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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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sucht! Daß unter jenen 14 Köpfen der neuen Linken 10 Vertreter ultramon¬
taner Wahlbezirke sind, beweist am besten die Richtigkeit unserer früheren Be¬
hauptung, daß die sogenannte deutsche Volkspartei nur noch ein unselbstän¬
diges Anhängsel der clerikalen Partei ist.

In wie weit jenes bisher ungewohnte Zusammengehen aller übrigen
Fraktionen dem in unserem letzten Artikel signalisirten Eingreifen einer neuen
leitenden Persönlichkeit zuzuschreiben ist, wagen wir heute noch nicht mit
voller Bestimmtheit zu sagen: nur so viel ist gewiß, daß unsere kirchlichen
Verhältnisse in den letzten Tagen, offenbar unter dem Zusammenwirken der¬
selben Umstände einen sichtlichen Fortschritt gemacht haben. Während die
Aufregung in den protestantischen Kreisen -- genährt durch die Stuttgarter
Localpresse -- wächst, ermannt sich auch sichtlich die Regierung. Sonderbar
erscheint dabei freilich immer die parallel laufende Thätigkeit des Staats¬
ministers und Consistorialpräsidenten von Golther aus der einen und des
Ministeriums auf der andern Seite. Ersterer hat so eben sich bewogen
gefunden, in einem vertraulichen Schreiben an sämmtliche protestantischen
Decane des Landes seine persönliche Stellung als Consistorialpräfident zu
den neuesten Bestrebungen für katholische Klosterzwecke zu rechtfertigen und
zu entschuldigen; wie wir glauben, ohne Erfolg. Unerklärlich bleibt es immer,
warum das Ministerium, wenn es, wie uns versichert wird, das Vorgehen
des Herrn von Golther mißbilligt, dem Letzteren dennoch gestattet, den welt¬
lichen Bezirksbeamten wie den Decanaten Weisungen zu ertheilen, welche
der Politik des Ministeriums direct widerstreiten, und überdieß einen ganz
unstatthaften Gewissenszwang gegenüber diesen protestantischen Bezirksbeamten
involviren, deren Ansehen und amtliche Stellung nicht gehoben wird, wenn
sie die Aufrufe des Herrn von Golther zu Gunsten des mehrerwähnten katho¬
lischen Frauenklosters in amtlicher Eigenschaft in ihren Amtsblättern publi-
ciren und dadurch dem Unternehmen des Consistorialpräsidenten auf die Beine
helfen sollen.

Auf der andern Seite haben die Bestrebungen für die Einführung der
katholischen Schulschwestern in den letzten Tagen zu einer sehr interessanten
officiösen Publication des jetzigen Cultusministeriums geführt. Unser Kirchen¬
gesetz bestimmt nämlich in Art. 15, daß geistliche Congregationen und Orden
vom Bischof und mit "ausdrücklicher Genehmigung" der Staatsregierung
im Königreich eingeführt werden können.

Damit sollte gerade eine blos factische Einführung solcher Orden ohne
ausdrückliche, publicirte Erklärung der Staatsregierung, wie sie bisjetzt nun
bezüglich der barmherzigen Schwestern erfolgt ist -- ausgeschlossen sein, weil
man eben den Schlichen und Irrwegen unserer Klerikalen nicht traute. Wie
groß war daher das allgemeine Erstaunen, als neulich der Staatsanzeiger in


sucht! Daß unter jenen 14 Köpfen der neuen Linken 10 Vertreter ultramon¬
taner Wahlbezirke sind, beweist am besten die Richtigkeit unserer früheren Be¬
hauptung, daß die sogenannte deutsche Volkspartei nur noch ein unselbstän¬
diges Anhängsel der clerikalen Partei ist.

In wie weit jenes bisher ungewohnte Zusammengehen aller übrigen
Fraktionen dem in unserem letzten Artikel signalisirten Eingreifen einer neuen
leitenden Persönlichkeit zuzuschreiben ist, wagen wir heute noch nicht mit
voller Bestimmtheit zu sagen: nur so viel ist gewiß, daß unsere kirchlichen
Verhältnisse in den letzten Tagen, offenbar unter dem Zusammenwirken der¬
selben Umstände einen sichtlichen Fortschritt gemacht haben. Während die
Aufregung in den protestantischen Kreisen — genährt durch die Stuttgarter
Localpresse — wächst, ermannt sich auch sichtlich die Regierung. Sonderbar
erscheint dabei freilich immer die parallel laufende Thätigkeit des Staats¬
ministers und Consistorialpräsidenten von Golther aus der einen und des
Ministeriums auf der andern Seite. Ersterer hat so eben sich bewogen
gefunden, in einem vertraulichen Schreiben an sämmtliche protestantischen
Decane des Landes seine persönliche Stellung als Consistorialpräfident zu
den neuesten Bestrebungen für katholische Klosterzwecke zu rechtfertigen und
zu entschuldigen; wie wir glauben, ohne Erfolg. Unerklärlich bleibt es immer,
warum das Ministerium, wenn es, wie uns versichert wird, das Vorgehen
des Herrn von Golther mißbilligt, dem Letzteren dennoch gestattet, den welt¬
lichen Bezirksbeamten wie den Decanaten Weisungen zu ertheilen, welche
der Politik des Ministeriums direct widerstreiten, und überdieß einen ganz
unstatthaften Gewissenszwang gegenüber diesen protestantischen Bezirksbeamten
involviren, deren Ansehen und amtliche Stellung nicht gehoben wird, wenn
sie die Aufrufe des Herrn von Golther zu Gunsten des mehrerwähnten katho¬
lischen Frauenklosters in amtlicher Eigenschaft in ihren Amtsblättern publi-
ciren und dadurch dem Unternehmen des Consistorialpräsidenten auf die Beine
helfen sollen.

