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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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gefangen haben, enthält, daß der General Bülow unsere Flanke angreifen
soll. Wir glauben dieses Corps schon auf den Höhen von Se. Lambert zu
erblicken. Verlieren Sie daher keinen Augenblick, sich uns wieder zu nähern
und sich mit uns zu vereinigen, um Bülow zu vernichten, den Sie auf frischer
That ertappen werden."

Um zu erfahren, was auf den Höhen von Se. Lambert vorgehe, sandte
Napoleon seinen Generaladjutanten Bernard dorthin. Dieser kehrte bald in
größester Eile zurück. Der Kaiser ging ihm entgegen, um seine Meldung
allein zu empfangen. "Lire, co sont lizg I^-ussiLus!" -- in'en clouwiL!"
erwiderte der Kaiser gedankenvoll. Dann wandte er sich zurück zu der großen
Versammlung seines Stabes und rief avcze uruz visags gssurv (man möchte
übersetzen "mit frecher Stirn"): "Voici Nossikurk;, Kroudi^ <mi nouL al>
rivv!" Man erkennt: Napoleon wollte, die Armee täuschen; sie sollte
von dem Anmarsch der Preußen nichts erfahren, bevor sie gegen die Eng¬
länder gesiegt.

Der Kampf gegen diese wurde denn endlich zwischen 1 und 2 Uhr ernst¬
lich aufgenommen. Ungefähr 1200 Schritt vor der britischen Front fuhren
östlich von Belle-Alliance 74 Geschütze auf und begannen ihr Feuer gegen die
englischen Batterien. Während dieser gewaltigen Kanonade formierte Erlon
seine 4 Divisionen zu 4 ungeheueren Angriffskolonnen, nämlich die deployirten
8 Bataillone jeder Division aufgeschlossen hintereinander -- eine unerhörte
Formation, welche ihr Seitenstück nur im antiken Phalanx oder den hellen
Haufen der Landsknechte findet. -- Der Massenangriff dieser Riesenkolonnen
scheiterte jedoch. Zwar warf die Division Douzelot die niederländische Bri¬
gade Bylandt; aber die englischen Brigaden Kempt und Pack empfingen den
Feind mit so furchtbarem Feuer und machten dann unter Platon's persön¬
licher Führung einen so glorreichen Gegenstoß, daß die Division Douzelot in
wilder Flucht zurückstürzte; und als nun Wellington eine Kavalleriebrigade
nachhauen ließ, brach diese bis in Napoleon's große Batterie ein und hieb
an 30 Geschützen die Kanoniere nieder. -- Milhand's Kavallerie stellte hier
jedoch das Gefecht wieder her.

Ein ganz gleiches Schicksal hatte die französische Division Marcognet
betroffen, und die Division Durutte reussirte ebenfalls nicht; aber sie trat, da
sie die Niederlage der beiden andern Kolonnen erkannte, schon früh den Rück¬
zug an und behielt ihre taktische Ordnung. Am günstigsten war das Gefecht
der Division Quiot verlaufen; sie hatte La Haye-Sainte erobert; aber der
Rückgang der drei andern Kolonnen nöthigte sie, es wieder aufzugeben. --
4000 Mann, 2 Fahnen und 16 Geschütze hatte den Franzosen dieser Massen¬
angriff gekostet; Erlons Corps war für mehrere Stunden für die Offensive un¬
brauchbar. Doch auch die englische Kavallerie hatte bei ihrem nachhauen


gefangen haben, enthält, daß der General Bülow unsere Flanke angreifen
soll. Wir glauben dieses Corps schon auf den Höhen von Se. Lambert zu
erblicken. Verlieren Sie daher keinen Augenblick, sich uns wieder zu nähern
und sich mit uns zu vereinigen, um Bülow zu vernichten, den Sie auf frischer
That ertappen werden."

Um zu erfahren, was auf den Höhen von Se. Lambert vorgehe, sandte
Napoleon seinen Generaladjutanten Bernard dorthin. Dieser kehrte bald in
größester Eile zurück. Der Kaiser ging ihm entgegen, um seine Meldung
allein zu empfangen. „Lire, co sont lizg I^-ussiLus!" — in'en clouwiL!"
erwiderte der Kaiser gedankenvoll. Dann wandte er sich zurück zu der großen
Versammlung seines Stabes und rief avcze uruz visags gssurv (man möchte
übersetzen „mit frecher Stirn"): „Voici Nossikurk;, Kroudi^ <mi nouL al>
rivv!" Man erkennt: Napoleon wollte, die Armee täuschen; sie sollte
von dem Anmarsch der Preußen nichts erfahren, bevor sie gegen die Eng¬
länder gesiegt.

Der Kampf gegen diese wurde denn endlich zwischen 1 und 2 Uhr ernst¬
lich aufgenommen. Ungefähr 1200 Schritt vor der britischen Front fuhren
östlich von Belle-Alliance 74 Geschütze auf und begannen ihr Feuer gegen die
englischen Batterien. Während dieser gewaltigen Kanonade formierte Erlon
seine 4 Divisionen zu 4 ungeheueren Angriffskolonnen, nämlich die deployirten
8 Bataillone jeder Division aufgeschlossen hintereinander — eine unerhörte
Formation, welche ihr Seitenstück nur im antiken Phalanx oder den hellen
Haufen der Landsknechte findet. — Der Massenangriff dieser Riesenkolonnen
scheiterte jedoch. Zwar warf die Division Douzelot die niederländische Bri¬
gade Bylandt; aber die englischen Brigaden Kempt und Pack empfingen den
Feind mit so furchtbarem Feuer und machten dann unter Platon's persön¬
licher Führung einen so glorreichen Gegenstoß, daß die Division Douzelot in
wilder Flucht zurückstürzte; und als nun Wellington eine Kavalleriebrigade
nachhauen ließ, brach diese bis in Napoleon's große Batterie ein und hieb
an 30 Geschützen die Kanoniere nieder. — Milhand's Kavallerie stellte hier
jedoch das Gefecht wieder her.

Ein ganz gleiches Schicksal hatte die französische Division Marcognet
betroffen, und die Division Durutte reussirte ebenfalls nicht; aber sie trat, da
sie die Niederlage der beiden andern Kolonnen erkannte, schon früh den Rück¬
zug an und behielt ihre taktische Ordnung. Am günstigsten war das Gefecht
der Division Quiot verlaufen; sie hatte La Haye-Sainte erobert; aber der
Rückgang der drei andern Kolonnen nöthigte sie, es wieder aufzugeben. —
4000 Mann, 2 Fahnen und 16 Geschütze hatte den Franzosen dieser Massen¬
angriff gekostet; Erlons Corps war für mehrere Stunden für die Offensive un¬
brauchbar. Doch auch die englische Kavallerie hatte bei ihrem nachhauen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/463>, abgerufen am 06.02.2025.