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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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zu beobachten. -- Die Reserve-Armee erhalt die Aufgabe, Unfälle, welche
eins der Heere erster Linie etwa erlitte, wieder auszugleichen, sei es durch
directe Unterstützung, sei es durch Flankenbewegungen gegen die feindlichen
Verbindungen. -- Dieser auf die numerische Ueberlegenheit der Verbündeten
begründete O p er" ti o n s p l an zeigt den ganzen Gneisenau, seine
Klarheit, seine Vollwilligkeit, seine Entschiedenheit! -- Aber wieviel fehlte,
daß solche Anschauungen im Rathe der Fürsten, wo Metternich und Schwarzen¬
berg die ersten Geigen spielten, durchgedrungen wären! Gneisenau ahnt das
wohl, und er schließt deshalb die strategischen Betrachtungen seines Feldzugs-
Entwurfes mit den Worten:

"Jeder Operationsplan, der sich damit beschäftigt, die Thätigkeit der
Armeen von den Fortschritten der Operationen in Italien (gegen Murat)
abhängig zu machen, ist fehlerhaft, weil er uns Zeitverlust verursachen
würde und dadurch gefährlich wird. Sind die Armeen an der Ostgrenze
Frankreichs versammelt, so müssen die Operationen sofort auf das Kräftigste
aufgenommen werden."

Wellington theilte diese Anschauungen vollkommen. Er wies nach,
daß Napoleon höchstens 180.000 Mann in's Feld führen und daß man diesen
schon Ende April 270.000 Mann entgegenstellen könne. Je länger man die
Operationen aufschiebe, desto vollständiger würden Napoleons Rüstungen
werden, desto sicherer zerbröckele der Kern der Royalisten in den westlichen
und südlichen Departements.

So dachte man angesichts des Feindes. -- In der Conferenz aber, in
welcher am 19. April zu Wien prolocollarisch über den Feldzugsplan ent¬
schieden wurde, erklärte Fürst Mett er n i es vorweg, daß d i e oft e rre i es i sah e
Armee bis zum ersten Mai nicht zu einer Offensiv-Operation verfügbar
sei. Der Plan Wellingtons und Gneisenau's wurde abgelehnt, weil es be¬
denklich sei, Angriffe mit Armeen zu wagen, die nicht denen des Feindes
überlegen wären. (!) Die Offensiv-Operationen könnten nicht vor dem 1. Juni
beginnen. Sollte Wellington vor diesem Termin angegriffen werden, so möge
dten Fürsten Wrede gestattet sein (!), mit den Bayern und Württembergern
eine Demonstration in der Richtung auf Metz zu machen.

Ende April trat endlich Schwarzenberg mit seinen eigenen Ideen her-
o"r und damit eine abermalige Hinausschiebung des Operationsbeginns um
16 Tage. -- In die erste Reihe stellte der Fürst die Forderung, daß man
überall die numerische Ueberlegenheit um das Doppelte festzuhalten
^chen müsse, ebenso die vollkommenste Sicherheit im Rücken durch Verschan-
zungen und Reserve-Corps. (!) Der Feind sollte dadurch, daß man auf
weit von einander gelegenen Entfernungen in Frankreich einrückte, zur Thei^
^ng seiner Streitkräfte, zur Entblößung einzelner Landstrecken genöthigt


zu beobachten. — Die Reserve-Armee erhalt die Aufgabe, Unfälle, welche
eins der Heere erster Linie etwa erlitte, wieder auszugleichen, sei es durch
directe Unterstützung, sei es durch Flankenbewegungen gegen die feindlichen
Verbindungen. — Dieser auf die numerische Ueberlegenheit der Verbündeten
begründete O p er« ti o n s p l an zeigt den ganzen Gneisenau, seine
Klarheit, seine Vollwilligkeit, seine Entschiedenheit! — Aber wieviel fehlte,
daß solche Anschauungen im Rathe der Fürsten, wo Metternich und Schwarzen¬
berg die ersten Geigen spielten, durchgedrungen wären! Gneisenau ahnt das
wohl, und er schließt deshalb die strategischen Betrachtungen seines Feldzugs-
Entwurfes mit den Worten:

„Jeder Operationsplan, der sich damit beschäftigt, die Thätigkeit der
Armeen von den Fortschritten der Operationen in Italien (gegen Murat)
abhängig zu machen, ist fehlerhaft, weil er uns Zeitverlust verursachen
würde und dadurch gefährlich wird. Sind die Armeen an der Ostgrenze
Frankreichs versammelt, so müssen die Operationen sofort auf das Kräftigste
aufgenommen werden."

Wellington theilte diese Anschauungen vollkommen. Er wies nach,
daß Napoleon höchstens 180.000 Mann in's Feld führen und daß man diesen
schon Ende April 270.000 Mann entgegenstellen könne. Je länger man die
Operationen aufschiebe, desto vollständiger würden Napoleons Rüstungen
werden, desto sicherer zerbröckele der Kern der Royalisten in den westlichen
und südlichen Departements.