Auf der andern Seite haben die Bestrebungen für die Einführung der
katholischen Schulschwestern in den letzten Tagen zu einer sehr interessanten
officiösen Publication des jetzigen Cultusministeriums geführt. Unser Kirchen¬
gesetz bestimmt nämlich in Art. 15, daß geistliche Congregationen und Orden
vom Bischof und mit „ausdrücklicher Genehmigung" der Staatsregierung
im Königreich eingeführt werden können.

Damit sollte gerade eine blos factische Einführung solcher Orden ohne
ausdrückliche, publicirte Erklärung der Staatsregierung, wie sie bisjetzt nun
bezüglich der barmherzigen Schwestern erfolgt ist — ausgeschlossen sein, weil
man eben den Schlichen und Irrwegen unserer Klerikalen nicht traute. Wie
groß war daher das allgemeine Erstaunen, als neulich der Staatsanzeiger in


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[0039] sucht! Daß unter jenen 14 Köpfen der neuen Linken 10 Vertreter ultramon¬ taner Wahlbezirke sind, beweist am besten die Richtigkeit unserer früheren Be¬ hauptung, daß die sogenannte deutsche Volkspartei nur noch ein unselbstän¬ diges Anhängsel der clerikalen Partei ist. In wie weit jenes bisher ungewohnte Zusammengehen aller übrigen Fraktionen dem in unserem letzten Artikel signalisirten Eingreifen einer neuen leitenden Persönlichkeit zuzuschreiben ist, wagen wir heute noch nicht mit voller Bestimmtheit zu sagen: nur so viel ist gewiß, daß unsere kirchlichen Verhältnisse in den letzten Tagen, offenbar unter dem Zusammenwirken der¬ selben Umstände einen sichtlichen Fortschritt gemacht haben. Während die Aufregung in den protestantischen Kreisen — genährt durch die Stuttgarter Localpresse — wächst, ermannt sich auch sichtlich die Regierung. Sonderbar erscheint dabei freilich immer die parallel laufende Thätigkeit des Staats¬ ministers und Consistorialpräsidenten von Golther aus der einen und des Ministeriums auf der andern Seite. Ersterer hat so eben sich bewogen gefunden, in einem vertraulichen Schreiben an sämmtliche protestantischen Decane des Landes seine persönliche Stellung als Consistorialpräfident zu den neuesten Bestrebungen für katholische Klosterzwecke zu rechtfertigen und zu entschuldigen; wie wir glauben, ohne Erfolg. Unerklärlich bleibt es immer, warum das Ministerium, wenn es, wie uns versichert wird, das Vorgehen des Herrn von Golther mißbilligt, dem Letzteren dennoch gestattet, den welt¬ lichen Bezirksbeamten wie den Decanaten Weisungen zu ertheilen, welche der Politik des Ministeriums direct widerstreiten, und überdieß einen ganz unstatthaften Gewissenszwang gegenüber diesen protestantischen Bezirksbeamten involviren, deren Ansehen und amtliche Stellung nicht gehoben wird, wenn sie die Aufrufe des Herrn von Golther zu Gunsten des mehrerwähnten katho¬ lischen Frauenklosters in amtlicher Eigenschaft in ihren Amtsblättern publi- ciren und dadurch dem Unternehmen des Consistorialpräsidenten auf die Beine helfen sollen. Auf der andern Seite haben die Bestrebungen für die Einführung der katholischen Schulschwestern in den letzten Tagen zu einer sehr interessanten officiösen Publication des jetzigen Cultusministeriums geführt. Unser Kirchen¬ gesetz bestimmt nämlich in Art. 15, daß geistliche Congregationen und Orden vom Bischof und mit „ausdrücklicher Genehmigung" der Staatsregierung im Königreich eingeführt werden können. Damit sollte gerade eine blos factische Einführung solcher Orden ohne ausdrückliche, publicirte Erklärung der Staatsregierung, wie sie bisjetzt nun bezüglich der barmherzigen Schwestern erfolgt ist — ausgeschlossen sein, weil man eben den Schlichen und Irrwegen unserer Klerikalen nicht traute. Wie groß war daher das allgemeine Erstaunen, als neulich der Staatsanzeiger in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/39>, abgerufen am 06.02.2025.