Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In diese Zeit fallen auch die Anfänge von Reuter's dichterischer Thätig¬
keit. Nichts kann irriger sein, als die Annahme einer planmäßigen Absichtlichkeit
bet der Neubelebung des Plattdeutschen. Die schaffende Phantasie des Dich¬
ters erfaßte zunächst das Hochdeutsche als die ihm am meisten zusagende Form,
in welcher er ein episches Gedicht versuchte, das auf mecklenburgischem Boden
spielend den "Kampf des Heidenthums gegen das Christenthum aber zugleich
auch den der Vaterlands- und Freiheitsliebe gegen die Knechtschaft" darstellen
sollte. Die Dichtung kam jedoch über die ersten Anläufe nicht hinaus. 1845
begann Reuter hochdeutsch "Die Reise nach Belgien" zu schreiben und gleich¬
falls hochdeutsch wurde 1847 der Roman angefangen und auch hochdeutsch voll¬
endet, welcher später den Titel "Ut mine Stromtid" führen und Reuter auf
dem Gipfelpunkt seines Schaffens zeigen sollte. Der noch unbekannte Inhaber
einer überaus schätzbaren Anweisung auf Ruhm und Unsterblichkeit versuchte
es, alte und neue Schnurren, durch deren Erzählung sich seine Landsleute in
ähnlicher Weise wie die Italiener an ihren conversa^ionk, die Araber und
Perser an ihren Märchen ergötzten, in Reime zu bringen und siehe da! der
Pegasus war ihm nicht störrisch, sondern erwies sich vielmehr als williger
Träger seines Phantasieränzels. Allmählig überschritten die lustigen roth¬
backigen Kinder seiner Muse, welche als "Läuschen un Rimels" aus freigebi¬
gen Füllhorn überall Frohsinn und Heiterkeit spendeten, die Grenzen seines
engeren Vaterlandes, um in ganz Deutschland Zeugniß von dem reichen in
der Brust unseres Volkes wohnenden Gemüthsleben abzulegen, bis das Ta¬
lent des Dichters, mit seinen größeren Zwecken wachsend, auf jene Höhe ge¬
tragen wurde, wo ihm seine drei größten poetischen Werke "Ut de Franzosentid",
"Ut mine Festungstid" und "Ut mine Stromtid" so überraschend glückten.
Wilbrandt's Bemerkungen über Reuter's einzelne Dichtungen athmen jenen
Hauch geistreichen Feinsinns, welcher für den wiener Schriftsteller charakteristisch
ist und bieten auch dem Kenner viel Anregendes und Erfreuliches.

Eigenthümlicher aber durchaus zufälliger Weise ist der erste Band des
Reuter'schen Nachlasses vorzugsweise satirischen Inhalts. Für den zweiten
stellt uns Wilbrandt eine Reihe in Prosa erzählter "Läuschen" und die "Me¬
moiren eines alten Fliegenschimmels" sowie eine Auswahl von Briefen in
Aussicht. Wohl finden sich auch in jenem ersten Theile dichterische Gaben,
aus denen uns der göttliche Humor in völlig harmloser und naiver Weise
reich und voll entgegenströmt. Aber diese erwecken nicht das Hauptinteresse,
welches sich vielmehr an andere Poesieen des Bandes knüpft, bei denen aus
dem üppigen Rankenwerk und dem reichen Blumenflor der humoristischen Phan¬
tasiegebilde scharf und blank geschliffene Stilets hervorglitzern. Es ist von
jeher das gute Recht des Humoristen gewesen, die befreienden Mächte des ge¬
sunden Menschenverstandes zur Bekämpfung alles Gekünstelten und Verschro-


In diese Zeit fallen auch die Anfänge von Reuter's dichterischer Thätig¬
keit. Nichts kann irriger sein, als die Annahme einer planmäßigen Absichtlichkeit
bet der Neubelebung des Plattdeutschen. Die schaffende Phantasie des Dich¬
ters erfaßte zunächst das Hochdeutsche als die ihm am meisten zusagende Form,
in welcher er ein episches Gedicht versuchte, das auf mecklenburgischem Boden
spielend den „Kampf des Heidenthums gegen das Christenthum aber zugleich
auch den der Vaterlands- und Freiheitsliebe gegen die Knechtschaft" darstellen
sollte. Die Dichtung kam jedoch über die ersten Anläufe nicht hinaus. 1845
begann Reuter hochdeutsch „Die Reise nach Belgien" zu schreiben und gleich¬
falls hochdeutsch wurde 1847 der Roman angefangen und auch hochdeutsch voll¬
endet, welcher später den Titel „Ut mine Stromtid" führen und Reuter auf
dem Gipfelpunkt seines Schaffens zeigen sollte. Der noch unbekannte Inhaber
einer überaus schätzbaren Anweisung auf Ruhm und Unsterblichkeit versuchte
es, alte und neue Schnurren, durch deren Erzählung sich seine Landsleute in
ähnlicher Weise wie die Italiener an ihren conversa^ionk, die Araber und
Perser an ihren Märchen ergötzten, in Reime zu bringen und siehe da! der
Pegasus war ihm nicht störrisch, sondern erwies sich vielmehr als williger
Träger seines Phantasieränzels. Allmählig überschritten die lustigen roth¬
backigen Kinder seiner Muse, welche als „Läuschen un Rimels" aus freigebi¬
gen Füllhorn überall Frohsinn und Heiterkeit spendeten, die Grenzen seines
engeren Vaterlandes, um in ganz Deutschland Zeugniß von dem reichen in
der Brust unseres Volkes wohnenden Gemüthsleben abzulegen, bis das Ta¬
lent des Dichters, mit seinen größeren Zwecken wachsend, auf jene Höhe ge¬
tragen wurde, wo ihm seine drei größten poetischen Werke „Ut de Franzosentid",
„Ut mine Festungstid" und „Ut mine Stromtid" so überraschend glückten.
