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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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dingt hatten, sondern auch bei deren Ortsobrigkeiten. Zwar für den Augen¬
blick schreckte dieser wüste Heimzug und die widerwärtigen Nachwirkungen,
welche sich bei den vagirenden Soldbanden zeigten, die eidgenössischen Behör¬
den; sie stellten den Knechten die Zukunft vor Augen und ließen sie in den
nächsten Jahren nur mit großer Zurückhaltung sich in äußere Händel mischen;
aber sie-versäumten es, der kriegerischen thatendurstiger Jugend des Bundes
eigene große Ziele, vaterländische Aufgaben zu stellen. Selbst von fremden
Großen bestochen, selbst geldgierig und ideallos, verstanden sie es nicht, die
weltgeschichtliche Stellung, welche sich die Eidgenossenschaft durch ihre Kriegs¬
thaten erworben, für große politische Zwecke zu verwerthen. Jener Spruch,
der späterhin in aller Munde war: "kein Geld, kein Schweizer!" -- in der
Seele dieser Ortsobrigkeiten war er schon damals wahr. -- Menschliche Ge¬
meinwesen, Staaten, haben jedoch ganz andere Zwecke zu verfolgen, als den
Gelderwerb. Da, wo dieser das leitende Motiv wird, da, wo die höchste
Lebensäußerung einer Nation, der Krieg, herabgewürdigt wird zum Mittel
des Gelderwerbs im Dienste anderer Staaten, da verurtheilt ein Volk sich
selbst. -- Die Schweiz hat sich auf diesem Wege um ihre Weltstellung ge¬
bracht, und das geschah auf eben jenem italienischen Boden, auf dem sich um
die Wende des Is. und 16. Jahrhunderts fast alle Heere West-Europas ein
Nendez-vous gaben.

Außer den 6000 Schweizern, welche den Kern seiner Infanterie aus¬
machten, verfügte Charles VII. noch über ein regelmäßig besoldetes Fußvolk
von 10,000 Mann, eine Schöpfung Louis' XI. die sog. Landes as Liearäis.
Es waren das Nordfranzosen und Niederländer, welche während der zwei¬
jährigen Dauer des berühmten Lagers von Pont de l'Arche von Schweizern
ausgebildet und dann als Besatzungen in die wichtigen Grenzplätze der Picar-
die gelegt worden waren, denen sie ihren Namen verdanken. Sie haben dort
große Dienste geleistet, weit größere als sie gewöhnlichen Milizen und Aven-
turiers jemals möglich gewesen wären. -- An Cavallerie bestanden zu¬
nächst die OomMguiös ü'oräonrurnev, und zwar, wenn sie wirklich nur die
Zahl erreichten, wie zu Charles' VII. Zeit, deren fünfzehn. Zwei dieser Com¬
pagnien, nämlich die OendarmLS ocossküs und die erste Compagnie der Gar-
des du corps, die sog. eomMA'iüo 6e0ssg,ise sind die einzigen, welche später
die Religionskriege des 16. Jahrhunderts überlebten. Neben dieser schwerge¬
rüsteten., noch durchaus im Sinne mittelalterlichen Ritterthums bewaffneten
und fechtenden Adelstruppe bestand dann eine leichte Reiterei, die mit Bogen
und Armbrust bewaffnet war: die arelnzrs und die arda-Iötriel-s. -- In sehr
gutem Zustande übernahm Charles VIII. die Artillerie, deren mattro
LMöi'Al zu Anfang seiner Regierung Guillaume Picard war. Man kann


dingt hatten, sondern auch bei deren Ortsobrigkeiten. Zwar für den Augen¬
blick schreckte dieser wüste Heimzug und die widerwärtigen Nachwirkungen,
welche sich bei den vagirenden Soldbanden zeigten, die eidgenössischen Behör¬
den; sie stellten den Knechten die Zukunft vor Augen und ließen sie in den
nächsten Jahren nur mit großer Zurückhaltung sich in äußere Händel mischen;
aber sie-versäumten es, der kriegerischen thatendurstiger Jugend des Bundes
eigene große Ziele, vaterländische Aufgaben zu stellen. Selbst von fremden
Großen bestochen, selbst geldgierig und ideallos, verstanden sie es nicht, die
weltgeschichtliche Stellung, welche sich die Eidgenossenschaft durch ihre Kriegs¬
thaten erworben, für große politische Zwecke zu verwerthen. Jener Spruch,
der späterhin in aller Munde war: „kein Geld, kein Schweizer!" — in der
Seele dieser Ortsobrigkeiten war er schon damals wahr. — Menschliche Ge¬
meinwesen, Staaten, haben jedoch ganz andere Zwecke zu verfolgen, als den
Gelderwerb. Da, wo dieser das leitende Motiv wird, da, wo die höchste
Lebensäußerung einer Nation, der Krieg, herabgewürdigt wird zum Mittel
des Gelderwerbs im Dienste anderer Staaten, da verurtheilt ein Volk sich
selbst. — Die Schweiz hat sich auf diesem Wege um ihre Weltstellung ge¬
bracht, und das geschah auf eben jenem italienischen Boden, auf dem sich um
die Wende des Is. und 16. Jahrhunderts fast alle Heere West-Europas ein
Nendez-vous gaben.

