Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Strahlungen ihrer selbst zu einem künstlerisch verklärten Bilde gestaltet; seine
Genialität besteht in einer Fülle der glänzendsten Vorzüge, aber der Brunn¬
quell, aus welchem sie ihre Nahrung ziehen, ist nicht das ewige Licht einer
harmonischen Charakterbildung, sondern der trügerische Schein einer glänzen¬
den Umgebung, einer verfeinerten aber genußsüchtigen und sittenlosen Gesell¬
schaft; als dieser plötzlich in Nacht versank, da lagerte sich das Dunkel nach
und nach auch über jenen geistigen Glanz unseres Dichters. Und doch, um
gerecht zu sein, an jenem Tomi haftete eine furchtbare Nothwendigkeit, welche
selbst der unglückliche Silvio in seiner Kerkernacht nicht in so vollem Maaß
verspürte -- das Fehlen der Muttersprache. Eine völlig unverstandene Sprache
tönte an des Dichters Ohr. die getische. Das Griechische, die ursprüngliche
Sprache der Colonisten war inmitten der barbarischen Umgebung nach und
nach ausgestorben; nur ausnahmsweise wurde sein Klang noch vernommen
und der arme Verbannte mußte froh sein, wenn er sich mit einzelnen Tonnen
durch das Griechische, das er leidlich sprach und vollkommen verstand, verstän¬
digen konnte; ein wahres, wenn auch seltenes Fest war es für ihn, wenn
etwa ein italischer Schiffsmann oder Kaufherr sich an die ungastliche Küste
verirrte und ihm Gelegenheit gab, die süßen Laute der Muttersprache zu hö¬
ren und auszutauschen.

Sonst war er aus die Zeichensprache angewiesen und diese Nothwendig¬
keit können wir uns nicht qualvoll genug denken, zumal für eine Natur wie
die seine, welche den ganzen Reichthum der auf sie einströmenden Eindrücke von
jeher in flüssiges Sprachgold umzusetzen gewohnt war. Er war jetzt auf den
Umgang mit seiner eigenen Muse angewiesen, wenn er nicht seine Mutter¬
sprache nach und nach vergessen wollte; dieser Umstand schon nöthigt ihn,
seine poetische Thätigkeit in Tomi fortzusetzen, und wenn nun gleichwohl
seine Angst sich verwirklicht, wenn wir ihn klagen hören, daß sich ihm gewisse
Ausdrücke nicht sofort einstellen und daß der Fluß der Rede hie und da
stocken will, so dringen diese Schmerzenslaute mit ihrer erschütternden Wahr¬
heit jetzt noch tief in unser Herz.

Es war hart, beständig auf der Hut sein zu müssen, vor den räuberischen
Einfällen scythischer und getischer Nachbarn, welche im Winter über die
gefrorene Donau auf ihren schnellen Rossen hergebraust kamen, die Männer
niedermetzelten, Weib und Kind und sonstige Beute wegschleppten und rauchende
Spuren ihres Ueberfalls hinterließen, es war hart für den weichherzigen fried¬
liebenden Dichter, wenn auch er sich in die Rüstung des Kriegers hüllen
mußte, um in den Reihen der Tonnen Leib und Leben gegen die vergifteten
Pfeile der Räuber zu schützen und den Belagerern Trotz zu bieten, aber in
dieser Thätigkeit pulste doch Leben und Bewegung; über jener Stagnation


Strahlungen ihrer selbst zu einem künstlerisch verklärten Bilde gestaltet; seine
Genialität besteht in einer Fülle der glänzendsten Vorzüge, aber der Brunn¬
quell, aus welchem sie ihre Nahrung ziehen, ist nicht das ewige Licht einer
harmonischen Charakterbildung, sondern der trügerische Schein einer glänzen¬
den Umgebung, einer verfeinerten aber genußsüchtigen und sittenlosen Gesell¬
schaft; als dieser plötzlich in Nacht versank, da lagerte sich das Dunkel nach
und nach auch über jenen geistigen Glanz unseres Dichters. Und doch, um
gerecht zu sein, an jenem Tomi haftete eine furchtbare Nothwendigkeit, welche
selbst der unglückliche Silvio in seiner Kerkernacht nicht in so vollem Maaß
verspürte — das Fehlen der Muttersprache. Eine völlig unverstandene Sprache
tönte an des Dichters Ohr. die getische. Das Griechische, die ursprüngliche
Sprache der Colonisten war inmitten der barbarischen Umgebung nach und
nach ausgestorben; nur ausnahmsweise wurde sein Klang noch vernommen
und der arme Verbannte mußte froh sein, wenn er sich mit einzelnen Tonnen
durch das Griechische, das er leidlich sprach und vollkommen verstand, verstän¬
digen konnte; ein wahres, wenn auch seltenes Fest war es für ihn, wenn
etwa ein italischer Schiffsmann oder Kaufherr sich an die ungastliche Küste
verirrte und ihm Gelegenheit gab, die süßen Laute der Muttersprache zu hö¬
ren und auszutauschen.