Wilbrandt's Bemerkungen über Reuter's einzelne Dichtungen athmen jenen
Hauch geistreichen Feinsinns, welcher für den wiener Schriftsteller charakteristisch
ist und bieten auch dem Kenner viel Anregendes und Erfreuliches.

Eigenthümlicher aber durchaus zufälliger Weise ist der erste Band des
Reuter'schen Nachlasses vorzugsweise satirischen Inhalts. Für den zweiten
stellt uns Wilbrandt eine Reihe in Prosa erzählter „Läuschen" und die „Me¬
moiren eines alten Fliegenschimmels" sowie eine Auswahl von Briefen in
Aussicht. Wohl finden sich auch in jenem ersten Theile dichterische Gaben,
aus denen uns der göttliche Humor in völlig harmloser und naiver Weise
reich und voll entgegenströmt. Aber diese erwecken nicht das Hauptinteresse,
welches sich vielmehr an andere Poesieen des Bandes knüpft, bei denen aus
dem üppigen Rankenwerk und dem reichen Blumenflor der humoristischen Phan¬
tasiegebilde scharf und blank geschliffene Stilets hervorglitzern. Es ist von
jeher das gute Recht des Humoristen gewesen, die befreienden Mächte des ge¬
sunden Menschenverstandes zur Bekämpfung alles Gekünstelten und Verschro-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133728"/>
          <p xml:id="ID_1418"> In diese Zeit fallen auch die Anfänge von Reuter's dichterischer Thätig¬<lb/>
keit. Nichts kann irriger sein, als die Annahme einer planmäßigen Absichtlichkeit<lb/>
bet der Neubelebung des Plattdeutschen. Die schaffende Phantasie des Dich¬<lb/>
ters erfaßte zunächst das Hochdeutsche als die ihm am meisten zusagende Form,<lb/>
in welcher er ein episches Gedicht versuchte, das auf mecklenburgischem Boden<lb/>
spielend den &#x201E;Kampf des Heidenthums gegen das Christenthum aber zugleich<lb/>
auch den der Vaterlands- und Freiheitsliebe gegen die Knechtschaft" darstellen<lb/>
sollte. Die Dichtung kam jedoch über die ersten Anläufe nicht hinaus. 1845<lb/>
begann Reuter hochdeutsch &#x201E;Die Reise nach Belgien" zu schreiben und gleich¬<lb/>
falls hochdeutsch wurde 1847 der Roman angefangen und auch hochdeutsch voll¬<lb/>
endet, welcher später den Titel &#x201E;Ut mine Stromtid" führen und Reuter auf<lb/>
dem Gipfelpunkt seines Schaffens zeigen sollte. Der noch unbekannte Inhaber<lb/>
einer überaus schätzbaren Anweisung auf Ruhm und Unsterblichkeit versuchte<lb/>
es, alte und neue Schnurren, durch deren Erzählung sich seine Landsleute in<lb/>
ähnlicher Weise wie die Italiener an ihren conversa^ionk, die Araber und<lb/>
Perser an ihren Märchen ergötzten, in Reime zu bringen und siehe da! der<lb/>
Pegasus war ihm nicht störrisch, sondern erwies sich vielmehr als williger<lb/>
Träger seines Phantasieränzels. Allmählig überschritten die lustigen roth¬<lb/>
backigen Kinder seiner Muse, welche als &#x201E;Läuschen un Rimels" aus freigebi¬<lb/>
gen Füllhorn überall Frohsinn und Heiterkeit spendeten, die Grenzen seines<lb/>
engeren Vaterlandes, um in ganz Deutschland Zeugniß von dem reichen in<lb/>
der Brust unseres Volkes wohnenden Gemüthsleben abzulegen, bis das Ta¬<lb/>
lent des Dichters, mit seinen größeren Zwecken wachsend, auf jene Höhe ge¬<lb/>
tragen wurde, wo ihm seine drei größten poetischen Werke &#x201E;Ut de Franzosentid",<lb/>
&#x201E;Ut mine Festungstid" und &#x201E;Ut mine Stromtid" so überraschend glückten.<lb/>
Wilbrandt's Bemerkungen über Reuter's einzelne Dichtungen athmen jenen<lb/>
Hauch geistreichen Feinsinns, welcher für den wiener Schriftsteller charakteristisch<lb/>
ist und bieten auch dem Kenner viel Anregendes und Erfreuliches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1419" next="#ID_1420"> Eigenthümlicher aber durchaus zufälliger Weise ist der erste Band des<lb/>
Reuter'schen Nachlasses vorzugsweise satirischen Inhalts. Für den zweiten<lb/>
stellt uns Wilbrandt eine Reihe in Prosa erzählter &#x201E;Läuschen" und die &#x201E;Me¬<lb/>
