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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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die Glorie, welche ihm bevorstand, ihm zugleich schmeichelte, gar nicht zur
Besinnung kommen konnte" (S. 51)> In der Charakterskizze Stein's, die ich
schon oben erwähnte, drückt Schön denselben Gedanken so aus: "Er wagte
nicht gegen staatswissenschaftliche Aufstellungen zu protestiren, gab diesen sogar,
wenn er gedrängt wurde, um nicht geistlos zu erscheinen, seine Firma; aber
er selbst kam niemals zu einer wissenschaftlichen Konstruktion in Staatsange-
legenheiten" (S. 166). Man sieht, die Ideen der Stein'schen Gesetzgebung sollen
als solche ausgegeben werden, welche Stein selbst im Grunde fremd, nur von
Anderen ihm eingeflößt waren. In der Auslassung an Professor Rosenkranz
von 1849 wird ein noch kräftigerer Ton angeschlagen: "Stein gab in den
Jahren 1807 --1808 allerdings die Firma, aber mit Ausnahme des Gedankens
der Städteordnung (wobei er aber noch das städtisch-aristokratische Princip
vorwalten lassen wollte) duldete er mehr das, was unter seiner Firma geschah
als daß es von ihm ausging. So weigerte er zum Beispiel sich lange, bis
er das politische Testament unterschrieb. Später, als er in Westphalen unter
Blutzehnten und ,sus primae noetis lebte, hat er sogar gegen die Gräfin
Voß sich gegen das erklärt, was er in Memel und Königsberg unterschrieben
habe. Aber er gab die Firma, er gab dem Kinde den Namen, und das ist
schon ehrenwerth."

Jeder Leser wird zugeben, in diesen Darstellungen Schön's, 1838--1849
geschrieben, ist der Inhalt wesentlich derselbe; der Ton des Vortrages allein
ist ein anderer. In den Aufsätzen, die Schön selbst für eine spätere Oeffent-
lichkett bestimmt zu haben scheint. -- der Selbstbiographie, der Charakterskizze
Stein's --drückt er sich maßvoller, ruhiger aus; in dem mitgetheilten Privat¬
briefe dagegen läßt er seinem Haße gegen Stein freieren Lauf. Und in seinen
Gesprächen wird er wohl in ähnlichem Style sich ergangen haben, wenn uns
ein Schluß auf dieselben aus den Aeußerungen derjenigen seiner Freunde er¬
laubt ist. welche zuerst seine Ansprüche aus das Verdienst, das man sonst
Stein zollte, in die Oeffentlichkeit gebracht haben. Davon Einiges nachher.

Wir fragen: ist dies wirklich der Fall, daß Stein 1807 Gedanken aus-
geführt hat, die ihm bisher fremde waren? hat er wirklich Prinzipien in
Gesetze eingekleidet, die seinen staatswissenschaftlicher Ideen nicht entsprachen?
hat er wirklich Gesetze unterschrieben, gegen die er nachher sich hat aussprechen
müssen? Ich erwarte allerdings nicht, daß auch Herr Nasemann einen solchen
Widerspruch, wie Schön ihn aufstellt, zwischen der Stein'schen Gesetzgebung
und den Stein'schen Prinzipien behaupten wird. Aber meine anderen Leser,
denen Stein's Schriften und Meinungen nicht ebenso bekannt sind, muß ich
mir erlauben an einige wenige hierhin gehörige Dinge kurz zu erinnern.
Was die Aufhebung der Erbunterthänigkeit angeht, so ist gerade dies ein Ge¬
danke gewesen, mit dem auch Stein sich schon beschäftigt hatte, ehe er den


die Glorie, welche ihm bevorstand, ihm zugleich schmeichelte, gar nicht zur
Besinnung kommen konnte" (S. 51)> In der Charakterskizze Stein's, die ich
schon oben erwähnte, drückt Schön denselben Gedanken so aus: „Er wagte
nicht gegen staatswissenschaftliche Aufstellungen zu protestiren, gab diesen sogar,
wenn er gedrängt wurde, um nicht geistlos zu erscheinen, seine Firma; aber
er selbst kam niemals zu einer wissenschaftlichen Konstruktion in Staatsange-
legenheiten« (S. 166). Man sieht, die Ideen der Stein'schen Gesetzgebung sollen
als solche ausgegeben werden, welche Stein selbst im Grunde fremd, nur von
Anderen ihm eingeflößt waren. In der Auslassung an Professor Rosenkranz
von 1849 wird ein noch kräftigerer Ton angeschlagen: „Stein gab in den
Jahren 1807 —1808 allerdings die Firma, aber mit Ausnahme des Gedankens
der Städteordnung (wobei er aber noch das städtisch-aristokratische Princip
vorwalten lassen wollte) duldete er mehr das, was unter seiner Firma geschah
als daß es von ihm ausging. So weigerte er zum Beispiel sich lange, bis
er das politische Testament unterschrieb. Später, als er in Westphalen unter
Blutzehnten und ,sus primae noetis lebte, hat er sogar gegen die Gräfin
Voß sich gegen das erklärt, was er in Memel und Königsberg unterschrieben
habe. Aber er gab die Firma, er gab dem Kinde den Namen, und das ist
schon ehrenwerth."

