Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

protestantischen Orthodoxie, Herr von Harleß, aus, der als Präsident des
protestantischen Oberconsistoriums Sitz und Stimme im Reichsrath hat.
Einst ein muthiger Verfechter evangelischer Glaubens- und Lebensfreiheit ge¬
gen die Gewissensbedrängungen des Abel'schen Regiments, wie früher ein be¬
geisterter Anhänger der deutschen Burschenschaft und ihrer Träume für Kaiser
und Reich, hat er mit diesen Anschauungen seiner Vergangenheit längst ge¬
brochen, wenigstens stimmten seine Stellung, die er zum Schulgesetz einge¬
nommen, seine Mitwirkung zum Sturze des Ministeriums Hohenlohe, wie die
ganze Richtung, die er der evangelischen Landeskirche Bayerns zu geben ge¬
wußt hat, nicht mehr zu ihnen. Jetzt macht er den Eindruck eines müden
Mannes, für den ein freier gesinnter Nachfolger bald zu wünschen wäre.

Da bei den Reichsräthen meistentheils mit Namensaufruf abgestimmt
wird, so ist es dem Zuschauer leicht, mit den bisher von uns noch nicht ge¬
nannten Häuptern der bayrischen Aristokratie bekannt zu werden. Gewöhnlich
sind nicht alle der hohen Herrn am Platz, weniger wegen Mangels an Pflicht¬
gefühl, sondern weil mehrere unter ihnen durch Kränklichkeit oder hohes Alter
verhindert sind ihrem Mandat nachzukommen, oder auch, wie die Erbach,
Löwenstein, Leiningen auch noch andern Herrenhäusern oder staatlichen Stel¬
lungen angehören und so in München sich entschuldigen lassen. Dafür aber
finden sich ziemlich regelmäßig die Kronbeamten des Reiches, die Fürsten von
Oettingen und Jugger, die früheren Standesherren Grafen Rechteren. Casten,
Quadt, Schönborn, die erblichen Reichsrathe Aatdagtem, Lerchenfeld u. A-,
lauter mehr oder minder kavaliermäßige Erscheinungen von altaristokratischem
Namensklange, ein, und nicht minder fleißig sind die "lebenslänglichen" Mit¬
glieder des hohen Hauses, schon deshalb, weil meist aus ihnen das Arbeits¬
material des letztern genommen wird. Das Präsidium der durch- und er¬
lauchten Versammlung führt seit nun einem Vierteljahrhundert schon der
frühere Freiherr, gelegentlich seines, im Vorjahr gefeierten 25 jährigen
Jubiläums vom König zum Grafen erhobene Schenk von Stauffenberg, der
Onkel des bisherigen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, der zwar weniger
die liberalen Anschauungen seines Neffen theilt, aber seine Funktionen fast
mit gleicher Gewandtheit und Geschicklichkeit, wie dieser ausübt. Wenigstens
kann sich keiner der höchsten der hohen Herrn rühmen, jemals den Präsidenten
in der oft sehr summarisch gehandhabten Ausführung seines Amtes erschüttert
zu haben. Die Stelle des zweiten Präsidenten, der von der ersten Kammer
selbst gewählt ist, während der erste vom König ernannt wird, versieht zur
Zeit, als Nachfolger des verdienstvollen Freiherrn von Thüngen, Freiherr
von Schrenk, der einstige Gesandte Bayerns beim hohen Bundestage. Er
hat. wie üblich, beim Landtagsschluß das Hoch auf den König ausgebracht.
Mit begeisterndem Wiederhat! tönte dieses durch den nun verlassenen Sitzung^


protestantischen Orthodoxie, Herr von Harleß, aus, der als Präsident des
protestantischen Oberconsistoriums Sitz und Stimme im Reichsrath hat.
Einst ein muthiger Verfechter evangelischer Glaubens- und Lebensfreiheit ge¬
gen die Gewissensbedrängungen des Abel'schen Regiments, wie früher ein be¬
geisterter Anhänger der deutschen Burschenschaft und ihrer Träume für Kaiser
und Reich, hat er mit diesen Anschauungen seiner Vergangenheit längst ge¬
brochen, wenigstens stimmten seine Stellung, die er zum Schulgesetz einge¬
nommen, seine Mitwirkung zum Sturze des Ministeriums Hohenlohe, wie die
ganze Richtung, die er der evangelischen Landeskirche Bayerns zu geben ge¬
wußt hat, nicht mehr zu ihnen. Jetzt macht er den Eindruck eines müden
Mannes, für den ein freier gesinnter Nachfolger bald zu wünschen wäre.