So dachte man angesichts des Feindes. — In der Conferenz aber, in
welcher am 19. April zu Wien prolocollarisch über den Feldzugsplan ent¬
schieden wurde, erklärte Fürst Mett er n i es vorweg, daß d i e oft e rre i es i sah e
Armee bis zum ersten Mai nicht zu einer Offensiv-Operation verfügbar
sei. Der Plan Wellingtons und Gneisenau's wurde abgelehnt, weil es be¬
denklich sei, Angriffe mit Armeen zu wagen, die nicht denen des Feindes
überlegen wären. (!) Die Offensiv-Operationen könnten nicht vor dem 1. Juni
beginnen. Sollte Wellington vor diesem Termin angegriffen werden, so möge
dten Fürsten Wrede gestattet sein (!), mit den Bayern und Württembergern
eine Demonstration in der Richtung auf Metz zu machen.

Ende April trat endlich Schwarzenberg mit seinen eigenen Ideen her-
o"r und damit eine abermalige Hinausschiebung des Operationsbeginns um
16 Tage. — In die erste Reihe stellte der Fürst die Forderung, daß man
überall die numerische Ueberlegenheit um das Doppelte festzuhalten
^chen müsse, ebenso die vollkommenste Sicherheit im Rücken durch Verschan-
zungen und Reserve-Corps. (!) Der Feind sollte dadurch, daß man auf
weit von einander gelegenen Entfernungen in Frankreich einrückte, zur Thei^
^ng seiner Streitkräfte, zur Entblößung einzelner Landstrecken genöthigt


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[0449] zu beobachten. — Die Reserve-Armee erhalt die Aufgabe, Unfälle, welche eins der Heere erster Linie etwa erlitte, wieder auszugleichen, sei es durch directe Unterstützung, sei es durch Flankenbewegungen gegen die feindlichen Verbindungen. — Dieser auf die numerische Ueberlegenheit der Verbündeten begründete O p er« ti o n s p l an zeigt den ganzen Gneisenau, seine Klarheit, seine Vollwilligkeit, seine Entschiedenheit! — Aber wieviel fehlte, daß solche Anschauungen im Rathe der Fürsten, wo Metternich und Schwarzen¬ berg die ersten Geigen spielten, durchgedrungen wären! Gneisenau ahnt das wohl, und er schließt deshalb die strategischen Betrachtungen seines Feldzugs- Entwurfes mit den Worten: „Jeder Operationsplan, der sich damit beschäftigt, die Thätigkeit der Armeen von den Fortschritten der Operationen in Italien (gegen Murat) abhängig zu machen, ist fehlerhaft, weil er uns Zeitverlust verursachen würde und dadurch gefährlich wird. Sind die Armeen an der Ostgrenze Frankreichs versammelt, so müssen die Operationen sofort auf das Kräftigste aufgenommen werden." Wellington theilte diese Anschauungen vollkommen. Er wies nach, daß Napoleon höchstens 180.000 Mann in's Feld führen und daß man diesen schon Ende April 270.000 Mann entgegenstellen könne. Je länger man die Operationen aufschiebe, desto vollständiger würden Napoleons Rüstungen werden, desto sicherer zerbröckele der Kern der Royalisten in den westlichen und südlichen Departements. So dachte man angesichts des Feindes. — In der Conferenz aber, in welcher am 19. April zu Wien prolocollarisch über den Feldzugsplan ent¬ schieden wurde, erklärte Fürst Mett er n i es vorweg, daß d i e oft e rre i es i sah e Armee bis zum ersten Mai nicht zu einer Offensiv-Operation verfügbar sei. Der Plan Wellingtons und Gneisenau's wurde abgelehnt, weil es be¬ denklich sei, Angriffe mit Armeen zu wagen, die nicht denen des Feindes überlegen wären. (!) Die Offensiv-Operationen könnten nicht vor dem 1. Juni beginnen. Sollte Wellington vor diesem Termin angegriffen werden, so möge dten Fürsten Wrede gestattet sein (!), mit den Bayern und Württembergern eine Demonstration in der Richtung auf Metz zu machen. Ende April trat endlich Schwarzenberg mit seinen eigenen Ideen her- o"r und damit eine abermalige Hinausschiebung des Operationsbeginns um 16 Tage. — In die erste Reihe stellte der Fürst die Forderung, daß man überall die numerische Ueberlegenheit um das Doppelte festzuhalten ^chen müsse, ebenso die vollkommenste Sicherheit im Rücken durch Verschan- zungen und Reserve-Corps. (!) Der Feind sollte dadurch, daß man auf weit von einander gelegenen Entfernungen in Frankreich einrückte, zur Thei^ ^ng seiner Streitkräfte, zur Entblößung einzelner Landstrecken genöthigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/449>, abgerufen am 06.02.2025.