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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Sehr schnell überwucherte die Rohheit und Liederlichkeit des damaligen Stu-
dententhums alle diese Versuche, und Orden wie Landsmannschaften waren
gleich widerwärtige Pflanzschulen von Renommisten, Raufbolden und Säu¬
fern. Die schönsten Gesetze standen auf dem Papier, die wüsteste Ueber-
tretung regierte.

Ich gebe zunächst ein paar kurze Notizen über diese Verbindungen. Die
Constantisten, in Halle besonders verbreitet, aber auch in Jena, Göttingen,
Erlangen, Leipzig, Helmstädt und Frankfurt a. d. Oder eine Zeit lang thätig,
sollen 1768 gestiftet worden sein. Die Landsmannschaften feindeten sie stark
an und verschrien sie in späterer Zeit als Jacobiner. Sie sollen indeß Re¬
ligion und Moral zu Pflegen bemüht gewesen sein, und die Universitätsbe¬
hörde in Halle scheint dies geglaubt zu haben, da die Mehrheit des Senats
sie zu autorisiren entschlossen war und nur durch den Widerspruch ihrer
Gegner davon zurückgebracht wurde. Ihre Hauptfeinde waren die "W, (?)
falsche Menschen, die auf allen Universitäten verschrien waren, aber selten die
öffentliche Gottesverehrung versäumten und zu gewissen Zeiten regelmäßig
zum heiligen Abendmahle gingen." Außer ihnen hatte in Halle die Lands¬
mannschaft Silesta in den Independenten einen Orden, und 1798 waren dort
die Orden der Jnviolabilisten, Concordisten und Desparatisten so stark, daß
das Universitätsgericht ihnen nichts anhaben konnte, ja sogar sie in sein In¬
teresse ziehen mußte, wenn es bei der Studentenschaft etwas ausrichten wollte.
In Göttingen waren die schwarzen Brüder obenan, die sich auch bei manchen
Verständigen nicht geringer Achtung erfreut haben sollen, aber trotzdem von
der Negierung verfolgt wurden, und da sie nun keinen Zuwachs erhielten,
eingehen mußten. Sie hüllten sich in tiefes Geheimniß und hatten auch in
Gießen eine Filiale, wo ungefähr um dieselbe Zeit zugleich der Fensterorden
blühte. In Tübingen hatte bereits 1769 Dr. Richeville, ein Freimaurer, eine
Verbindung gegründet, die sich den Orden der gesitteten Menschen nannte.
Die Regierung scheint diese Benennung nicht für zutreffend gehalten zu haben;
denn sie verbot den Orden schon 1770 und verbannte den Stifter aus den
würtembergischen Landen Ob sie dem Lilienorden mit der Devise ^l'vsxvi'anco,
der um dieselbe Zeit dort auftauchte, ebenfalls das Consilium abeundi ertheilt
hat, erhellt aus meiner Quelle nicht.

Als Hauptbeispiel für das Obengesagte möge die Geschichte der.Mosel¬
laner - L an dö in ann sah a se und des Amieisten-Orden s dienen, die
unter den Studentenverbindungen der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr¬
hunderts eine besonders hervorragende Rolle spielten"), und die mit der Ver-



") Bgl. "Der Mosellaner- und Nmicistenordcn" von I. Ch. Laukhard, Halle I7S!>, und
"Graf Guido von Taufkirchen oder Darstellung des zu Jena ausgehöhlten Mosellaner- oder Amt-
e'stcnordcns in historischer, psychologischer und rechtlicher Hinsicht." Weißenfels und Leipzig 1799.

Sehr schnell überwucherte die Rohheit und Liederlichkeit des damaligen Stu-
dententhums alle diese Versuche, und Orden wie Landsmannschaften waren
gleich widerwärtige Pflanzschulen von Renommisten, Raufbolden und Säu¬
fern. Die schönsten Gesetze standen auf dem Papier, die wüsteste Ueber-
tretung regierte.

Ich gebe zunächst ein paar kurze Notizen über diese Verbindungen. Die
Constantisten, in Halle besonders verbreitet, aber auch in Jena, Göttingen,
Erlangen, Leipzig, Helmstädt und Frankfurt a. d. Oder eine Zeit lang thätig,
sollen 1768 gestiftet worden sein. Die Landsmannschaften feindeten sie stark
an und verschrien sie in späterer Zeit als Jacobiner. Sie sollen indeß Re¬
ligion und Moral zu Pflegen bemüht gewesen sein, und die Universitätsbe¬
hörde in Halle scheint dies geglaubt zu haben, da die Mehrheit des Senats
sie zu autorisiren entschlossen war und nur durch den Widerspruch ihrer
Gegner davon zurückgebracht wurde. Ihre Hauptfeinde waren die „W, (?)
falsche Menschen, die auf allen Universitäten verschrien waren, aber selten die
öffentliche Gottesverehrung versäumten und zu gewissen Zeiten regelmäßig
zum heiligen Abendmahle gingen." Außer ihnen hatte in Halle die Lands¬
mannschaft Silesta in den Independenten einen Orden, und 1798 waren dort
die Orden der Jnviolabilisten, Concordisten und Desparatisten so stark, daß
das Universitätsgericht ihnen nichts anhaben konnte, ja sogar sie in sein In¬
teresse ziehen mußte, wenn es bei der Studentenschaft etwas ausrichten wollte.
In Göttingen waren die schwarzen Brüder obenan, die sich auch bei manchen
Verständigen nicht geringer Achtung erfreut haben sollen, aber trotzdem von
der Negierung verfolgt wurden, und da sie nun keinen Zuwachs erhielten,
eingehen mußten. Sie hüllten sich in tiefes Geheimniß und hatten auch in
Gießen eine Filiale, wo ungefähr um dieselbe Zeit zugleich der Fensterorden
blühte. In Tübingen hatte bereits 1769 Dr. Richeville, ein Freimaurer, eine
Verbindung gegründet, die sich den Orden der gesitteten Menschen nannte.
Die Regierung scheint diese Benennung nicht für zutreffend gehalten zu haben;
denn sie verbot den Orden schon 1770 und verbannte den Stifter aus den
würtembergischen Landen Ob sie dem Lilienorden mit der Devise ^l'vsxvi'anco,
der um dieselbe Zeit dort auftauchte, ebenfalls das Consilium abeundi ertheilt
hat, erhellt aus meiner Quelle nicht.