Da bei den Reichsräthen meistentheils mit Namensaufruf abgestimmt
wird, so ist es dem Zuschauer leicht, mit den bisher von uns noch nicht ge¬
nannten Häuptern der bayrischen Aristokratie bekannt zu werden. Gewöhnlich
sind nicht alle der hohen Herrn am Platz, weniger wegen Mangels an Pflicht¬
gefühl, sondern weil mehrere unter ihnen durch Kränklichkeit oder hohes Alter
verhindert sind ihrem Mandat nachzukommen, oder auch, wie die Erbach,
Löwenstein, Leiningen auch noch andern Herrenhäusern oder staatlichen Stel¬
lungen angehören und so in München sich entschuldigen lassen. Dafür aber
finden sich ziemlich regelmäßig die Kronbeamten des Reiches, die Fürsten von
Oettingen und Jugger, die früheren Standesherren Grafen Rechteren. Casten,
Quadt, Schönborn, die erblichen Reichsrathe Aatdagtem, Lerchenfeld u. A-,
lauter mehr oder minder kavaliermäßige Erscheinungen von altaristokratischem
Namensklange, ein, und nicht minder fleißig sind die „lebenslänglichen" Mit¬
glieder des hohen Hauses, schon deshalb, weil meist aus ihnen das Arbeits¬
material des letztern genommen wird. Das Präsidium der durch- und er¬
lauchten Versammlung führt seit nun einem Vierteljahrhundert schon der
frühere Freiherr, gelegentlich seines, im Vorjahr gefeierten 25 jährigen
Jubiläums vom König zum Grafen erhobene Schenk von Stauffenberg, der
Onkel des bisherigen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, der zwar weniger
die liberalen Anschauungen seines Neffen theilt, aber seine Funktionen fast
mit gleicher Gewandtheit und Geschicklichkeit, wie dieser ausübt. Wenigstens
kann sich keiner der höchsten der hohen Herrn rühmen, jemals den Präsidenten
in der oft sehr summarisch gehandhabten Ausführung seines Amtes erschüttert
zu haben. Die Stelle des zweiten Präsidenten, der von der ersten Kammer
selbst gewählt ist, während der erste vom König ernannt wird, versieht zur
Zeit, als Nachfolger des verdienstvollen Freiherrn von Thüngen, Freiherr
von Schrenk, der einstige Gesandte Bayerns beim hohen Bundestage. Er
hat. wie üblich, beim Landtagsschluß das Hoch auf den König ausgebracht.
Mit begeisterndem Wiederhat! tönte dieses durch den nun verlassenen Sitzung^


