Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.der früher so lebendig sprudelnden Muttersprache brütete aber die Stille des der früher so lebendig sprudelnden Muttersprache brütete aber die Stille des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133591"/> <p xml:id="ID_947" prev="#ID_946" next="#ID_948"> der früher so lebendig sprudelnden Muttersprache brütete aber die Stille des<lb/> Todes. Nach und nach war der Dichter allerdings der getischen Sprache<lb/> mächtig geworden; in dem Grade, daß er sogar ein Lobgedicht auf die-<lb/> Kriegsthaten des Augustus in dieser Sprache dichten konnte, aber ein wirk¬<lb/> licher Ersatz für das, was er jeden Augenblick schmerzlich empfinden mußte,<lb/> war dieß natürlich nicht. War es aber nicht niedrige Kriecherei, den Mann<lb/> noch zu verherrlichen, der dem Dichter die Todeswunde geschlagen hatte? Es<lb/> wäre freilich männlicher gewesen, sich in seinen Römerstolz zu hüllen und<lb/> den Herrscher in Rom gewähren zu lassen. ihn weder um Gnade anzuwinseln,<lb/> noch zu beräuchern, besonders wenn das Bewußtsein verhältnißmäßiger Un¬<lb/> schuld hinzukam; wir wenden uns mit Widerwillen von diesen und andern<lb/> Hecatomben des Dichters weg, es regt sich sogar Ingrimm in uns,<lb/> wenn wir ihn von Augustus und seiner Frau nur in Ausdrücken wahrhaft<lb/> göttlicher Verehrung sprechen hören, wenn wir ihn täglich an die Brustbilder<lb/> des Kaisers und der Kaiserin, welche ihm ein guter Freund von Rom<lb/> geschickt, förmliche Gebete richten sehen, es giebt hier kaum ein anderes<lb/> »aber", welches diesen Ueberschwung der Schmeichelei entschuldigen könnte<lb/> als — freilich nur für gewöhnliche Seelen eine Entschuldigung — des<lb/> Lebens Noth. Zudem ist Charakterstärke in jener Zeit ein Meteor, auch<lb/> die Besseren sind vom Gifthauch der Schmeichelei angesteckt, arbeitete in der<lb/> geistigen Atmosphäre, gewohnheitsmäßig athmete man die Miasmen ein. Mit<lb/> der Vergötterung der Menschen geht aber Hand in Hand die Vermensch¬<lb/> lichung, d. h. die Verachtung der Götter. Es ist bezeichnend, wie wenig in<lb/> den Trauerliedern Ovid's von den Göttern, wie viel von dem Vergötterten,<lb/> von August, die Rede ist, wo jene etwa erwähnt werden, geschieht es mehr<lb/> nur in metaphorischer Bedeutung oder als Concession an die noch immer<lb/> nicht salut erklärte Staatsreligion; von wirklichem Glauben und persönlicher<lb/> Ueberzeugung findet sich kaum eine Spur. Wenn der Dichter schon in seiner<lb/> guten Zeit am Dasein der Götter gezweifelt hatte, weil er viele Guten von<lb/> unverdienten Leid getroffen sah, so hatte er jetzt, wo er selber sich in diesem<lb/> Fall befand, keine Ursache seinen Glauben oder Unglauben zu ändern. Es<lb/> mochte ihm in diesem Punkte gehen wie Horaz, der mit allem Eifer gegen<lb/> den Verfall der Götterverehrung, welche er zum Bestände des Reiches für<lb/> nothwendig hielt, persönlich gar keine Religion hatte. Aber unser armer<lb/> Dichter fand für diesen Mangel keinen Ersatz in seinem eigenen gebrochenen<lb/> Herzen, kaum hier und da erhellt ein freundlicher Sonnenblick die düstere<lb/> Nacht seines Daseins, so, als die guten Tonnen, welchen nach und nach<lb/> ein Licht über die Berühmtheit des Fremdlings und Miteinwohners auf¬<lb/> gegangen war, ihn durch einen Kranz und allerlei bürgerliche Auszeichnungen<lb/> ehrten; was ihm aber noch am meisten Spannkraft verlieh, war die nie er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0303]
der früher so lebendig sprudelnden Muttersprache brütete aber die Stille des
Todes. Nach und nach war der Dichter allerdings der getischen Sprache
mächtig geworden; in dem Grade, daß er sogar ein Lobgedicht auf die-
Kriegsthaten des Augustus in dieser Sprache dichten konnte, aber ein wirk¬
licher Ersatz für das, was er jeden Augenblick schmerzlich empfinden mußte,
war dieß natürlich nicht. War es aber nicht niedrige Kriecherei, den Mann
noch zu verherrlichen, der dem Dichter die Todeswunde geschlagen hatte? Es
wäre freilich männlicher gewesen, sich in seinen Römerstolz zu hüllen und
den Herrscher in Rom gewähren zu lassen. ihn weder um Gnade anzuwinseln,
noch zu beräuchern, besonders wenn das Bewußtsein verhältnißmäßiger Un¬
schuld hinzukam; wir wenden uns mit Widerwillen von diesen und andern
Hecatomben des Dichters weg, es regt sich sogar Ingrimm in uns,
wenn wir ihn von Augustus und seiner Frau nur in Ausdrücken wahrhaft
göttlicher Verehrung sprechen hören, wenn wir ihn täglich an die Brustbilder
des Kaisers und der Kaiserin, welche ihm ein guter Freund von Rom
geschickt, förmliche Gebete richten sehen, es giebt hier kaum ein anderes
»aber", welches diesen Ueberschwung der Schmeichelei entschuldigen könnte
als — freilich nur für gewöhnliche Seelen eine Entschuldigung — des
Lebens Noth. Zudem ist Charakterstärke in jener Zeit ein Meteor, auch
die Besseren sind vom Gifthauch der Schmeichelei angesteckt, arbeitete in der
geistigen Atmosphäre, gewohnheitsmäßig athmete man die Miasmen ein. Mit
der Vergötterung der Menschen geht aber Hand in Hand die Vermensch¬
lichung, d. h. die Verachtung der Götter. Es ist bezeichnend, wie wenig in
den Trauerliedern Ovid's von den Göttern, wie viel von dem Vergötterten,
von August, die Rede ist, wo jene etwa erwähnt werden, geschieht es mehr
nur in metaphorischer Bedeutung oder als Concession an die noch immer
nicht salut erklärte Staatsreligion; von wirklichem Glauben und persönlicher
Ueberzeugung findet sich kaum eine Spur. Wenn der Dichter schon in seiner
guten Zeit am Dasein der Götter gezweifelt hatte, weil er viele Guten von
unverdienten Leid getroffen sah, so hatte er jetzt, wo er selber sich in diesem
Fall befand, keine Ursache seinen Glauben oder Unglauben zu ändern. Es
mochte ihm in diesem Punkte gehen wie Horaz, der mit allem Eifer gegen
den Verfall der Götterverehrung, welche er zum Bestände des Reiches für
nothwendig hielt, persönlich gar keine Religion hatte. Aber unser armer
Dichter fand für diesen Mangel keinen Ersatz in seinem eigenen gebrochenen
Herzen, kaum hier und da erhellt ein freundlicher Sonnenblick die düstere
Nacht seines Daseins, so, als die guten Tonnen, welchen nach und nach
ein Licht über die Berühmtheit des Fremdlings und Miteinwohners auf¬
gegangen war, ihn durch einen Kranz und allerlei bürgerliche Auszeichnungen
ehrten; was ihm aber noch am meisten Spannkraft verlieh, war die nie er-
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