endlich kam man auf den Gedanken, sich an
einen durch Zauberkunst berühmten Kapuzinermönch Namens Angionini zu
wenden. Derselbe wurde verschrieben und versprach, gegen einen gewissen
Lohn das Ungeziefer wegzuschaffen. Die geforderte Summe wurde ihm zuge¬
standen, und der Schwarzkünstler nahm nun aus seinem Mantelsack einen
kleinen Dämon, trieb mit diesem zuerst allerlei Hokuspokus, holte dann ein
Büchlein hervor, aus dem er mehrere unverständliche Formeln Mas, und rief
darauf alle Ratten und Mäuse zusammen. Sie kamen und umwimmelten
ihn, seines Winkes gewärtig. Da drehte er sich um, schritt nach dem Flusse
hin, warf seine Kutte ab und sprang in die Wellen. Das ganze Ratten -
und Mäusevolk folgte ihm nach und ertrank. Der Mönch aber kam nach
vollbrachtem Wunder wohlbehalten zurück und forderte seinen ausbedungenen
Lohn. Das undankbare Volk wollte nicht zahlen. Da zog der Zauberer
aus seinem Sacke ein kleines Horn und stieß hinein, daß allen Anwesenden
vor Grausen die Haare zu Berge standen. Und siehe, jetzt regte sich alles
Vieh des Dorfes, Pferde und Kühe, Schafe und Schweine, desgleichen die
Gänse und Enten kamen herbeigelaufen und sammelten sich um den weisen
Pater. Dießmal aber schritt derselbe nicht nach dem Wasser zu, sondern
schlug mit dem verzauberten Vieh der Bauern einen andern Weg ein, auf
dem er zuletzt mit ihnen verschwand, ohne daß jemand gewagt hätte, ihn am
Wegzug mit seinem Raube zu hindern.

Und ebenso findet sich unsre Sage in ihren wesentlichen Bestandtheilen
in Irland. und zwar zu Belfast in der Provinz Ulster. Ja sie scheint hier
fast ganz in ihrer ursprünglichen Gestalt, ohne die Zuthat von Ratten und
Mäusen. Zauberbüchern u. tgi. fortzuleben. Leider liegt sie uns nur in der
Uebersetzung eines Gedichts vor, in welchem Kirkpatrick sie verewigt hat,
einer Uebersetzung, die Sprenger den hannöverschen gelehrten Anzeigen vom


wie der Wald von Dunsinan, der in deutschen Volkssagen nur unter anderen
Namen, seine Rolle genau so spielt wie in Schottland, und wie Wilhelm
Tell, der nicht blos in der Schweiz, sondern auch in Norwegen und unter
den Kelten Irlands auftritt und hier fast in allen Einzelnheiten dasselbe ver¬
richtet, wie am See der vier Waldstädte, ein alter Arier, der aus der Ur¬
heimat!) derselben mit ihnen in Europa eingewandert ist.

Hier zunächst die Belege dafür, daß unsre Sage auch außerhalb Deutsch¬
lands lebt.

Der „Gesellschafter" vom 1. December 1824 berichtet nach dem „Corsaire":
Im Jahre 1240 fanden sich in dem Dorfe Drancy (im Nordosten von Paris
etwa anderthalb Stunden Wegs von der Marne und etwa ebensoweit von
der Seine entfernt) eine solche Menge Ratten und Mäuse ein, daß weder
Habe noch Gut. weder Menschen noch Vieh von ihrer Gefräßigkeit verschont
blieben. Kein Mittel half. Endlich kam man auf den Gedanken, sich an
einen durch Zauberkunst berühmten Kapuzinermönch Namens Angionini zu
wenden. Derselbe wurde verschrieben und versprach, gegen einen gewissen
Lohn das Ungeziefer wegzuschaffen. Die geforderte Summe wurde ihm zuge¬
standen, und der Schwarzkünstler nahm nun aus seinem Mantelsack einen
kleinen Dämon, trieb mit diesem zuerst allerlei Hokuspokus, holte dann ein
Büchlein hervor, aus dem er mehrere unverständliche Formeln Mas, und rief
darauf alle Ratten und Mäuse zusammen. Sie kamen und umwimmelten
ihn, seines Winkes gewärtig. Da drehte er sich um, schritt nach dem Flusse
hin, warf seine Kutte ab und sprang in die Wellen. Das ganze Ratten -
und Mäusevolk folgte ihm nach und ertrank. Der Mönch aber kam nach
vollbrachtem Wunder wohlbehalten zurück und forderte seinen ausbedungenen
Lohn. Das undankbare Volk wollte nicht zahlen. Da zog der Zauberer
aus seinem Sacke ein kleines Horn und stieß hinein, daß allen Anwesenden
vor Grausen die Haare zu Berge standen. Und siehe, jetzt regte sich alles
Vieh des Dorfes, Pferde und Kühe, Schafe und Schweine, desgleichen die
Gänse und Enten kamen herbeigelaufen und sammelten sich um den weisen
Pater. Dießmal aber schritt derselbe nicht nach dem Wasser zu, sondern
schlug mit dem verzauberten Vieh der Bauern einen andern Weg ein, auf
dem er zuletzt mit ihnen verschwand, ohne daß jemand gewagt hätte, ihn am
Wegzug mit seinem Raube zu hindern.

