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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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um die Kanzel in Anspruch zu nehmen, ich für meinen Theil räume Sie Ihnen
ein, und zwar, um Störung im Gotteshause zu vermeiden."

Er antwortete nur mit einem Kopfnicken. Die Niesen, zu denen sich
jetzt Rothert gesellt hatte, wollten mich zurückhalten, ich aber erklärte ent¬
schieden, unter diesen Umständen nicht dableiben zu können, und entfernte
mich, um nach meinem Gasthofe zu gehen und von da sogleich einen Spazier¬
gang nach den Weinbergen vor der Stadt zu machen,

Als ich zurückkam, warteten einige Glieder der Gemeinde aus mich.
Man ertheilte mir Lobsprüche über mein Verhalten in der Kirche und
erzählte mir den weiteren Verlauf der Sache am Vormittag, der einfach
damit geendigt hatte, daß Se. Ehrwürden nach meinem Weggange trotz
ziemlich energischen Widerspruchs seiner Anhänger vom Kirchenrathe unter
heftigem Trommeln und Stampfen der zu letzterem haltenden Mehrheit
der Anwesenden nach der Thür hincomplimentirt und diese darauf geschlossen
worden war.

Nachmittags sprach ich bei Rothert vor, wo ich den größeren Theil des
Kirchenrathes und einige andere einflußreiche Mitglieder der Gemeinde ver¬
sammelt fand. Die Gesellschaft billigte mein Benehmen dem Auftreten Göbel's
gegenüber ebenfalls. Nur der grimme Nothert selbst war nicht recht damit
einverstanden. "Sie mußten oben bleiben," sagte er. "Hinauf gekommen
wäre er nimmermehr. Hätte er nur die Fußspitze'auf die Kanzeltreppe gesetzt,
auf der Stelle hätte ich ihn zu Boden geschlagen." Alle sprachen ihren festen
Entschluß aus, Göbel nie wieder in die Kirche zu lassen, und man redete
mir dringend zu, mich sogleich zu vorläufiger Vollziehung aller kirchlichen
Geschäfte mit Einschluß der Trauungen, Taufen und Beerdigungen zu ver¬
pflichten, was ich indeß, da noch andere Candidaten vorhanden waren, und
ein Eingehen auf den Wunsch des Kirchenraths mir als Vordringlichkeit und
Wahlbeeinflusfung ausgelegt werden konnte, mit dem Hinzufügen ablehnte,
sobald als möglich nach Dayton reisen und dort bleiben zu wollen, bis die
Reihe der Probepredigten am Schlüsse angelangt sei, wo man mir die letzte
gestatten möge. Nur ungern schien man nachzugeben, und namentlich
Nothert willigte erst ein, als ich mich anheischig machte, falls der Candidat,
der nächsten Sonnrag predigen sollte, nicht einträfe (er befindet sich in Phila¬
delphia) auf telegraphische Benachrichtigung nach der City zu kommen und
statt seiner zu predigen, zu welchem Zwecke ich die Adresse Theodor's in Dayton
zurückließ.

Unter allgemeinem Händeschütteln trennte ich mich von den wackeren
Leuten -- wie ich dachte, für sechs bis acht Wochen. Man war mir offen¬
bar gewogen. Ich hatte es verschmäht, nach der hier gebräuchlichen Methode,
durch Herumgehen bei den einzelnen Gemeindegliedern und ähnliche Mittel


um die Kanzel in Anspruch zu nehmen, ich für meinen Theil räume Sie Ihnen
ein, und zwar, um Störung im Gotteshause zu vermeiden."

Er antwortete nur mit einem Kopfnicken. Die Niesen, zu denen sich
jetzt Rothert gesellt hatte, wollten mich zurückhalten, ich aber erklärte ent¬
schieden, unter diesen Umständen nicht dableiben zu können, und entfernte
mich, um nach meinem Gasthofe zu gehen und von da sogleich einen Spazier¬
gang nach den Weinbergen vor der Stadt zu machen,

Als ich zurückkam, warteten einige Glieder der Gemeinde aus mich.
Man ertheilte mir Lobsprüche über mein Verhalten in der Kirche und
erzählte mir den weiteren Verlauf der Sache am Vormittag, der einfach
damit geendigt hatte, daß Se. Ehrwürden nach meinem Weggange trotz
ziemlich energischen Widerspruchs seiner Anhänger vom Kirchenrathe unter
heftigem Trommeln und Stampfen der zu letzterem haltenden Mehrheit
der Anwesenden nach der Thür hincomplimentirt und diese darauf geschlossen
worden war.

Nachmittags sprach ich bei Rothert vor, wo ich den größeren Theil des
Kirchenrathes und einige andere einflußreiche Mitglieder der Gemeinde ver¬
sammelt fand. Die Gesellschaft billigte mein Benehmen dem Auftreten Göbel's
gegenüber ebenfalls. Nur der grimme Nothert selbst war nicht recht damit
einverstanden. „Sie mußten oben bleiben," sagte er. „Hinauf gekommen
wäre er nimmermehr. Hätte er nur die Fußspitze'auf die Kanzeltreppe gesetzt,
auf der Stelle hätte ich ihn zu Boden geschlagen." Alle sprachen ihren festen
Entschluß aus, Göbel nie wieder in die Kirche zu lassen, und man redete
mir dringend zu, mich sogleich zu vorläufiger Vollziehung aller kirchlichen
Geschäfte mit Einschluß der Trauungen, Taufen und Beerdigungen zu ver¬
pflichten, was ich indeß, da noch andere Candidaten vorhanden waren, und
ein Eingehen auf den Wunsch des Kirchenraths mir als Vordringlichkeit und
Wahlbeeinflusfung ausgelegt werden konnte, mit dem Hinzufügen ablehnte,
sobald als möglich nach Dayton reisen und dort bleiben zu wollen, bis die
Reihe der Probepredigten am Schlüsse angelangt sei, wo man mir die letzte
gestatten möge. Nur ungern schien man nachzugeben, und namentlich
Nothert willigte erst ein, als ich mich anheischig machte, falls der Candidat,
der nächsten Sonnrag predigen sollte, nicht einträfe (er befindet sich in Phila¬
delphia) auf telegraphische Benachrichtigung nach der City zu kommen und
statt seiner zu predigen, zu welchem Zwecke ich die Adresse Theodor's in Dayton
zurückließ.

Unter allgemeinem Händeschütteln trennte ich mich von den wackeren
Leuten — wie ich dachte, für sechs bis acht Wochen. Man war mir offen¬
bar gewogen. Ich hatte es verschmäht, nach der hier gebräuchlichen Methode,
durch Herumgehen bei den einzelnen Gemeindegliedern und ähnliche Mittel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/31>, abgerufen am 06.02.2025.