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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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schuß ersetzt durch einen sogenannten Provinzialrath. Dieser Provinzialrath
sollte nach den Vorschlägen des Herrenhauses aus sieben Mitgliedern bestehen,
und zwar aus dem Oberpräsidenten nebst zwei durch den Minister des Innern
bestimmten Staatsbeamten und aus vier durch den Provinzialausschuß ge¬
wählten Laienmitgliedern. Ebenso sollte der Bezirksrath gebildet werden
unter dem Vorsitz und der Mitgliedschaft des Regierungspräsidenten aus zwei
vom Minister des Innern bestimmten Staatsbeamten und aus vier vom
Provinzialausschuß gewählten Mitgliedern. Zu diesen Herrenhausbeschlüssen
hat bei der zweimaligen Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses der Abge¬
ordnete Miquel diejenigen Amendements gestellt, welche das Abgeordnetenhaus
angenommen und denen das Herrenhaus schließlich zugestimmt hat. so daß
sie bei der voraussichtlichen Sanction des Königs den Inhalt des Gesetzes
in Bezug auf die Bildung des Provinzialrathes und des Bezirksrathes aus¬
machen werden. Nach den Miquel'schen Vorschlägen soll der Provinzialrath
und der Bezirksrath aus dem Oberpräsidenten und bezüglich Regierungspräsi¬
denten. aus je einem Vewaltungsbeamten, welcher die Qualität des höheren
Richteramtes besitzt, und aus fünf vom Provinzialausschuß gewählten Mit¬
gliedern bestehen.

Diese Vorschläge, welche schließlich allseitige Annahme gefunden, sind
weniger von der konservativen Partei als von der Fortschrittspartei ange¬
fochten worden. Compromißbestimmungen haben naturgemäß das Schicksal,
von beiden Extremen angefeindet zu werden. Die Fortschrittspartei ist es,
welche sich diesmal am unzufriedensten zeigt, und ihre Wortführer können
auf die leidliche Miene, welche man rechts dem Gesetz macht, hinweisen als
Zeichen, daß die linke Seite zu kurz gekommen. Unsere Berichterstattung hat
sich dem Gesetz, wie die Leser der Grenzboten wissen, von Anfang ungünstig
gezeigt, und wir sind von dem schließlichen Zustandekommen desselben nicht
erbaut. Unsere Opposition steht natürlich auf einem andern Boden, als die¬
jenige der Fortschrittspartei. Aber der angebliche Sieg der conservativen
Interessen, welcher darin bestehen soll, daß man annimmt, es werde im Pro-
vinzial- wie im Bezirksrath der große Grundbesitz eine hervorragende Rolle
gewinnen, läßt uns auch sehr kalt. Wir tadeln an dem Gesetz vor Allem
die wirklich in dieser Weise unerhörte Zersplitterung der Staatsorgane. Das
Schlimmste, was man von dem Gesetz befürchten konnte, war die Erweckung
centrifugaler Tendenzen in den Provinzen. Wäre der ursprüngliche Gedanke
Miquel's, die Regierungsbezirke zu beseitigen, die großen Provinzen gleichwohl
beizubehalten und die Provinzialverwaltung alsdann wesentlich in die Hände
des Provinzialausschusses zu geben, durchgedrungen, so hätten die centrifugalen
Tendenzen unstreitig in einer solchen Organisation die geeignete Handhabe
gefunden. Die jetzige Organisation ist dagegen ein Apparat allgegenseitiger


schuß ersetzt durch einen sogenannten Provinzialrath. Dieser Provinzialrath
sollte nach den Vorschlägen des Herrenhauses aus sieben Mitgliedern bestehen,
und zwar aus dem Oberpräsidenten nebst zwei durch den Minister des Innern
bestimmten Staatsbeamten und aus vier durch den Provinzialausschuß ge¬
wählten Laienmitgliedern. Ebenso sollte der Bezirksrath gebildet werden
unter dem Vorsitz und der Mitgliedschaft des Regierungspräsidenten aus zwei
vom Minister des Innern bestimmten Staatsbeamten und aus vier vom
Provinzialausschuß gewählten Mitgliedern. Zu diesen Herrenhausbeschlüssen
hat bei der zweimaligen Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses der Abge¬
ordnete Miquel diejenigen Amendements gestellt, welche das Abgeordnetenhaus
angenommen und denen das Herrenhaus schließlich zugestimmt hat. so daß
sie bei der voraussichtlichen Sanction des Königs den Inhalt des Gesetzes
in Bezug auf die Bildung des Provinzialrathes und des Bezirksrathes aus¬
machen werden. Nach den Miquel'schen Vorschlägen soll der Provinzialrath
und der Bezirksrath aus dem Oberpräsidenten und bezüglich Regierungspräsi¬
denten. aus je einem Vewaltungsbeamten, welcher die Qualität des höheren
Richteramtes besitzt, und aus fünf vom Provinzialausschuß gewählten Mit¬
gliedern bestehen.

