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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Dezember 1808 proclamirt wurde, ist dasselbe Programm, das Stein schon
am 27. April 1806 und im Juni 1807 formulier hatte: sollen etwa auch
diese früheren Denkschriften auf Schön's "Conto" gesetzt werden?

Ueber die Errichtung der Landwehr darf ich ganz kurz sein Den Be¬
merkungen über den Hergang, wie sie Herr Nasemann uns oben vorgetragen
hat, stimme ich in allem wesentlichen zu.*) Nur kann ich nicht zugeben, daß
er in ihnen die ostpreußische, von Schön vertheidigte Tradition vorträgt,
welcher ich mit Beziehung auf die amtliche Arbeit des Generalstabes Unrich¬
tigkeiten vorgeworfen. Mir scheint, zwischen uns ist die Differenz eine so
geringfügige, daß ich darüber wohl weggehen kann.

Ich habe in meiner früheren Auslassung gesagt, erst in späteren Jahren
sei ein Umschlag in Schön's Urtheil über Stein eingetreten, erst in späteren
Jahren habe Schön das Gute, was Stein gethan, auf seine eigenen Anregun¬
gen zurückgeführt. Diese Thatsache eines Umschlages oder einer Meinungs-
ünderung giebt Herr Nasemann, "wenngleich in anderem Sinne" zu. Er
führt aus. wie Schön mit seiner Behauptung, daß er selbst der Urheber
jener beiden Manifeste sei. erst dann herausgetreten, daß er erst dann minder
günstig über Stein geurtheilt habe, als die conservativen Feinde Stein zu
einem der Ihrigen gestempelt hätten. Es gewinnt hiernach den Anschein,
als ob wir Schön noch besonders dafür zu loben hätten, daß er Stein die
Verantwortung für die Reformgesetze abnehmen will. Ich kann diesen Er¬
klärungsversuch, der. wenn ich recht verstehe, auch nur eine vermuthungsweise
ausgesprochene Meinung sein will -- er tritt ohne irgend welchen Nachweis
auf -- nicht als begründet gelten lassen. Freilich wenn ich meinerseits eine
Erklärung des Stimmungswechsels in Schön versuche, so kann ich auch nichts
weiter als eine Hypothese bieten, für welche ich immerhin einige Gründe werde
anführen dürfen.

Wann ist Schön zum ersten Male mit seinen Ansprüchen herausge¬
kommen? Ich bin nicht in der Lage, darüber etwas zu wissen oder auch
nur eine glaubhafte Tradition zur Entscheidung der Frage vorzubringen,
wann Schön angefangen, seinen Freunden mündlich die Ereignisse seines
früheren Lebens in der Weise zu erzählen, wie wir sie jetzt ausgesprochen vor
uns sehen. Jedenfalls bei Lebzeiten Stein's kann noch nichts davon in wei¬
tere Kreise gedrungen sein. Daß er gegen Ende der dreißiger Jahre bei sich
diese Anschauung schon ausgebildet, lehrt uns die um diese Zeit niederge¬
schriebene Selbstbiographie, Wie viel davon damals schon verlautbart ist --
ich würde dankbar sein für jede beglaubigte Mittheilung oder jeden zuver¬
lässigen Nachweis in dieser Hinsicht. Nach dem Thronwechsel von 1840 hat



') Das Wort über Ludwig Dohna halte ich für ganz besonder? zutreffend.

Dezember 1808 proclamirt wurde, ist dasselbe Programm, das Stein schon
am 27. April 1806 und im Juni 1807 formulier hatte: sollen etwa auch
diese früheren Denkschriften auf Schön's „Conto" gesetzt werden?

Ueber die Errichtung der Landwehr darf ich ganz kurz sein Den Be¬
merkungen über den Hergang, wie sie Herr Nasemann uns oben vorgetragen
hat, stimme ich in allem wesentlichen zu.*) Nur kann ich nicht zugeben, daß
er in ihnen die ostpreußische, von Schön vertheidigte Tradition vorträgt,
welcher ich mit Beziehung auf die amtliche Arbeit des Generalstabes Unrich¬
tigkeiten vorgeworfen. Mir scheint, zwischen uns ist die Differenz eine so
geringfügige, daß ich darüber wohl weggehen kann.

Ich habe in meiner früheren Auslassung gesagt, erst in späteren Jahren
sei ein Umschlag in Schön's Urtheil über Stein eingetreten, erst in späteren
Jahren habe Schön das Gute, was Stein gethan, auf seine eigenen Anregun¬
gen zurückgeführt. Diese Thatsache eines Umschlages oder einer Meinungs-
ünderung giebt Herr Nasemann, „wenngleich in anderem Sinne" zu. Er
führt aus. wie Schön mit seiner Behauptung, daß er selbst der Urheber
jener beiden Manifeste sei. erst dann herausgetreten, daß er erst dann minder
günstig über Stein geurtheilt habe, als die conservativen Feinde Stein zu
einem der Ihrigen gestempelt hätten. Es gewinnt hiernach den Anschein,
als ob wir Schön noch besonders dafür zu loben hätten, daß er Stein die
Verantwortung für die Reformgesetze abnehmen will. Ich kann diesen Er¬
klärungsversuch, der. wenn ich recht verstehe, auch nur eine vermuthungsweise
ausgesprochene Meinung sein will — er tritt ohne irgend welchen Nachweis
auf — nicht als begründet gelten lassen. Freilich wenn ich meinerseits eine
Erklärung des Stimmungswechsels in Schön versuche, so kann ich auch nichts
weiter als eine Hypothese bieten, für welche ich immerhin einige Gründe werde
anführen dürfen.