Als Hauptbeispiel für das Obengesagte möge die Geschichte der.Mosel¬
laner - L an dö in ann sah a se und des Amieisten-Orden s dienen, die
unter den Studentenverbindungen der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr¬
hunderts eine besonders hervorragende Rolle spielten"), und die mit der Ver-



") Bgl. „Der Mosellaner- und Nmicistenordcn" von I. Ch. Laukhard, Halle I7S!>, und
„Graf Guido von Taufkirchen oder Darstellung des zu Jena ausgehöhlten Mosellaner- oder Amt-
e'stcnordcns in historischer, psychologischer und rechtlicher Hinsicht." Weißenfels und Leipzig 1799.
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[0408] Sehr schnell überwucherte die Rohheit und Liederlichkeit des damaligen Stu- dententhums alle diese Versuche, und Orden wie Landsmannschaften waren gleich widerwärtige Pflanzschulen von Renommisten, Raufbolden und Säu¬ fern. Die schönsten Gesetze standen auf dem Papier, die wüsteste Ueber- tretung regierte. Ich gebe zunächst ein paar kurze Notizen über diese Verbindungen. Die Constantisten, in Halle besonders verbreitet, aber auch in Jena, Göttingen, Erlangen, Leipzig, Helmstädt und Frankfurt a. d. Oder eine Zeit lang thätig, sollen 1768 gestiftet worden sein. Die Landsmannschaften feindeten sie stark an und verschrien sie in späterer Zeit als Jacobiner. Sie sollen indeß Re¬ ligion und Moral zu Pflegen bemüht gewesen sein, und die Universitätsbe¬ hörde in Halle scheint dies geglaubt zu haben, da die Mehrheit des Senats sie zu autorisiren entschlossen war und nur durch den Widerspruch ihrer Gegner davon zurückgebracht wurde. Ihre Hauptfeinde waren die „W, (?) falsche Menschen, die auf allen Universitäten verschrien waren, aber selten die öffentliche Gottesverehrung versäumten und zu gewissen Zeiten regelmäßig zum heiligen Abendmahle gingen." Außer ihnen hatte in Halle die Lands¬ mannschaft Silesta in den Independenten einen Orden, und 1798 waren dort die Orden der Jnviolabilisten, Concordisten und Desparatisten so stark, daß das Universitätsgericht ihnen nichts anhaben konnte, ja sogar sie in sein In¬ teresse ziehen mußte, wenn es bei der Studentenschaft etwas ausrichten wollte. In Göttingen waren die schwarzen Brüder obenan, die sich auch bei manchen Verständigen nicht geringer Achtung erfreut haben sollen, aber trotzdem von der Negierung verfolgt wurden, und da sie nun keinen Zuwachs erhielten, eingehen mußten. Sie hüllten sich in tiefes Geheimniß und hatten auch in Gießen eine Filiale, wo ungefähr um dieselbe Zeit zugleich der Fensterorden blühte. In Tübingen hatte bereits 1769 Dr. Richeville, ein Freimaurer, eine Verbindung gegründet, die sich den Orden der gesitteten Menschen nannte. Die Regierung scheint diese Benennung nicht für zutreffend gehalten zu haben; denn sie verbot den Orden schon 1770 und verbannte den Stifter aus den würtembergischen Landen Ob sie dem Lilienorden mit der Devise ^l'vsxvi'anco, der um dieselbe Zeit dort auftauchte, ebenfalls das Consilium abeundi ertheilt hat, erhellt aus meiner Quelle nicht. Als Hauptbeispiel für das Obengesagte möge die Geschichte der.Mosel¬ laner - L an dö in ann sah a se und des Amieisten-Orden s dienen, die unter den Studentenverbindungen der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr¬ hunderts eine besonders hervorragende Rolle spielten"), und die mit der Ver- ") Bgl. „Der Mosellaner- und Nmicistenordcn" von I. Ch. Laukhard, Halle I7S!>, und „Graf Guido von Taufkirchen oder Darstellung des zu Jena ausgehöhlten Mosellaner- oder Amt- e'stcnordcns in historischer, psychologischer und rechtlicher Hinsicht." Weißenfels und Leipzig 1799.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/408>, abgerufen am 06.02.2025.