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133602"/>
          <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983"> protestantischen Orthodoxie, Herr von Harleß, aus, der als Präsident des<lb/>
protestantischen Oberconsistoriums Sitz und Stimme im Reichsrath hat.<lb/>
Einst ein muthiger Verfechter evangelischer Glaubens- und Lebensfreiheit ge¬<lb/>
gen die Gewissensbedrängungen des Abel'schen Regiments, wie früher ein be¬<lb/>
geisterter Anhänger der deutschen Burschenschaft und ihrer Träume für Kaiser<lb/>
und Reich, hat er mit diesen Anschauungen seiner Vergangenheit längst ge¬<lb/>
brochen, wenigstens stimmten seine Stellung, die er zum Schulgesetz einge¬<lb/>
nommen, seine Mitwirkung zum Sturze des Ministeriums Hohenlohe, wie die<lb/>
ganze Richtung, die er der evangelischen Landeskirche Bayerns zu geben ge¬<lb/>
wußt hat, nicht mehr zu ihnen. Jetzt macht er den Eindruck eines müden<lb/>
Mannes, für den ein freier gesinnter Nachfolger bald zu wünschen wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_985" next="#ID_986"> Da bei den Reichsräthen meistentheils mit Namensaufruf abgestimmt<lb/>
wird, so ist es dem Zuschauer leicht, mit den bisher von uns noch nicht ge¬<lb/>
nannten Häuptern der bayrischen Aristokratie bekannt zu werden. Gewöhnlich<lb/>
sind nicht alle der hohen Herrn am Platz, weniger wegen Mangels an Pflicht¬<lb/>
gefühl, sondern weil mehrere unter ihnen durch Kränklichkeit oder hohes Alter<lb/>
verhindert sind ihrem Mandat nachzukommen, oder auch, wie die Erbach,<lb/>
Löwenstein, Leiningen auch noch andern Herrenhäusern oder staatlichen Stel¬<lb/>
lungen angehören und so in München sich entschuldigen lassen. Dafür aber<lb/>
finden sich ziemlich regelmäßig die Kronbeamten des Reiches, die Fürsten von<lb/>
Oettingen und Jugger, die früheren Standesherren Grafen Rechteren. Casten,<lb/>
Quadt, Schönborn, die erblichen Reichsrathe Aatdagtem, Lerchenfeld u. A-,<lb/>
lauter mehr oder minder kavaliermäßige Erscheinungen von altaristokratischem<lb/>
Namensklange, ein, und nicht minder fleißig sind die &#x201E;lebenslänglichen" Mit¬<lb/>
glieder des hohen Hauses, schon deshalb, weil meist aus ihnen das Arbeits¬<lb/>
material des letztern genommen wird. Das Präsidium der durch- und er¬<lb/>
lauchten Versammlung führt seit nun einem Vierteljahrhundert schon der<lb/>
frühere Freiherr, gelegentlich seines, im Vorjahr gefeierten 25 jährigen<lb/>
Jubiläums vom König zum Grafen erhobene Schenk von Stauffenberg, der<lb/>
Onkel des bisherigen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, der zwar weniger<lb/>
die liberalen Anschauungen seines Neffen theilt, aber seine Funktionen fast<lb/>
mit gleicher Gewandtheit und Geschicklichkeit, wie dieser ausübt. Wenigstens<lb/>
kann sich keiner der höchsten der hohen Herrn rühmen, jemals den Präsidenten<lb/>
in der oft sehr summarisch gehandhabten Ausführung seines Amtes erschüttert<lb/>
zu haben. Die Stelle des zweiten Präsidenten, der von der ersten Kammer<lb/>
selbst gewählt ist, während der erste vom König ernannt wird, versieht zur<lb/>
Zeit, als Nachfolger des verdienstvollen Freiherrn von Thüngen, Freiherr<lb/>
von Schrenk, der einstige Gesandte Bayerns beim hohen Bundestage. Er<lb/>
hat. wie üblich, beim Landtagsschluß das Hoch auf den König ausgebracht.<lb/>
Mit begeisterndem Wiederhat! tönte dieses durch den nun verlassenen Sitzung^</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0314] protestantischen Orthodoxie, Herr von Harleß, aus, der als Präsident des protestantischen Oberconsistoriums Sitz und Stimme im Reichsrath hat. Einst ein muthiger Verfechter evangelischer Glaubens- und Lebensfreiheit ge¬ gen die Gewissensbedrängungen des Abel'schen Regiments, wie früher ein be¬ geisterter Anhänger der deutschen Burschenschaft und ihrer Träume für Kaiser und Reich, hat er mit diesen Anschauungen seiner Vergangenheit längst ge¬ brochen, wenigstens stimmten seine Stellung, die er zum Schulgesetz einge¬ nommen, seine Mitwirkung zum Sturze des Ministeriums Hohenlohe, wie die ganze Richtung, die er der evangelischen Landeskirche Bayerns zu geben ge¬ wußt hat, nicht mehr zu ihnen. Jetzt macht er den Eindruck eines müden Mannes, für den ein freier gesinnter Nachfolger bald zu wünschen wäre. Da bei den Reichsräthen meistentheils mit Namensaufruf abgestimmt wird, so ist es dem Zuschauer leicht, mit den bisher von uns noch nicht ge¬ nannten Häuptern der bayrischen Aristokratie bekannt zu werden. Gewöhnlich sind nicht alle der hohen Herrn am Platz, weniger wegen Mangels an Pflicht¬ gefühl, sondern weil mehrere unter ihnen durch Kränklichkeit oder hohes Alter verhindert sind ihrem Mandat nachzukommen, oder auch, wie die Erbach, Löwenstein, Leiningen auch noch andern Herrenhäusern oder staatlichen Stel¬ lungen angehören und so in München sich entschuldigen lassen. Dafür aber finden sich ziemlich regelmäßig die Kronbeamten des Reiches, die Fürsten von Oettingen und Jugger, die früheren Standesherren Grafen Rechteren. Casten, Quadt, Schönborn, die erblichen Reichsrathe Aatdagtem, Lerchenfeld u. A-, lauter mehr oder minder kavaliermäßige Erscheinungen von altaristokratischem Namensklange, ein, und nicht minder fleißig sind die „lebenslänglichen" Mit¬ glieder des hohen Hauses, schon deshalb, weil meist aus ihnen das Arbeits¬ material des letztern genommen wird. Das Präsidium der durch- und er¬ lauchten Versammlung führt seit nun einem Vierteljahrhundert schon der frühere Freiherr, gelegentlich seines, im Vorjahr gefeierten 25 jährigen Jubiläums vom König zum Grafen erhobene Schenk von Stauffenberg, der Onkel des bisherigen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, der zwar weniger die liberalen Anschauungen seines Neffen theilt, aber seine Funktionen fast mit gleicher Gewandtheit und Geschicklichkeit, wie dieser ausübt. Wenigstens kann sich keiner der höchsten der hohen Herrn rühmen, jemals den Präsidenten in der oft sehr summarisch gehandhabten Ausführung seines Amtes erschüttert zu haben. Die Stelle des zweiten Präsidenten, der von der ersten Kammer selbst gewählt ist, während der erste vom König ernannt wird, versieht zur Zeit, als Nachfolger des verdienstvollen Freiherrn von Thüngen, Freiherr von Schrenk, der einstige Gesandte Bayerns beim hohen Bundestage. Er hat. wie üblich, beim Landtagsschluß das Hoch auf den König ausgebracht. Mit begeisterndem Wiederhat! tönte dieses durch den nun verlassenen Sitzung^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/314
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/314>, abgerufen am 06.02.2025.