Wann ist Schön zum ersten Male mit seinen Ansprüchen herausge¬
kommen? Ich bin nicht in der Lage, darüber etwas zu wissen oder auch
nur eine glaubhafte Tradition zur Entscheidung der Frage vorzubringen,
wann Schön angefangen, seinen Freunden mündlich die Ereignisse seines
früheren Lebens in der Weise zu erzählen, wie wir sie jetzt ausgesprochen vor
uns sehen. Jedenfalls bei Lebzeiten Stein's kann noch nichts davon in wei¬
tere Kreise gedrungen sein. Daß er gegen Ende der dreißiger Jahre bei sich
diese Anschauung schon ausgebildet, lehrt uns die um diese Zeit niederge¬
schriebene Selbstbiographie, Wie viel davon damals schon verlautbart ist —
ich würde dankbar sein für jede beglaubigte Mittheilung oder jeden zuver¬
lässigen Nachweis in dieser Hinsicht. Nach dem Thronwechsel von 1840 hat



') Das Wort über Ludwig Dohna halte ich für ganz besonder? zutreffend.
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[0498] Dezember 1808 proclamirt wurde, ist dasselbe Programm, das Stein schon am 27. April 1806 und im Juni 1807 formulier hatte: sollen etwa auch diese früheren Denkschriften auf Schön's „Conto" gesetzt werden? Ueber die Errichtung der Landwehr darf ich ganz kurz sein Den Be¬ merkungen über den Hergang, wie sie Herr Nasemann uns oben vorgetragen hat, stimme ich in allem wesentlichen zu.*) Nur kann ich nicht zugeben, daß er in ihnen die ostpreußische, von Schön vertheidigte Tradition vorträgt, welcher ich mit Beziehung auf die amtliche Arbeit des Generalstabes Unrich¬ tigkeiten vorgeworfen. Mir scheint, zwischen uns ist die Differenz eine so geringfügige, daß ich darüber wohl weggehen kann. Ich habe in meiner früheren Auslassung gesagt, erst in späteren Jahren sei ein Umschlag in Schön's Urtheil über Stein eingetreten, erst in späteren Jahren habe Schön das Gute, was Stein gethan, auf seine eigenen Anregun¬ gen zurückgeführt. Diese Thatsache eines Umschlages oder einer Meinungs- ünderung giebt Herr Nasemann, „wenngleich in anderem Sinne" zu. Er führt aus. wie Schön mit seiner Behauptung, daß er selbst der Urheber jener beiden Manifeste sei. erst dann herausgetreten, daß er erst dann minder günstig über Stein geurtheilt habe, als die conservativen Feinde Stein zu einem der Ihrigen gestempelt hätten. Es gewinnt hiernach den Anschein, als ob wir Schön noch besonders dafür zu loben hätten, daß er Stein die Verantwortung für die Reformgesetze abnehmen will. Ich kann diesen Er¬ klärungsversuch, der. wenn ich recht verstehe, auch nur eine vermuthungsweise ausgesprochene Meinung sein will — er tritt ohne irgend welchen Nachweis auf — nicht als begründet gelten lassen. Freilich wenn ich meinerseits eine Erklärung des Stimmungswechsels in Schön versuche, so kann ich auch nichts weiter als eine Hypothese bieten, für welche ich immerhin einige Gründe werde anführen dürfen. Wann ist Schön zum ersten Male mit seinen Ansprüchen herausge¬ kommen? Ich bin nicht in der Lage, darüber etwas zu wissen oder auch nur eine glaubhafte Tradition zur Entscheidung der Frage vorzubringen, wann Schön angefangen, seinen Freunden mündlich die Ereignisse seines früheren Lebens in der Weise zu erzählen, wie wir sie jetzt ausgesprochen vor uns sehen. Jedenfalls bei Lebzeiten Stein's kann noch nichts davon in wei¬ tere Kreise gedrungen sein. Daß er gegen Ende der dreißiger Jahre bei sich diese Anschauung schon ausgebildet, lehrt uns die um diese Zeit niederge¬ schriebene Selbstbiographie, Wie viel davon damals schon verlautbart ist — ich würde dankbar sein für jede beglaubigte Mittheilung oder jeden zuver¬ lässigen Nachweis in dieser Hinsicht. Nach dem Thronwechsel von 1840 hat ') Das Wort über Ludwig Dohna halte ich für ganz besonder? zutreffend.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/498>, abgerufen am 06.02.2025.