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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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wenigstens zum Theile der Versuchung. Das reiche Gepäck der Franzosen
ging denn auch fast ganz verloren. -- Jetzt hätten nun die auf dem rechten
Taroufer zurückgelassenen Corps von Bentivoglio und Urbino herüberkommen
und eingreifen müssen; aber diese Herren, welche schon gleich zu Anfang der
Schlacht den richtigen Moment versäumt, mochten den Rückhalt des Heeres
nicht aufs Spiel setzen und blieben hinter dem anschwellenden Taro, von
niederrauschenden Regen - und Hagelwetter eingehüllt, ruhig stehn. Da fin¬
gen denn Gonzaga's Truppen an, über den Taro zurückzugehn. Ihnen
folgten die französischen Ritter, und bei dieser Flußüberschreitung dürften die
meisten Venetianer umgekommen sein. Die französischen Gensdarmes gaben
keinen Pardon und oft erscholl aus ihren Reihen der Ruf: "Louvviuzü-vvuL
Ac (suiulzgatc;!" um Jedermann daran zu erinnern, wie leicht ein schon ge¬
wonnener Sieg durch den Hang zur Plünderung in sein Gegentheil umschla¬
gen könne. Ein junger Reitersmann brachte dem König eine Fahne, die er
den Feinden abgenommen hatte und erhielt dafür 500 Goldthaler zur Be¬
lohnung. Es war Bayard.

Die Schlacht hatte nur eine Stunde gedauert, aber mehr als 6000
Todte deckten die Wahlstatt, darunter 300 italienische und 200 französische
Gendarmes.*)

Die Artillerie Charles' entsprach nicht ganz den Erwartungen. Obgleich
sie, gut placirt, fast während der ganzen Schlacht ununterbrochen feuerte und,
selbst auf die Gefahr hin, vom Feinde genommen zu werden, standhaft in
Batterie blieb, so waren die Erfolge doch nicht glänzend; Commes versichert,
daß die Artillerie beider Armeen nicht zehn Mann getödtet habe, und
Guicciardini berichtet dasselbe. Nach Marino Sanuto hat das seinen Grund
darin gehabt, daß das Pulver naß gewesen sei wegen des beständigen Regens"");
aber wenn das der Fall war, so hätte die Artillerie doch nicht ununterbrochen
feuern können. Der Grund des geringen Erfolges war offenbar ein anderer.
Gleich bei diesem ersten Auftreten einer wirklichen Feldartillerie beging dieselbe
nämlich einen Fehler, der seitdem noch so unendlich oft vorgekommen ist und
von dem Napoleon I. sagte, daß er einem falsch verstandenen Selbsterhaltungs¬
triebe entspringe. Sie verbiß sich nämlich in ein Specialgefecht mit der feind¬
lichen Artillerie jenseits des Taro, statt ihre Wirkung auf die großen ge¬
schlossenen Infanterie- und Reitermassen zu richten, welche bei ihrer damaligen
Formation nicht zu verfehlende Ziele abgeben mußten.***) So litten die
Italiener eigentlich nur wenig durch das französische Geschütz. Indeß die





*) tZuiv"!g.i-<,Ani lib, II. ^srronus und Stettler geben den Verlust der Italiener bedeu¬
tend höher an.
Muratori tom. 24.
Louis Napoleon.

wenigstens zum Theile der Versuchung. Das reiche Gepäck der Franzosen
ging denn auch fast ganz verloren. — Jetzt hätten nun die auf dem rechten
Taroufer zurückgelassenen Corps von Bentivoglio und Urbino herüberkommen
und eingreifen müssen; aber diese Herren, welche schon gleich zu Anfang der
Schlacht den richtigen Moment versäumt, mochten den Rückhalt des Heeres
nicht aufs Spiel setzen und blieben hinter dem anschwellenden Taro, von
niederrauschenden Regen - und Hagelwetter eingehüllt, ruhig stehn. Da fin¬
gen denn Gonzaga's Truppen an, über den Taro zurückzugehn. Ihnen
folgten die französischen Ritter, und bei dieser Flußüberschreitung dürften die
meisten Venetianer umgekommen sein. Die französischen Gensdarmes gaben
keinen Pardon und oft erscholl aus ihren Reihen der Ruf: „Louvviuzü-vvuL
Ac (suiulzgatc;!" um Jedermann daran zu erinnern, wie leicht ein schon ge¬
wonnener Sieg durch den Hang zur Plünderung in sein Gegentheil umschla¬
gen könne. Ein junger Reitersmann brachte dem König eine Fahne, die er
den Feinden abgenommen hatte und erhielt dafür 500 Goldthaler zur Be¬
lohnung. Es war Bayard.