Diese Vorschläge, welche schließlich allseitige Annahme gefunden, sind
weniger von der konservativen Partei als von der Fortschrittspartei ange¬
fochten worden. Compromißbestimmungen haben naturgemäß das Schicksal,
von beiden Extremen angefeindet zu werden. Die Fortschrittspartei ist es,
welche sich diesmal am unzufriedensten zeigt, und ihre Wortführer können
auf die leidliche Miene, welche man rechts dem Gesetz macht, hinweisen als
Zeichen, daß die linke Seite zu kurz gekommen. Unsere Berichterstattung hat
sich dem Gesetz, wie die Leser der Grenzboten wissen, von Anfang ungünstig
gezeigt, und wir sind von dem schließlichen Zustandekommen desselben nicht
erbaut. Unsere Opposition steht natürlich auf einem andern Boden, als die¬
jenige der Fortschrittspartei. Aber der angebliche Sieg der conservativen
Interessen, welcher darin bestehen soll, daß man annimmt, es werde im Pro-
vinzial- wie im Bezirksrath der große Grundbesitz eine hervorragende Rolle
gewinnen, läßt uns auch sehr kalt. Wir tadeln an dem Gesetz vor Allem
die wirklich in dieser Weise unerhörte Zersplitterung der Staatsorgane. Das
Schlimmste, was man von dem Gesetz befürchten konnte, war die Erweckung
centrifugaler Tendenzen in den Provinzen. Wäre der ursprüngliche Gedanke
Miquel's, die Regierungsbezirke zu beseitigen, die großen Provinzen gleichwohl
beizubehalten und die Provinzialverwaltung alsdann wesentlich in die Hände
des Provinzialausschusses zu geben, durchgedrungen, so hätten die centrifugalen
Tendenzen unstreitig in einer solchen Organisation die geeignete Handhabe
gefunden. Die jetzige Organisation ist dagegen ein Apparat allgegenseitiger


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[0482] schuß ersetzt durch einen sogenannten Provinzialrath. Dieser Provinzialrath sollte nach den Vorschlägen des Herrenhauses aus sieben Mitgliedern bestehen, und zwar aus dem Oberpräsidenten nebst zwei durch den Minister des Innern bestimmten Staatsbeamten und aus vier durch den Provinzialausschuß ge¬ wählten Laienmitgliedern. Ebenso sollte der Bezirksrath gebildet werden unter dem Vorsitz und der Mitgliedschaft des Regierungspräsidenten aus zwei vom Minister des Innern bestimmten Staatsbeamten und aus vier vom Provinzialausschuß gewählten Mitgliedern. Zu diesen Herrenhausbeschlüssen hat bei der zweimaligen Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses der Abge¬ ordnete Miquel diejenigen Amendements gestellt, welche das Abgeordnetenhaus angenommen und denen das Herrenhaus schließlich zugestimmt hat. so daß sie bei der voraussichtlichen Sanction des Königs den Inhalt des Gesetzes in Bezug auf die Bildung des Provinzialrathes und des Bezirksrathes aus¬ machen werden. Nach den Miquel'schen Vorschlägen soll der Provinzialrath und der Bezirksrath aus dem Oberpräsidenten und bezüglich Regierungspräsi¬ denten. aus je einem Vewaltungsbeamten, welcher die Qualität des höheren Richteramtes besitzt, und aus fünf vom Provinzialausschuß gewählten Mit¬ gliedern bestehen. Diese Vorschläge, welche schließlich allseitige Annahme gefunden, sind weniger von der konservativen Partei als von der Fortschrittspartei ange¬ fochten worden. Compromißbestimmungen haben naturgemäß das Schicksal, von beiden Extremen angefeindet zu werden. Die Fortschrittspartei ist es, welche sich diesmal am unzufriedensten zeigt, und ihre Wortführer können auf die leidliche Miene, welche man rechts dem Gesetz macht, hinweisen als Zeichen, daß die linke Seite zu kurz gekommen. Unsere Berichterstattung hat sich dem Gesetz, wie die Leser der Grenzboten wissen, von Anfang ungünstig gezeigt, und wir sind von dem schließlichen Zustandekommen desselben nicht erbaut. Unsere Opposition steht natürlich auf einem andern Boden, als die¬ jenige der Fortschrittspartei. Aber der angebliche Sieg der conservativen Interessen, welcher darin bestehen soll, daß man annimmt, es werde im Pro- vinzial- wie im Bezirksrath der große Grundbesitz eine hervorragende Rolle gewinnen, läßt uns auch sehr kalt. Wir tadeln an dem Gesetz vor Allem die wirklich in dieser Weise unerhörte Zersplitterung der Staatsorgane. Das Schlimmste, was man von dem Gesetz befürchten konnte, war die Erweckung centrifugaler Tendenzen in den Provinzen. Wäre der ursprüngliche Gedanke Miquel's, die Regierungsbezirke zu beseitigen, die großen Provinzen gleichwohl beizubehalten und die Provinzialverwaltung alsdann wesentlich in die Hände des Provinzialausschusses zu geben, durchgedrungen, so hätten die centrifugalen Tendenzen unstreitig in einer solchen Organisation die geeignete Handhabe gefunden. Die jetzige Organisation ist dagegen ein Apparat allgegenseitiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/482>, abgerufen am 06.02.2025.