Sonst war er aus die Zeichensprache angewiesen und diese Nothwendig¬
keit können wir uns nicht qualvoll genug denken, zumal für eine Natur wie
die seine, welche den ganzen Reichthum der auf sie einströmenden Eindrücke von
jeher in flüssiges Sprachgold umzusetzen gewohnt war. Er war jetzt auf den
Umgang mit seiner eigenen Muse angewiesen, wenn er nicht seine Mutter¬
sprache nach und nach vergessen wollte; dieser Umstand schon nöthigt ihn,
seine poetische Thätigkeit in Tomi fortzusetzen, und wenn nun gleichwohl
seine Angst sich verwirklicht, wenn wir ihn klagen hören, daß sich ihm gewisse
Ausdrücke nicht sofort einstellen und daß der Fluß der Rede hie und da
stocken will, so dringen diese Schmerzenslaute mit ihrer erschütternden Wahr¬
heit jetzt noch tief in unser Herz.

Es war hart, beständig auf der Hut sein zu müssen, vor den räuberischen
Einfällen scythischer und getischer Nachbarn, welche im Winter über die
gefrorene Donau auf ihren schnellen Rossen hergebraust kamen, die Männer
niedermetzelten, Weib und Kind und sonstige Beute wegschleppten und rauchende
Spuren ihres Ueberfalls hinterließen, es war hart für den weichherzigen fried¬
liebenden Dichter, wenn auch er sich in die Rüstung des Kriegers hüllen
mußte, um in den Reihen der Tonnen Leib und Leben gegen die vergifteten
Pfeile der Räuber zu schützen und den Belagerern Trotz zu bieten, aber in
dieser Thätigkeit pulste doch Leben und Bewegung; über jener Stagnation