moiren eines alten Fliegenschimmels" sowie eine Auswahl von Briefen in<lb/>
Aussicht. Wohl finden sich auch in jenem ersten Theile dichterische Gaben,<lb/>
aus denen uns der göttliche Humor in völlig harmloser und naiver Weise<lb/>
reich und voll entgegenströmt. Aber diese erwecken nicht das Hauptinteresse,<lb/>
welches sich vielmehr an andere Poesieen des Bandes knüpft, bei denen aus<lb/>
dem üppigen Rankenwerk und dem reichen Blumenflor der humoristischen Phan¬<lb/>
tasiegebilde scharf und blank geschliffene Stilets hervorglitzern. Es ist von<lb/>
jeher das gute Recht des Humoristen gewesen, die befreienden Mächte des ge¬<lb/>
sunden Menschenverstandes zur Bekämpfung alles Gekünstelten und Verschro-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] In diese Zeit fallen auch die Anfänge von Reuter's dichterischer Thätig¬ keit. Nichts kann irriger sein, als die Annahme einer planmäßigen Absichtlichkeit bet der Neubelebung des Plattdeutschen. Die schaffende Phantasie des Dich¬ ters erfaßte zunächst das Hochdeutsche als die ihm am meisten zusagende Form, in welcher er ein episches Gedicht versuchte, das auf mecklenburgischem Boden spielend den „Kampf des Heidenthums gegen das Christenthum aber zugleich auch den der Vaterlands- und Freiheitsliebe gegen die Knechtschaft" darstellen sollte. Die Dichtung kam jedoch über die ersten Anläufe nicht hinaus. 1845 begann Reuter hochdeutsch „Die Reise nach Belgien" zu schreiben und gleich¬ falls hochdeutsch wurde 1847 der Roman angefangen und auch hochdeutsch voll¬ endet, welcher später den Titel „Ut mine Stromtid" führen und Reuter auf dem Gipfelpunkt seines Schaffens zeigen sollte. Der noch unbekannte Inhaber einer überaus schätzbaren Anweisung auf Ruhm und Unsterblichkeit versuchte es, alte und neue Schnurren, durch deren Erzählung sich seine Landsleute in ähnlicher Weise wie die Italiener an ihren conversa^ionk, die Araber und Perser an ihren Märchen ergötzten, in Reime zu bringen und siehe da! der Pegasus war ihm nicht störrisch, sondern erwies sich vielmehr als williger Träger seines Phantasieränzels. Allmählig überschritten die lustigen roth¬ backigen Kinder seiner Muse, welche als „Läuschen un Rimels" aus freigebi¬ gen Füllhorn überall Frohsinn und Heiterkeit spendeten, die Grenzen seines engeren Vaterlandes, um in ganz Deutschland Zeugniß von dem reichen in der Brust unseres Volkes wohnenden Gemüthsleben abzulegen, bis das Ta¬ lent des Dichters, mit seinen größeren Zwecken wachsend, auf jene Höhe ge¬ tragen wurde, wo ihm seine drei größten poetischen Werke „Ut de Franzosentid", „Ut mine Festungstid" und „Ut mine Stromtid" so überraschend glückten. Wilbrandt's Bemerkungen über Reuter's einzelne Dichtungen athmen jenen Hauch geistreichen Feinsinns, welcher für den wiener Schriftsteller charakteristisch ist und bieten auch dem Kenner viel Anregendes und Erfreuliches. Eigenthümlicher aber durchaus zufälliger Weise ist der erste Band des Reuter'schen Nachlasses vorzugsweise satirischen Inhalts. Für den zweiten stellt uns Wilbrandt eine Reihe in Prosa erzählter „Läuschen" und die „Me¬ moiren eines alten Fliegenschimmels" sowie eine Auswahl von Briefen in Aussicht. Wohl finden sich auch in jenem ersten Theile dichterische Gaben, aus denen uns der göttliche Humor in völlig harmloser und naiver Weise reich und voll entgegenströmt. Aber diese erwecken nicht das Hauptinteresse, welches sich vielmehr an andere Poesieen des Bandes knüpft, bei denen aus dem üppigen Rankenwerk und dem reichen Blumenflor der humoristischen Phan¬ tasiegebilde scharf und blank geschliffene Stilets hervorglitzern. Es ist von jeher das gute Recht des Humoristen gewesen, die befreienden Mächte des ge¬ sunden Menschenverstandes zur Bekämpfung alles Gekünstelten und Verschro-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/440>, abgerufen am 06.02.2025.