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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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brachte ihn Lodovico Moro, der sich auf dem widerrechtlich bestiegenen Her¬
zogsstuhle von Mailand mit französischer Hilfe festsetzen wollte, endlich zur
Reife.*) Die venetianische Republik und der Papst erklärten ihre Neutrali¬
tät, und wenn auch das medizäische Florenz zu den aragonischer Fürsten
hinzuneigen schien, in deren Händen sich das schöne unteritalische Königreich
befand, so traten den französischen Unterhändlern doch in Italien die Zer¬
rissenheit des Landes, die Spaltung zwischen Dynasten und Bürgern, das
verwahrloste Heerwesen unter den Händen unfähiger Condottieren, die ge¬
lockerte Mannszucht und schlechte Bewaffnung der verwilderten Kriegsbanden
so augenscheinlich entgegen, daß man sich sehr wohl einen günstigen Erfolg
versprechen konnte.

Wie geheim auch der König seine Pläne hielt, so trat doch endlich der
Zeitpunkt ein, wo er sie offenbaren mußte. Sein Günstling De Vesc wollte
je eher je lieber in Besitz des ihm verheißenen italienischen Herzogthums ge¬
langen. Unter seinem Einfluß wurde ein großes Tournier zu Leon angesetzt,
und während der Festlichkeit desselben erfolgte im Frühling 1494 die Erklä¬
rung , welche von der ganzen jugendlichen französischen Ritterschaft mit Freu¬
den aufgenommen wurde."*) Es war ein übereilter Beschluß; denn es fehlte
an Geld und der Winter war vor der Thür. Für das erste wußten die
Rathgeber des Königs, nachdem der Ertrag einer Zwangsanleihe bereits durch die
Hoffeste und die Truppenrüstung verzehrt worden war, keinen andern Aus¬
weg, als aus hohe Zinsen zu borgen, die königlichen Einkünfte mit bedeuten¬
dem Verlust zu anticipiren und die Domainen zu verpfänden. Es wurde
überall, namentlich bei genuesischen Bankiers geborgt und bis auf 56 Procent
Zinsen versprochen. Den Vorwand zu einer solchen Verschwendung gab der
angeblich bedrohte katholische Glaube her, sowie die Fortschritte der Türken,
die Ansprüche Frankreichs auf Neapel und die dadurch zu gewinnenden Ein¬
künfte, durch welche die Lasten des Volkes sehr erleichtert würden u. s. w.

So unternahm denn Frankreich seinen ersten Eroberungszug nach Italien
und eröffnete dem militärischen Ehrgeiz einen Weg, der seitdem so oft betreten
werden sollte. Da Frankreich aber nun einmal nicht anders kann, als eom-
dlMi-v pour uns leise, so mußte der populäre Türkenzug als Maske dienen,
und zu dem Behufe ließ sich Charles VIII. von den Neffen des verjagten
griechischen Kaisers dessen Rechte auf das byzantinische Reich abtreten.***)





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-") l^dicam Zu rvsns Zo cilisrles VIII. (Petitors Memoirensammlung.) -- Die wichtig'
sten neueren Werke über den nat. Feldzug Charles' VIII. sind:
Havemann, Gesch. der nat.-sranzvs, Kriege. Hannover 1833.
?6Jo>Rollt!, 1^ osnipirgno Z<Z Vlmrlvi, VIII. I'-rri" 180ki.

brachte ihn Lodovico Moro, der sich auf dem widerrechtlich bestiegenen Her¬
zogsstuhle von Mailand mit französischer Hilfe festsetzen wollte, endlich zur
Reife.*) Die venetianische Republik und der Papst erklärten ihre Neutrali¬
tät, und wenn auch das medizäische Florenz zu den aragonischer Fürsten
hinzuneigen schien, in deren Händen sich das schöne unteritalische Königreich
befand, so traten den französischen Unterhändlern doch in Italien die Zer¬
rissenheit des Landes, die Spaltung zwischen Dynasten und Bürgern, das
verwahrloste Heerwesen unter den Händen unfähiger Condottieren, die ge¬
lockerte Mannszucht und schlechte Bewaffnung der verwilderten Kriegsbanden
so augenscheinlich entgegen, daß man sich sehr wohl einen günstigen Erfolg
versprechen konnte.

Wie geheim auch der König seine Pläne hielt, so trat doch endlich der
Zeitpunkt ein, wo er sie offenbaren mußte. Sein Günstling De Vesc wollte
je eher je lieber in Besitz des ihm verheißenen italienischen Herzogthums ge¬
langen. Unter seinem Einfluß wurde ein großes Tournier zu Leon angesetzt,
und während der Festlichkeit desselben erfolgte im Frühling 1494 die Erklä¬
rung , welche von der ganzen jugendlichen französischen Ritterschaft mit Freu¬
den aufgenommen wurde."*) Es war ein übereilter Beschluß; denn es fehlte
an Geld und der Winter war vor der Thür. Für das erste wußten die
Rathgeber des Königs, nachdem der Ertrag einer Zwangsanleihe bereits durch die
Hoffeste und die Truppenrüstung verzehrt worden war, keinen andern Aus¬
weg, als aus hohe Zinsen zu borgen, die königlichen Einkünfte mit bedeuten¬
dem Verlust zu anticipiren und die Domainen zu verpfänden. Es wurde
überall, namentlich bei genuesischen Bankiers geborgt und bis auf 56 Procent
Zinsen versprochen. Den Vorwand zu einer solchen Verschwendung gab der
angeblich bedrohte katholische Glaube her, sowie die Fortschritte der Türken,
die Ansprüche Frankreichs auf Neapel und die dadurch zu gewinnenden Ein¬
künfte, durch welche die Lasten des Volkes sehr erleichtert würden u. s. w.

So unternahm denn Frankreich seinen ersten Eroberungszug nach Italien
und eröffnete dem militärischen Ehrgeiz einen Weg, der seitdem so oft betreten
werden sollte. Da Frankreich aber nun einmal nicht anders kann, als eom-
dlMi-v pour uns leise, so mußte der populäre Türkenzug als Maske dienen,
und zu dem Behufe ließ sich Charles VIII. von den Neffen des verjagten
griechischen Kaisers dessen Rechte auf das byzantinische Reich abtreten.***)





*) IZsrnargi OriosIIarii <Zs dsllo iwlivo eommeutü-rius.
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Zo AaMs, (Godefroy's Sammlung.)'
-") l^dicam Zu rvsns Zo cilisrles VIII. (Petitors Memoirensammlung.) — Die wichtig'
sten neueren Werke über den nat. Feldzug Charles' VIII. sind:
Havemann, Gesch. der nat.-sranzvs, Kriege. Hannover 1833.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/332>, abgerufen am 06.02.2025.