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133590"/>
          <p xml:id="ID_944" prev="#ID_943"> Strahlungen ihrer selbst zu einem künstlerisch verklärten Bilde gestaltet; seine<lb/>
Genialität besteht in einer Fülle der glänzendsten Vorzüge, aber der Brunn¬<lb/>
quell, aus welchem sie ihre Nahrung ziehen, ist nicht das ewige Licht einer<lb/>
harmonischen Charakterbildung, sondern der trügerische Schein einer glänzen¬<lb/>
den Umgebung, einer verfeinerten aber genußsüchtigen und sittenlosen Gesell¬<lb/>
schaft; als dieser plötzlich in Nacht versank, da lagerte sich das Dunkel nach<lb/>
und nach auch über jenen geistigen Glanz unseres Dichters. Und doch, um<lb/>
gerecht zu sein, an jenem Tomi haftete eine furchtbare Nothwendigkeit, welche<lb/>
selbst der unglückliche Silvio in seiner Kerkernacht nicht in so vollem Maaß<lb/>
verspürte &#x2014; das Fehlen der Muttersprache. Eine völlig unverstandene Sprache<lb/>
tönte an des Dichters Ohr. die getische. Das Griechische, die ursprüngliche<lb/>
Sprache der Colonisten war inmitten der barbarischen Umgebung nach und<lb/>
nach ausgestorben; nur ausnahmsweise wurde sein Klang noch vernommen<lb/>
und der arme Verbannte mußte froh sein, wenn er sich mit einzelnen Tonnen<lb/>
durch das Griechische, das er leidlich sprach und vollkommen verstand, verstän¬<lb/>
digen konnte; ein wahres, wenn auch seltenes Fest war es für ihn, wenn<lb/>
etwa ein italischer Schiffsmann oder Kaufherr sich an die ungastliche Küste<lb/>
verirrte und ihm Gelegenheit gab, die süßen Laute der Muttersprache zu hö¬<lb/>
ren und auszutauschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_945"> Sonst war er aus die Zeichensprache angewiesen und diese Nothwendig¬<lb/>
keit können wir uns nicht qualvoll genug denken, zumal für eine Natur wie<lb/>
die seine, welche den ganzen Reichthum der auf sie einströmenden Eindrücke von<lb/>
jeher in flüssiges Sprachgold umzusetzen gewohnt war. Er war jetzt auf den<lb/>
Umgang mit seiner eigenen Muse angewiesen, wenn er nicht seine Mutter¬<lb/>
sprache nach und nach vergessen wollte; dieser Umstand schon nöthigt ihn,<lb/>
seine poetische Thätigkeit in Tomi fortzusetzen, und wenn nun gleichwohl<lb/>
seine Angst sich verwirklicht, wenn wir ihn klagen hören, daß sich ihm gewisse<lb/>
Ausdrücke nicht sofort einstellen und daß der Fluß der Rede hie und da<lb/>
stocken will, so dringen diese Schmerzenslaute mit ihrer erschütternden Wahr¬<lb/>
heit jetzt noch tief in unser Herz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_946" next="#ID_947"> Es war hart, beständig auf der Hut sein zu müssen, vor den räuberischen<lb/>
Einfällen scythischer und getischer Nachbarn, welche im Winter über die<lb/>
gefrorene Donau auf ihren schnellen Rossen hergebraust kamen, die Männer<lb/>
niedermetzelten, Weib und Kind und sonstige Beute wegschleppten und rauchende<lb/>
Spuren ihres Ueberfalls hinterließen, es war hart für den weichherzigen fried¬<lb/>
liebenden Dichter, wenn auch er sich in die Rüstung des Kriegers hüllen<lb/>
mußte, um in den Reihen der Tonnen Leib und Leben gegen die vergifteten<lb/>
Pfeile der Räuber zu schützen und den Belagerern Trotz zu bieten, aber in<lb/>
dieser Thätigkeit pulste doch Leben und Bewegung; über jener Stagnation</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] Strahlungen ihrer selbst zu einem künstlerisch verklärten Bilde gestaltet; seine Genialität besteht in einer Fülle der glänzendsten Vorzüge, aber der Brunn¬ quell, aus welchem sie ihre Nahrung ziehen, ist nicht das ewige Licht einer harmonischen Charakterbildung, sondern der trügerische Schein einer glänzen¬ den Umgebung, einer verfeinerten aber genußsüchtigen und sittenlosen Gesell¬ schaft; als dieser plötzlich in Nacht versank, da lagerte sich das Dunkel nach und nach auch über jenen geistigen Glanz unseres Dichters. Und doch, um gerecht zu sein, an jenem Tomi haftete eine furchtbare Nothwendigkeit, welche selbst der unglückliche Silvio in seiner Kerkernacht nicht in so vollem Maaß verspürte — das Fehlen der Muttersprache. Eine völlig unverstandene Sprache tönte an des Dichters Ohr. die getische. Das Griechische, die ursprüngliche Sprache der Colonisten war inmitten der barbarischen Umgebung nach und nach ausgestorben; nur ausnahmsweise wurde sein Klang noch vernommen und der arme Verbannte mußte froh sein, wenn er sich mit einzelnen Tonnen durch das Griechische, das er leidlich sprach und vollkommen verstand, verstän¬ digen konnte; ein wahres, wenn auch seltenes Fest war es für ihn, wenn etwa ein italischer Schiffsmann oder Kaufherr sich an die ungastliche Küste verirrte und ihm Gelegenheit gab, die süßen Laute der Muttersprache zu hö¬ ren und auszutauschen. Sonst war er aus die Zeichensprache angewiesen und diese Nothwendig¬ keit können wir uns nicht qualvoll genug denken, zumal für eine Natur wie die seine, welche den ganzen Reichthum der auf sie einströmenden Eindrücke von jeher in flüssiges Sprachgold umzusetzen gewohnt war. Er war jetzt auf den Umgang mit seiner eigenen Muse angewiesen, wenn er nicht seine Mutter¬ sprache nach und nach vergessen wollte; dieser Umstand schon nöthigt ihn, seine poetische Thätigkeit in Tomi fortzusetzen, und wenn nun gleichwohl seine Angst sich verwirklicht, wenn wir ihn klagen hören, daß sich ihm gewisse Ausdrücke nicht sofort einstellen und daß der Fluß der Rede hie und da stocken will, so dringen diese Schmerzenslaute mit ihrer erschütternden Wahr¬ heit jetzt noch tief in unser Herz. Es war hart, beständig auf der Hut sein zu müssen, vor den räuberischen Einfällen scythischer und getischer Nachbarn, welche im Winter über die gefrorene Donau auf ihren schnellen Rossen hergebraust kamen, die Männer niedermetzelten, Weib und Kind und sonstige Beute wegschleppten und rauchende Spuren ihres Ueberfalls hinterließen, es war hart für den weichherzigen fried¬ liebenden Dichter, wenn auch er sich in die Rüstung des Kriegers hüllen mußte, um in den Reihen der Tonnen Leib und Leben gegen die vergifteten Pfeile der Räuber zu schützen und den Belagerern Trotz zu bieten, aber in dieser Thätigkeit pulste doch Leben und Bewegung; über jener Stagnation

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/302>, abgerufen am 06.02.2025.