Außer den 6000 Schweizern, welche den Kern seiner Infanterie aus¬
machten, verfügte Charles VII. noch über ein regelmäßig besoldetes Fußvolk
von 10,000 Mann, eine Schöpfung Louis' XI. die sog. Landes as Liearäis.
Es waren das Nordfranzosen und Niederländer, welche während der zwei¬
jährigen Dauer des berühmten Lagers von Pont de l'Arche von Schweizern
ausgebildet und dann als Besatzungen in die wichtigen Grenzplätze der Picar-
die gelegt worden waren, denen sie ihren Namen verdanken. Sie haben dort
große Dienste geleistet, weit größere als sie gewöhnlichen Milizen und Aven-
turiers jemals möglich gewesen wären. — An Cavallerie bestanden zu¬
nächst die OomMguiös ü'oräonrurnev, und zwar, wenn sie wirklich nur die
Zahl erreichten, wie zu Charles' VII. Zeit, deren fünfzehn. Zwei dieser Com¬
pagnien, nämlich die OendarmLS ocossküs und die erste Compagnie der Gar-
des du corps, die sog. eomMA'iüo 6e0ssg,ise sind die einzigen, welche später
die Religionskriege des 16. Jahrhunderts überlebten. Neben dieser schwerge¬
rüsteten., noch durchaus im Sinne mittelalterlichen Ritterthums bewaffneten
und fechtenden Adelstruppe bestand dann eine leichte Reiterei, die mit Bogen
und Armbrust bewaffnet war: die arelnzrs und die arda-Iötriel-s. — In sehr
gutem Zustande übernahm Charles VIII. die Artillerie, deren mattro
LMöi'Al zu Anfang seiner Regierung Guillaume Picard war. Man kann


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[0329] dingt hatten, sondern auch bei deren Ortsobrigkeiten. Zwar für den Augen¬ blick schreckte dieser wüste Heimzug und die widerwärtigen Nachwirkungen, welche sich bei den vagirenden Soldbanden zeigten, die eidgenössischen Behör¬ den; sie stellten den Knechten die Zukunft vor Augen und ließen sie in den nächsten Jahren nur mit großer Zurückhaltung sich in äußere Händel mischen; aber sie-versäumten es, der kriegerischen thatendurstiger Jugend des Bundes eigene große Ziele, vaterländische Aufgaben zu stellen. Selbst von fremden Großen bestochen, selbst geldgierig und ideallos, verstanden sie es nicht, die weltgeschichtliche Stellung, welche sich die Eidgenossenschaft durch ihre Kriegs¬ thaten erworben, für große politische Zwecke zu verwerthen. Jener Spruch, der späterhin in aller Munde war: „kein Geld, kein Schweizer!" — in der Seele dieser Ortsobrigkeiten war er schon damals wahr. — Menschliche Ge¬ meinwesen, Staaten, haben jedoch ganz andere Zwecke zu verfolgen, als den Gelderwerb. Da, wo dieser das leitende Motiv wird, da, wo die höchste Lebensäußerung einer Nation, der Krieg, herabgewürdigt wird zum Mittel des Gelderwerbs im Dienste anderer Staaten, da verurtheilt ein Volk sich selbst. — Die Schweiz hat sich auf diesem Wege um ihre Weltstellung ge¬ bracht, und das geschah auf eben jenem italienischen Boden, auf dem sich um die Wende des Is. und 16. Jahrhunderts fast alle Heere West-Europas ein Nendez-vous gaben. Außer den 6000 Schweizern, welche den Kern seiner Infanterie aus¬ machten, verfügte Charles VII. noch über ein regelmäßig besoldetes Fußvolk von 10,000 Mann, eine Schöpfung Louis' XI. die sog. Landes as Liearäis. Es waren das Nordfranzosen und Niederländer, welche während der zwei¬ jährigen Dauer des berühmten Lagers von Pont de l'Arche von Schweizern ausgebildet und dann als Besatzungen in die wichtigen Grenzplätze der Picar- die gelegt worden waren, denen sie ihren Namen verdanken. Sie haben dort große Dienste geleistet, weit größere als sie gewöhnlichen Milizen und Aven- turiers jemals möglich gewesen wären. — An Cavallerie bestanden zu¬ nächst die OomMguiös ü'oräonrurnev, und zwar, wenn sie wirklich nur die Zahl erreichten, wie zu Charles' VII. Zeit, deren fünfzehn. Zwei dieser Com¬ pagnien, nämlich die OendarmLS ocossküs und die erste Compagnie der Gar- des du corps, die sog. eomMA'iüo 6e0ssg,ise sind die einzigen, welche später die Religionskriege des 16. Jahrhunderts überlebten. Neben dieser schwerge¬ rüsteten., noch durchaus im Sinne mittelalterlichen Ritterthums bewaffneten und fechtenden Adelstruppe bestand dann eine leichte Reiterei, die mit Bogen und Armbrust bewaffnet war: die arelnzrs und die arda-Iötriel-s. — In sehr gutem Zustande übernahm Charles VIII. die Artillerie, deren mattro LMöi'Al zu Anfang seiner Regierung Guillaume Picard war. Man kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/329>, abgerufen am 06.02.2025.