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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Den ersten bedeutenden Ruf hatte sich diese Artillerie in dem Feldzuge
gegen den Herzog von der Bretagne erworben, wo sie in der Schlacht von
Se. Aubin du' Cormier gegen die englischen und deutschen Hilfstruppen
bedeutende Wirkungen erzielte.

Die Stärke des Artillerie-Parks, welchen Charles VIII. nach Italien
mitgenommen, belief sich auf ungefähr 140 Stück, also nahezu 5 Geschütze
auf 1000 Mann. 36 davon dürften schweren Kalibers gewesen und auf
dem erwähnten Seewege nach Sarzana geschafft worden sein.*)

Die Artilleriemannschaft bestand aus 300 Büchsenmeistern, 6200 Pio¬
nieren (vastaZeurs--Mstg-üori), 4000 Fahrern und einer großen Zahl Hand¬
werker. An Artillerie und Trainpferden befanden sich 8000 Stück beim Heere,
um Geschütze, Zelte, Schiffbrücken und das Gepäck fortzuschaffen.**) -- Als
diese Artillerie die Alpen überschritten, flößte sie, wie Paulus Jovius ver¬
sichert, Entsetzen ein; denn man hatte in Italien nie etwas Aehnliches gesehn
noch für möglich gehalten.

Am 1. September 1494 überschritt Charles VIII. die Grenze und er¬
reichte bald darauf Turin, wo er auf das Glänzendste empfangen wurde.
Die Regentinnen Biancha von Savoyen und Maria von Montserrat überlie¬
ferten dem Könige, um seiner Geldnoth zu steuern, ihre Juwelen und Dia-
manten. welche er sogleich für 24000 Dukaten versetzte.

Das Erscheinen der französischen Armee auf dem Boden der Apenninen¬
halbinsel erfüllte die Italiener mit Schrecken und Besorgniß. Anstatt nun
aber von ihren inneren Parteikämpfen abzulassen und sich zum gemeinsamen
Widerstande gegen den Nationalfeind zu vereinigen, verloren sie vollends den
Muth und erleichterten durch Unsicherheit, Intriguen und unthätiges
Hin- und Herschwanken den Sieg der Franzosen. -- Nicht ihr Widerstand,
sondern seine Kränklichkeit nöthigten Charles, fast einen Monat in Asti liegen
zu bleiben, und beinahe wäre die ganze Unternehmung wieder ausgegeben
worden, wenn nicht der Usurpator von Mailand den König besonders durch
Geldvorschüsse bestimmt hätte, das begonnene Werk fortzusetzen. Lodovico
Moro selbst nahm übrigens persönlich nicht an dem Zuge Theil; denn auf
die Nachricht, daß der rechtmäßige Herzog von Mailand -- wahrscheinlich an




*) Die Verifizirung dieser Daten vergleiche bei Louis Napoleon, welcher die vor ihm von
allen Schriftstellern gegebenen abenteuerlichen Angaben von 240 schweren und 2040 leichten
Geschützen oder auch von 1200 Geschützen in überzeugender Weise aus ihr richtiges Maß zu¬
rückgeführt. Die unsinnige Zahl ist bei den einen durch gedankenloses Nachschreiben eines
Schreibfehlers (xiüoos statt insi-i-os--Steinkugcln) bei den andern durch Mißversteh" des Aus¬
drucks v-rst-rrcleur entstanden, den man für die Bezeichnung schwerer Geschütze hielt, während
er Schanzgräber sFUÄswcloi-gs) bedeutet.
") Kolxzi't "AKuin, Ilistoirv VKarlss VIII. L<Zit. "koM-o?.

Den ersten bedeutenden Ruf hatte sich diese Artillerie in dem Feldzuge
gegen den Herzog von der Bretagne erworben, wo sie in der Schlacht von
Se. Aubin du' Cormier gegen die englischen und deutschen Hilfstruppen
bedeutende Wirkungen erzielte.

Die Stärke des Artillerie-Parks, welchen Charles VIII. nach Italien
mitgenommen, belief sich auf ungefähr 140 Stück, also nahezu 5 Geschütze
auf 1000 Mann. 36 davon dürften schweren Kalibers gewesen und auf
dem erwähnten Seewege nach Sarzana geschafft worden sein.*)

Die Artilleriemannschaft bestand aus 300 Büchsenmeistern, 6200 Pio¬
nieren (vastaZeurs—Mstg-üori), 4000 Fahrern und einer großen Zahl Hand¬
werker. An Artillerie und Trainpferden befanden sich 8000 Stück beim Heere,
um Geschütze, Zelte, Schiffbrücken und das Gepäck fortzuschaffen.**) — Als
diese Artillerie die Alpen überschritten, flößte sie, wie Paulus Jovius ver¬
sichert, Entsetzen ein; denn man hatte in Italien nie etwas Aehnliches gesehn
noch für möglich gehalten.

Am 1. September 1494 überschritt Charles VIII. die Grenze und er¬
reichte bald darauf Turin, wo er auf das Glänzendste empfangen wurde.
Die Regentinnen Biancha von Savoyen und Maria von Montserrat überlie¬
ferten dem Könige, um seiner Geldnoth zu steuern, ihre Juwelen und Dia-
manten. welche er sogleich für 24000 Dukaten versetzte.