Jeder Leser wird zugeben, in diesen Darstellungen Schön's, 1838—1849
geschrieben, ist der Inhalt wesentlich derselbe; der Ton des Vortrages allein
ist ein anderer. In den Aufsätzen, die Schön selbst für eine spätere Oeffent-
lichkett bestimmt zu haben scheint. — der Selbstbiographie, der Charakterskizze
Stein's —drückt er sich maßvoller, ruhiger aus; in dem mitgetheilten Privat¬
briefe dagegen läßt er seinem Haße gegen Stein freieren Lauf. Und in seinen
Gesprächen wird er wohl in ähnlichem Style sich ergangen haben, wenn uns
ein Schluß auf dieselben aus den Aeußerungen derjenigen seiner Freunde er¬
laubt ist. welche zuerst seine Ansprüche aus das Verdienst, das man sonst
Stein zollte, in die Oeffentlichkeit gebracht haben. Davon Einiges nachher.

Wir fragen: ist dies wirklich der Fall, daß Stein 1807 Gedanken aus-
geführt hat, die ihm bisher fremde waren? hat er wirklich Prinzipien in
Gesetze eingekleidet, die seinen staatswissenschaftlicher Ideen nicht entsprachen?
hat er wirklich Gesetze unterschrieben, gegen die er nachher sich hat aussprechen
müssen? Ich erwarte allerdings nicht, daß auch Herr Nasemann einen solchen
Widerspruch, wie Schön ihn aufstellt, zwischen der Stein'schen Gesetzgebung
und den Stein'schen Prinzipien behaupten wird. Aber meine anderen Leser,
denen Stein's Schriften und Meinungen nicht ebenso bekannt sind, muß ich
mir erlauben an einige wenige hierhin gehörige Dinge kurz zu erinnern.
Was die Aufhebung der Erbunterthänigkeit angeht, so ist gerade dies ein Ge¬
danke gewesen, mit dem auch Stein sich schon beschäftigt hatte, ehe er den


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[0495] die Glorie, welche ihm bevorstand, ihm zugleich schmeichelte, gar nicht zur Besinnung kommen konnte" (S. 51)> In der Charakterskizze Stein's, die ich schon oben erwähnte, drückt Schön denselben Gedanken so aus: „Er wagte nicht gegen staatswissenschaftliche Aufstellungen zu protestiren, gab diesen sogar, wenn er gedrängt wurde, um nicht geistlos zu erscheinen, seine Firma; aber er selbst kam niemals zu einer wissenschaftlichen Konstruktion in Staatsange- legenheiten« (S. 166). Man sieht, die Ideen der Stein'schen Gesetzgebung sollen als solche ausgegeben werden, welche Stein selbst im Grunde fremd, nur von Anderen ihm eingeflößt waren. In der Auslassung an Professor Rosenkranz von 1849 wird ein noch kräftigerer Ton angeschlagen: „Stein gab in den Jahren 1807 —1808 allerdings die Firma, aber mit Ausnahme des Gedankens der Städteordnung (wobei er aber noch das städtisch-aristokratische Princip vorwalten lassen wollte) duldete er mehr das, was unter seiner Firma geschah als daß es von ihm ausging. So weigerte er zum Beispiel sich lange, bis er das politische Testament unterschrieb. Später, als er in Westphalen unter Blutzehnten und ,sus primae noetis lebte, hat er sogar gegen die Gräfin Voß sich gegen das erklärt, was er in Memel und Königsberg unterschrieben habe. Aber er gab die Firma, er gab dem Kinde den Namen, und das ist schon ehrenwerth." Jeder Leser wird zugeben, in diesen Darstellungen Schön's, 1838—1849 geschrieben, ist der Inhalt wesentlich derselbe; der Ton des Vortrages allein ist ein anderer. In den Aufsätzen, die Schön selbst für eine spätere Oeffent- lichkett bestimmt zu haben scheint. — der Selbstbiographie, der Charakterskizze Stein's —drückt er sich maßvoller, ruhiger aus; in dem mitgetheilten Privat¬ briefe dagegen läßt er seinem Haße gegen Stein freieren Lauf. Und in seinen Gesprächen wird er wohl in ähnlichem Style sich ergangen haben, wenn uns ein Schluß auf dieselben aus den Aeußerungen derjenigen seiner Freunde er¬ laubt ist. welche zuerst seine Ansprüche aus das Verdienst, das man sonst Stein zollte, in die Oeffentlichkeit gebracht haben. Davon Einiges nachher. Wir fragen: ist dies wirklich der Fall, daß Stein 1807 Gedanken aus- geführt hat, die ihm bisher fremde waren? hat er wirklich Prinzipien in Gesetze eingekleidet, die seinen staatswissenschaftlicher Ideen nicht entsprachen? hat er wirklich Gesetze unterschrieben, gegen die er nachher sich hat aussprechen müssen? Ich erwarte allerdings nicht, daß auch Herr Nasemann einen solchen Widerspruch, wie Schön ihn aufstellt, zwischen der Stein'schen Gesetzgebung und den Stein'schen Prinzipien behaupten wird. Aber meine anderen Leser, denen Stein's Schriften und Meinungen nicht ebenso bekannt sind, muß ich mir erlauben an einige wenige hierhin gehörige Dinge kurz zu erinnern. Was die Aufhebung der Erbunterthänigkeit angeht, so ist gerade dies ein Ge¬ danke gewesen, mit dem auch Stein sich schon beschäftigt hatte, ehe er den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/495>, abgerufen am 06.02.2025.