Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.politischen Pfahlbürger, als einer lehrenden und lernenden fremde Zunftge¬ Im vorigen Jahrhundert lockerte sich allmählig dieser Organismus nach Anders die Entstehung der Orden auf den deutschen Hochschulen. politischen Pfahlbürger, als einer lehrenden und lernenden fremde Zunftge¬ Im vorigen Jahrhundert lockerte sich allmählig dieser Organismus nach Anders die Entstehung der Orden auf den deutschen Hochschulen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133694"/> <p xml:id="ID_1302" prev="#ID_1301"> politischen Pfahlbürger, als einer lehrenden und lernenden fremde Zunftge¬<lb/> sellen und in dem ersten Jahre Lehrlinge.</p><lb/> <p xml:id="ID_1303"> Im vorigen Jahrhundert lockerte sich allmählig dieser Organismus nach<lb/> der Seite der Nationen hin, und dieselben verloren ihre Bedeutung zuletzt<lb/> ganz. Dagegen bildeten sich Landsmannschaften, die aber in keiner<lb/> Weise als Erben der Rechte jener officiellen Verbände, sondern nur als die<lb/> Fortsetzung derselben in der Form von Privatinstituten angesehen werden<lb/> dürfen. Studirende, welche aus derselben Gegend stammten, dieselbe Schul¬<lb/> bank gedrückt hatten, fanden sich naturgemäß auf der Universität zusammen,<lb/> besuchten einen und denselben Erholungsort, übten sich gemeinschaftlich im<lb/> Fechten und halfen einander bei Streitigkeiten und in Geldnöthen. Mit der<lb/> Zeit änderte sich dieses einfache Verhältniß. Zu den Landsleuten gesellten<lb/> sich einzelne Fremde von den Commilitonen. Aus den natürlichen Gewohn¬<lb/> heiten landsmännischen Verkehrs entwickelten sich Rechte und Pflichten, die<lb/> mehr ins Einzelne gingen, und in Statutenform ausgedrückt und niederge¬<lb/> schrieben wurden. Das Kränzchen erhielt einen Vorsteher, der wie bei den<lb/> alten Nationen den Titel Senior führte und, wie bei den Handwerksburschen<lb/> der Altgesell, die Beachtung von Brauch und Gesetz der Gemeinschaft über¬<lb/> wachte. Noch später organisirte sich die letztere künstlicher, die Paragraphen<lb/> der Satzungen wuchsen, die Geschäfte wurden von mehreren Beamten versehen,<lb/> man trug in farbigen Abzeichen, Bändern und Kokarden seine Landsmann¬<lb/> schaft zur Schau.</p><lb/> <p xml:id="ID_1304" next="#ID_1305"> Anders die Entstehung der Orden auf den deutschen Hochschulen.<lb/> Immer ist die Studentenwelt die verkleinerte große Welt gewesen, nur war<lb/> das Männchen im Auge, das die letztere reflecttrte, meist ein etwas komisches<lb/> Männchen. Die Landsmannschaften, die späteren Corps, spiegelten en minia-<lb/> ture ziemlich getreu die deutsche Kleinstaaterei mit ihren Sonderinteressen,<lb/> ihrem eitlen Selbstgefühl, ihrer Eifersucht und Streitsucht wieder. Die<lb/> Burschenschaft war Anfangs das Abbild, später in ihrer Deutschthümelei die<lb/> Carricatur der Gedanken und Gefühle, welche die politischen Ideologen nach<lb/> den Freiheitskriegen erfüllten und bewegten, in den dreißiger Jahren ein<lb/> Spiegel, der die Ideen, welche die Julirevolution in die Welt geworfen, in<lb/> einiger Verschwommenheit wiedergab. Und so ging es weiter. Wie die<lb/> jenenser Bierherzogthümer als durch die Einwirkung der Romantik auf die<lb/> Kreise der Studenten hervorgerufene Scherze betrachtet werden müssen, wie<lb/> jetzt die Wingolfiten eine Uebertragung der religiös-politischen Rückwärtsbe¬<lb/> wegung, welche uns die Rauhhäusler, die frommen Gesellenvereine und den<lb/> seligen Treubund bescheerte, auf das akademische Leben sind, wie wir endlich<lb/> das Vorbild der Centrumspartei an verschiedenen Universitäten durch ultra¬<lb/> montane Studentenverbindungen wohl oder übel abeonterfeit sehen, so ließ</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0406]
politischen Pfahlbürger, als einer lehrenden und lernenden fremde Zunftge¬
sellen und in dem ersten Jahre Lehrlinge.