Das Erscheinen der französischen Armee auf dem Boden der Apenninen¬
halbinsel erfüllte die Italiener mit Schrecken und Besorgniß. Anstatt nun
aber von ihren inneren Parteikämpfen abzulassen und sich zum gemeinsamen
Widerstande gegen den Nationalfeind zu vereinigen, verloren sie vollends den
Muth und erleichterten durch Unsicherheit, Intriguen und unthätiges
Hin- und Herschwanken den Sieg der Franzosen. — Nicht ihr Widerstand,
sondern seine Kränklichkeit nöthigten Charles, fast einen Monat in Asti liegen
zu bleiben, und beinahe wäre die ganze Unternehmung wieder ausgegeben
worden, wenn nicht der Usurpator von Mailand den König besonders durch
Geldvorschüsse bestimmt hätte, das begonnene Werk fortzusetzen. Lodovico
Moro selbst nahm übrigens persönlich nicht an dem Zuge Theil; denn auf
die Nachricht, daß der rechtmäßige Herzog von Mailand — wahrscheinlich an




*) Die Verifizirung dieser Daten vergleiche bei Louis Napoleon, welcher die vor ihm von
allen Schriftstellern gegebenen abenteuerlichen Angaben von 240 schweren und 2040 leichten
Geschützen oder auch von 1200 Geschützen in überzeugender Weise aus ihr richtiges Maß zu¬
rückgeführt. Die unsinnige Zahl ist bei den einen durch gedankenloses Nachschreiben eines
Schreibfehlers (xiüoos statt insi-i-os—Steinkugcln) bei den andern durch Mißversteh» des Aus¬
drucks v-rst-rrcleur entstanden, den man für die Bezeichnung schwerer Geschütze hielt, während
er Schanzgräber sFUÄswcloi-gs) bedeutet.
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[0338] Den ersten bedeutenden Ruf hatte sich diese Artillerie in dem Feldzuge gegen den Herzog von der Bretagne erworben, wo sie in der Schlacht von Se. Aubin du' Cormier gegen die englischen und deutschen Hilfstruppen bedeutende Wirkungen erzielte. Die Stärke des Artillerie-Parks, welchen Charles VIII. nach Italien mitgenommen, belief sich auf ungefähr 140 Stück, also nahezu 5 Geschütze auf 1000 Mann. 36 davon dürften schweren Kalibers gewesen und auf dem erwähnten Seewege nach Sarzana geschafft worden sein.*) Die Artilleriemannschaft bestand aus 300 Büchsenmeistern, 6200 Pio¬ nieren (vastaZeurs—Mstg-üori), 4000 Fahrern und einer großen Zahl Hand¬ werker. An Artillerie und Trainpferden befanden sich 8000 Stück beim Heere, um Geschütze, Zelte, Schiffbrücken und das Gepäck fortzuschaffen.**) — Als diese Artillerie die Alpen überschritten, flößte sie, wie Paulus Jovius ver¬ sichert, Entsetzen ein; denn man hatte in Italien nie etwas Aehnliches gesehn noch für möglich gehalten. Am 1. September 1494 überschritt Charles VIII. die Grenze und er¬ reichte bald darauf Turin, wo er auf das Glänzendste empfangen wurde. Die Regentinnen Biancha von Savoyen und Maria von Montserrat überlie¬ ferten dem Könige, um seiner Geldnoth zu steuern, ihre Juwelen und Dia- manten. welche er sogleich für 24000 Dukaten versetzte. Das Erscheinen der französischen Armee auf dem Boden der Apenninen¬ halbinsel erfüllte die Italiener mit Schrecken und Besorgniß. Anstatt nun aber von ihren inneren Parteikämpfen abzulassen und sich zum gemeinsamen Widerstande gegen den Nationalfeind zu vereinigen, verloren sie vollends den Muth und erleichterten durch Unsicherheit, Intriguen und unthätiges Hin- und Herschwanken den Sieg der Franzosen. — Nicht ihr Widerstand, sondern seine Kränklichkeit nöthigten Charles, fast einen Monat in Asti liegen zu bleiben, und beinahe wäre die ganze Unternehmung wieder ausgegeben worden, wenn nicht der Usurpator von Mailand den König besonders durch Geldvorschüsse bestimmt hätte, das begonnene Werk fortzusetzen. Lodovico Moro selbst nahm übrigens persönlich nicht an dem Zuge Theil; denn auf die Nachricht, daß der rechtmäßige Herzog von Mailand — wahrscheinlich an *) Die Verifizirung dieser Daten vergleiche bei Louis Napoleon, welcher die vor ihm von allen Schriftstellern gegebenen abenteuerlichen Angaben von 240 schweren und 2040 leichten Geschützen oder auch von 1200 Geschützen in überzeugender Weise aus ihr richtiges Maß zu¬ rückgeführt. Die unsinnige Zahl ist bei den einen durch gedankenloses Nachschreiben eines Schreibfehlers (xiüoos statt insi-i-os—Steinkugcln) bei den andern durch Mißversteh» des Aus¬ drucks v-rst-rrcleur entstanden, den man für die Bezeichnung schwerer Geschütze hielt, während er Schanzgräber sFUÄswcloi-gs) bedeutet. ") Kolxzi't «AKuin, Ilistoirv VKarlss VIII. L<Zit. «koM-o?.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/338>, abgerufen am 06.02.2025.