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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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nicht von vielhundertjährigen Vorurtheilen und Anschauungen losgemacht
hat, gebührt: rothsammtne Fauteuils und vor jedem ein fein polirtes Tischchen
mit dem eingelegten Wappen des in jenem gedankenvoll ruhenden hohen
Herrn. Denn sehr gedankenvoll, tief nachsinnend erscheinen einem auf den
ersten Anblick die hier unten sitzenden Vertreter des bayrischen Oberhauses;
man denkt unwillkürlich an die Senatoren Roms, als sie so schweigend und
würdevoll die in ihr Heiligthum einbrechenden Gallier empfingen. Von der
im Abgeordnetensaale stets merklichen Unruhe und Lebendigkeit ist hier nichts
zu verspüren; zu erheblichen Reden schwingt sich selten ein Mitglied auf,
und geschieht das doch einmal, so ist's gewiß keines aus der erblichen oder
angestammten Pairie, sondern eins der lebenslänglich berufenen, welche außer
dem für gewöhnlich die Rednertribüne in Anspruch nehmenden Referenten
das Wort ergreifen. Auch im bayrischen Herrenhaus hat sich die Nothwendig¬
keit fühlbar gemacht, den verfassungsmäßigen Grundbestand an Prinzen,
früher reichsunmittelbarer gefürsteten und gräflichen Herrn, Erzbischöfen und
Bischöfen u. s. w. durch Einimpfung von Capazitäten aus dem Juristenstand,
dem Großgrundbesitz und der Industrie aufzuhelfen, und die Wahlen, die
hier schon König Max II., wie bis in die neuere Zeit hinein, sein Sohn
und Nachfolger getroffen haben, sind meist glücklich zu nennen gewesen.
Unter diesen "lebenslänglichen" Reichsräthen befinden sich sogar manche,
deren Kopf und Herz auf dem rechten Fleck stehen und die -- wir nennen
nur die Rechtsgelehrten v. Pözl, Haubenschmied, Neumayr, die Gro߬
industriellen Cramer-Kiele, neuster, den Generalstabschef Graf Boehmer u. A.
-- dem Liberalismus in der ersten Kammer stets offenen Ausdruck verschafft
haben. Ueberhaupt kann man den Herren Reichsräthen im großen und ganzen
in der oben geschlossenen sechsjährigen Session gerade nicht vorwerfen, daß
sie die Zeit nicht verstanden und deren Forderungen nicht Rechnung getragen
hätten- Wenigstens haben sie sogar mehr als einmal in den entscheidenden
Momenten, wie bei der Kriegsrüstung gegen Frankreich, bei der Annahme
der Versailler Verträge, der Beschwerde des Bischofs von Augsburg u. a. in.
stets patriotischeren und freiheitlicheren Sinn gezeigt, als die rechte Seite des
Abgeordnetenhauses. Wenigstens wollte die Pairie nicht königlicher sein als
der König und das gute Beispiel des echt deutschen Wesens, das vom Throne
herab gegeben ward, verfehlte doch nicht auch auf die zu wirken, die sich mit
Vorliebe die Stützen des Thrones nennen. Aber gerade einzelnen diesem
Throne am nächsten stehenden Mitgliedern des hohen Hauses mag es mit¬
unter nicht so ganz leicht geworden sein, zu allem, was die Neugestaltung
des deutschen Reiches Beschränkendes und Veränderndes für Bayern mit sich
brachte, ja zu sagen: es ist ja öffentliches Geheimniß, welche Gegen¬
strömungen König Ludwig II. in seiner eigenen Familie fand und


nicht von vielhundertjährigen Vorurtheilen und Anschauungen losgemacht
hat, gebührt: rothsammtne Fauteuils und vor jedem ein fein polirtes Tischchen
mit dem eingelegten Wappen des in jenem gedankenvoll ruhenden hohen
Herrn. Denn sehr gedankenvoll, tief nachsinnend erscheinen einem auf den
ersten Anblick die hier unten sitzenden Vertreter des bayrischen Oberhauses;
man denkt unwillkürlich an die Senatoren Roms, als sie so schweigend und
würdevoll die in ihr Heiligthum einbrechenden Gallier empfingen. Von der
im Abgeordnetensaale stets merklichen Unruhe und Lebendigkeit ist hier nichts
zu verspüren; zu erheblichen Reden schwingt sich selten ein Mitglied auf,
und geschieht das doch einmal, so ist's gewiß keines aus der erblichen oder
angestammten Pairie, sondern eins der lebenslänglich berufenen, welche außer
dem für gewöhnlich die Rednertribüne in Anspruch nehmenden Referenten
das Wort ergreifen. Auch im bayrischen Herrenhaus hat sich die Nothwendig¬
keit fühlbar gemacht, den verfassungsmäßigen Grundbestand an Prinzen,
früher reichsunmittelbarer gefürsteten und gräflichen Herrn, Erzbischöfen und
Bischöfen u. s. w. durch Einimpfung von Capazitäten aus dem Juristenstand,
dem Großgrundbesitz und der Industrie aufzuhelfen, und die Wahlen, die
hier schon König Max II., wie bis in die neuere Zeit hinein, sein Sohn
und Nachfolger getroffen haben, sind meist glücklich zu nennen gewesen.
Unter diesen „lebenslänglichen" Reichsräthen befinden sich sogar manche,
deren Kopf und Herz auf dem rechten Fleck stehen und die — wir nennen
nur die Rechtsgelehrten v. Pözl, Haubenschmied, Neumayr, die Gro߬
industriellen Cramer-Kiele, neuster, den Generalstabschef Graf Boehmer u. A.
— dem Liberalismus in der ersten Kammer stets offenen Ausdruck verschafft
haben. Ueberhaupt kann man den Herren Reichsräthen im großen und ganzen
in der oben geschlossenen sechsjährigen Session gerade nicht vorwerfen, daß
sie die Zeit nicht verstanden und deren Forderungen nicht Rechnung getragen
hätten- Wenigstens haben sie sogar mehr als einmal in den entscheidenden
Momenten, wie bei der Kriegsrüstung gegen Frankreich, bei der Annahme
der Versailler Verträge, der Beschwerde des Bischofs von Augsburg u. a. in.
stets patriotischeren und freiheitlicheren Sinn gezeigt, als die rechte Seite des
Abgeordnetenhauses. Wenigstens wollte die Pairie nicht königlicher sein als
der König und das gute Beispiel des echt deutschen Wesens, das vom Throne
herab gegeben ward, verfehlte doch nicht auch auf die zu wirken, die sich mit
Vorliebe die Stützen des Thrones nennen. Aber gerade einzelnen diesem
Throne am nächsten stehenden Mitgliedern des hohen Hauses mag es mit¬
unter nicht so ganz leicht geworden sein, zu allem, was die Neugestaltung
des deutschen Reiches Beschränkendes und Veränderndes für Bayern mit sich
brachte, ja zu sagen: es ist ja öffentliches Geheimniß, welche Gegen¬
strömungen König Ludwig II. in seiner eigenen Familie fand und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/312>, abgerufen am 06.02.2025.