Im vorigen Jahrhundert lockerte sich allmählig dieser Organismus nach
der Seite der Nationen hin, und dieselben verloren ihre Bedeutung zuletzt
ganz. Dagegen bildeten sich Landsmannschaften, die aber in keiner
Weise als Erben der Rechte jener officiellen Verbände, sondern nur als die
Fortsetzung derselben in der Form von Privatinstituten angesehen werden
dürfen. Studirende, welche aus derselben Gegend stammten, dieselbe Schul¬
bank gedrückt hatten, fanden sich naturgemäß auf der Universität zusammen,
besuchten einen und denselben Erholungsort, übten sich gemeinschaftlich im
Fechten und halfen einander bei Streitigkeiten und in Geldnöthen. Mit der
Zeit änderte sich dieses einfache Verhältniß. Zu den Landsleuten gesellten
sich einzelne Fremde von den Commilitonen. Aus den natürlichen Gewohn¬
heiten landsmännischen Verkehrs entwickelten sich Rechte und Pflichten, die
mehr ins Einzelne gingen, und in Statutenform ausgedrückt und niederge¬
schrieben wurden. Das Kränzchen erhielt einen Vorsteher, der wie bei den
alten Nationen den Titel Senior führte und, wie bei den Handwerksburschen
der Altgesell, die Beachtung von Brauch und Gesetz der Gemeinschaft über¬
wachte. Noch später organisirte sich die letztere künstlicher, die Paragraphen
der Satzungen wuchsen, die Geschäfte wurden von mehreren Beamten versehen,
man trug in farbigen Abzeichen, Bändern und Kokarden seine Landsmann¬
schaft zur Schau.
Anders die Entstehung der Orden auf den deutschen Hochschulen.
Immer ist die Studentenwelt die verkleinerte große Welt gewesen, nur war
das Männchen im Auge, das die letztere reflecttrte, meist ein etwas komisches
Männchen. Die Landsmannschaften, die späteren Corps, spiegelten en minia-
ture ziemlich getreu die deutsche Kleinstaaterei mit ihren Sonderinteressen,
ihrem eitlen Selbstgefühl, ihrer Eifersucht und Streitsucht wieder. Die
Burschenschaft war Anfangs das Abbild, später in ihrer Deutschthümelei die
Carricatur der Gedanken und Gefühle, welche die politischen Ideologen nach
den Freiheitskriegen erfüllten und bewegten, in den dreißiger Jahren ein
Spiegel, der die Ideen, welche die Julirevolution in die Welt geworfen, in
einiger Verschwommenheit wiedergab. Und so ging es weiter. Wie die
jenenser Bierherzogthümer als durch die Einwirkung der Romantik auf die
Kreise der Studenten hervorgerufene Scherze betrachtet werden müssen, wie
jetzt die Wingolfiten eine Uebertragung der religiös-politischen Rückwärtsbe¬
wegung, welche uns die Rauhhäusler, die frommen Gesellenvereine und den
seligen Treubund bescheerte, auf das akademische Leben sind, wie wir endlich
das Vorbild der Centrumspartei an verschiedenen Universitäten durch ultra¬
montane Studentenverbindungen wohl oder übel abeonterfeit sehen, so ließ
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