Die Schlacht hatte nur eine Stunde gedauert, aber mehr als 6000
Todte deckten die Wahlstatt, darunter 300 italienische und 200 französische
Gendarmes.*)

Die Artillerie Charles' entsprach nicht ganz den Erwartungen. Obgleich
sie, gut placirt, fast während der ganzen Schlacht ununterbrochen feuerte und,
selbst auf die Gefahr hin, vom Feinde genommen zu werden, standhaft in
Batterie blieb, so waren die Erfolge doch nicht glänzend; Commes versichert,
daß die Artillerie beider Armeen nicht zehn Mann getödtet habe, und
Guicciardini berichtet dasselbe. Nach Marino Sanuto hat das seinen Grund
darin gehabt, daß das Pulver naß gewesen sei wegen des beständigen Regens"");
aber wenn das der Fall war, so hätte die Artillerie doch nicht ununterbrochen
feuern können. Der Grund des geringen Erfolges war offenbar ein anderer.
Gleich bei diesem ersten Auftreten einer wirklichen Feldartillerie beging dieselbe
nämlich einen Fehler, der seitdem noch so unendlich oft vorgekommen ist und
von dem Napoleon I. sagte, daß er einem falsch verstandenen Selbsterhaltungs¬
triebe entspringe. Sie verbiß sich nämlich in ein Specialgefecht mit der feind¬
lichen Artillerie jenseits des Taro, statt ihre Wirkung auf die großen ge¬
schlossenen Infanterie- und Reitermassen zu richten, welche bei ihrer damaligen
Formation nicht zu verfehlende Ziele abgeben mußten.***) So litten die
Italiener eigentlich nur wenig durch das französische Geschütz. Indeß die





*) tZuiv«!g.i-<,Ani lib, II. ^srronus und Stettler geben den Verlust der Italiener bedeu¬
tend höher an.
Muratori tom. 24.
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[0376] wenigstens zum Theile der Versuchung. Das reiche Gepäck der Franzosen ging denn auch fast ganz verloren. — Jetzt hätten nun die auf dem rechten Taroufer zurückgelassenen Corps von Bentivoglio und Urbino herüberkommen und eingreifen müssen; aber diese Herren, welche schon gleich zu Anfang der Schlacht den richtigen Moment versäumt, mochten den Rückhalt des Heeres nicht aufs Spiel setzen und blieben hinter dem anschwellenden Taro, von niederrauschenden Regen - und Hagelwetter eingehüllt, ruhig stehn. Da fin¬ gen denn Gonzaga's Truppen an, über den Taro zurückzugehn. Ihnen folgten die französischen Ritter, und bei dieser Flußüberschreitung dürften die meisten Venetianer umgekommen sein. Die französischen Gensdarmes gaben keinen Pardon und oft erscholl aus ihren Reihen der Ruf: „Louvviuzü-vvuL Ac (suiulzgatc;!" um Jedermann daran zu erinnern, wie leicht ein schon ge¬ wonnener Sieg durch den Hang zur Plünderung in sein Gegentheil umschla¬ gen könne. Ein junger Reitersmann brachte dem König eine Fahne, die er den Feinden abgenommen hatte und erhielt dafür 500 Goldthaler zur Be¬ lohnung. Es war Bayard. Die Schlacht hatte nur eine Stunde gedauert, aber mehr als 6000 Todte deckten die Wahlstatt, darunter 300 italienische und 200 französische Gendarmes.*) Die Artillerie Charles' entsprach nicht ganz den Erwartungen. Obgleich sie, gut placirt, fast während der ganzen Schlacht ununterbrochen feuerte und, selbst auf die Gefahr hin, vom Feinde genommen zu werden, standhaft in Batterie blieb, so waren die Erfolge doch nicht glänzend; Commes versichert, daß die Artillerie beider Armeen nicht zehn Mann getödtet habe, und Guicciardini berichtet dasselbe. Nach Marino Sanuto hat das seinen Grund darin gehabt, daß das Pulver naß gewesen sei wegen des beständigen Regens""); aber wenn das der Fall war, so hätte die Artillerie doch nicht ununterbrochen feuern können. Der Grund des geringen Erfolges war offenbar ein anderer. Gleich bei diesem ersten Auftreten einer wirklichen Feldartillerie beging dieselbe nämlich einen Fehler, der seitdem noch so unendlich oft vorgekommen ist und von dem Napoleon I. sagte, daß er einem falsch verstandenen Selbsterhaltungs¬ triebe entspringe. Sie verbiß sich nämlich in ein Specialgefecht mit der feind¬ lichen Artillerie jenseits des Taro, statt ihre Wirkung auf die großen ge¬ schlossenen Infanterie- und Reitermassen zu richten, welche bei ihrer damaligen Formation nicht zu verfehlende Ziele abgeben mußten.***) So litten die Italiener eigentlich nur wenig durch das französische Geschütz. Indeß die *) tZuiv«!g.i-<,Ani lib, II. ^srronus und Stettler geben den Verlust der Italiener bedeu¬ tend höher an. Muratori tom. 24. Louis Napoleon.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/376>, abgerufen am 06.02.2025.