Und ebenso findet sich unsre Sage in ihren wesentlichen Bestandtheilen
in Irland. und zwar zu Belfast in der Provinz Ulster. Ja sie scheint hier
fast ganz in ihrer ursprünglichen Gestalt, ohne die Zuthat von Ratten und
Mäusen. Zauberbüchern u. tgi. fortzuleben. Leider liegt sie uns nur in der
Uebersetzung eines Gedichts vor, in welchem Kirkpatrick sie verewigt hat,
einer Uebersetzung, die Sprenger den hannöverschen gelehrten Anzeigen vom


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[0507] wie der Wald von Dunsinan, der in deutschen Volkssagen nur unter anderen Namen, seine Rolle genau so spielt wie in Schottland, und wie Wilhelm Tell, der nicht blos in der Schweiz, sondern auch in Norwegen und unter den Kelten Irlands auftritt und hier fast in allen Einzelnheiten dasselbe ver¬ richtet, wie am See der vier Waldstädte, ein alter Arier, der aus der Ur¬ heimat!) derselben mit ihnen in Europa eingewandert ist. Hier zunächst die Belege dafür, daß unsre Sage auch außerhalb Deutsch¬ lands lebt. Der „Gesellschafter" vom 1. December 1824 berichtet nach dem „Corsaire": Im Jahre 1240 fanden sich in dem Dorfe Drancy (im Nordosten von Paris etwa anderthalb Stunden Wegs von der Marne und etwa ebensoweit von der Seine entfernt) eine solche Menge Ratten und Mäuse ein, daß weder Habe noch Gut. weder Menschen noch Vieh von ihrer Gefräßigkeit verschont blieben. Kein Mittel half. Endlich kam man auf den Gedanken, sich an einen durch Zauberkunst berühmten Kapuzinermönch Namens Angionini zu wenden. Derselbe wurde verschrieben und versprach, gegen einen gewissen Lohn das Ungeziefer wegzuschaffen. Die geforderte Summe wurde ihm zuge¬ standen, und der Schwarzkünstler nahm nun aus seinem Mantelsack einen kleinen Dämon, trieb mit diesem zuerst allerlei Hokuspokus, holte dann ein Büchlein hervor, aus dem er mehrere unverständliche Formeln Mas, und rief darauf alle Ratten und Mäuse zusammen. Sie kamen und umwimmelten ihn, seines Winkes gewärtig. Da drehte er sich um, schritt nach dem Flusse hin, warf seine Kutte ab und sprang in die Wellen. Das ganze Ratten - und Mäusevolk folgte ihm nach und ertrank. Der Mönch aber kam nach vollbrachtem Wunder wohlbehalten zurück und forderte seinen ausbedungenen Lohn. Das undankbare Volk wollte nicht zahlen. Da zog der Zauberer aus seinem Sacke ein kleines Horn und stieß hinein, daß allen Anwesenden vor Grausen die Haare zu Berge standen. Und siehe, jetzt regte sich alles Vieh des Dorfes, Pferde und Kühe, Schafe und Schweine, desgleichen die Gänse und Enten kamen herbeigelaufen und sammelten sich um den weisen Pater. Dießmal aber schritt derselbe nicht nach dem Wasser zu, sondern schlug mit dem verzauberten Vieh der Bauern einen andern Weg ein, auf dem er zuletzt mit ihnen verschwand, ohne daß jemand gewagt hätte, ihn am Wegzug mit seinem Raube zu hindern. Und ebenso findet sich unsre Sage in ihren wesentlichen Bestandtheilen in Irland. und zwar zu Belfast in der Provinz Ulster. Ja sie scheint hier fast ganz in ihrer ursprünglichen Gestalt, ohne die Zuthat von Ratten und Mäusen. Zauberbüchern u. tgi. fortzuleben. Leider liegt sie uns nur in der Uebersetzung eines Gedichts vor, in welchem Kirkpatrick sie verewigt hat, einer Uebersetzung, die Sprenger den hannöverschen gelehrten Anzeigen vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/507>, abgerufen am 06.02.2025.