Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.erklären, warum der Dichter die Fortsetzung dieses Werkes unterließ. Jeder Es giebt zwar in jeder Literatur Heimwehklänge von der ächtesten Jene "Metamorphosen" hatte er schon zu Rom, vor seiner Abreise, erklären, warum der Dichter die Fortsetzung dieses Werkes unterließ. Jeder Es giebt zwar in jeder Literatur Heimwehklänge von der ächtesten Jene „Metamorphosen" hatte er schon zu Rom, vor seiner Abreise, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133588"/> <p xml:id="ID_938" prev="#ID_937"> erklären, warum der Dichter die Fortsetzung dieses Werkes unterließ. Jeder<lb/> Tag, jeder Ort den er zu schildern hatte, würde das in ihm zehrende Heimweh<lb/> zur lodernden Flamme angefacht und seine Qual verzehnfacht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_939"> Es giebt zwar in jeder Literatur Heimwehklänge von der ächtesten<lb/> ergreifendsten Poesie, wo gerade der Contrast dem Dichtenden Kraft gab,<lb/> voller und melodischer als gewöhnlich die Saiten zu rühren, aber diese Klänge<lb/> entströmen immer einem Herzen, das zur Wehmuth gestimmt ist; in Ovid's<lb/> Herzen aber hauste die Oede der Verzweiflung, und dieser entkeimen auch nicht<lb/> mehr die Blüthen des Gesanges. Irgend eines gelehrten Stoffes, den<lb/> er zu Rom angefangen, wäre er zur Noth auch ohne literarische Hülfs¬<lb/> mittel Meister geworden, denn er beherrscht den Bildungsstoff seiner<lb/> Zeit, welche nach ihrem Vorbild, der alexandrinischen Periode, besonders sich<lb/> in mythologischer und antiquarischer Gelehrsamkeit gefiel, auf das vollständigste.<lb/> Ein sprechendes Zeugniß dafür sind seine in Tomi geschriebenen Elegien,<lb/> welche ohne daß dem Verfasser literarische Hülfsmittel zu Gebote gestanden<lb/> hätten, von Mythen und sogar geschichtlichen, aus dem lebendigsten Gedächtniß<lb/> geschöpften Anspielungen reichlich durchflochten sind. Es wäre ihm auch nicht<lb/> schwer gefallen, sein berühmtestes, allerdings schon in Rom vollendetes Werk<lb/> die „Verwandlungen" (MLts.morxnosLs) weiter fortzuführen, jenes bewunderns¬<lb/> würdige, im Mittelalter wie auch in unserer Zeit populärste Werk des<lb/> Dichters, das mit einer so rauschenden Verherrlichung des jütischen Geschlechts<lb/> und einer so siegesgewisser Unsterblichkeitserklärung des Dichters abschließt.<lb/> Und gerade der am meisten gefeierte dieses Geschlechts maaßt sich in seinem<lb/> Herrschergrimme das Amt des Richters über unsern Dichter, ja . des Todten-<lb/> gräbers an und weist ihn bei lebendigem Leibe zu den Leichen! Und jenes<lb/> Selbstgefühl, das so stolz aufblitzte und aufleuchtete — es ist niedergebrannt<lb/> bis auf zahme Fünkchen. Der gebrochene Dichter glaubt kaum mehr an<lb/> seinen Beruf; es ist nicht falsche Bescheidenheit, die Zweifel sind wirkliche;<lb/> weder der Ort noch der Seelenzustand stimmt zur Heuchelei; zwar flackert<lb/> aus dem ausgebrannten Vulcan seines Innern die Freude wieder auf, als<lb/> ihm Freundeshand Nachricht giebt von dem Erfolg seiner Gedichte in Rom,<lb/> aber all sein Dichterruhm hält nicht vor, diese Flamme zu erhalten und er<lb/> gäbe gern die Herrlichkeit feines Namens hin für die Erlösung aus diesem<lb/> Elend, ja für die bloße Erleichterung desselben, für Versetzung in irgend eine<lb/> Gegend in größerer Nähe Roms.</p><lb/> <p xml:id="ID_940" next="#ID_941"> Jene „Metamorphosen" hatte er schon zu Rom, vor seiner Abreise,<lb/> verbrannt, recht zum Zeichen, daß ihm Beruf und Nachruhm werthlos waren,<lb/> nachdem die Nacht über sein Leben gekommen war. Hätte nicht ein guter<lb/> Freund schon früher eine Abschrift von dem Gedichte (das Nähere wissen wir<lb/> nicht) genommen, so wären wir um eine der lieblichsten Früchte des römischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
erklären, warum der Dichter die Fortsetzung dieses Werkes unterließ. Jeder
Tag, jeder Ort den er zu schildern hatte, würde das in ihm zehrende Heimweh
zur lodernden Flamme angefacht und seine Qual verzehnfacht haben.
Es giebt zwar in jeder Literatur Heimwehklänge von der ächtesten
ergreifendsten Poesie, wo gerade der Contrast dem Dichtenden Kraft gab,
voller und melodischer als gewöhnlich die Saiten zu rühren, aber diese Klänge
entströmen immer einem Herzen, das zur Wehmuth gestimmt ist; in Ovid's
Herzen aber hauste die Oede der Verzweiflung, und dieser entkeimen auch nicht
mehr die Blüthen des Gesanges. Irgend eines gelehrten Stoffes, den
er zu Rom angefangen, wäre er zur Noth auch ohne literarische Hülfs¬
mittel Meister geworden, denn er beherrscht den Bildungsstoff seiner
Zeit, welche nach ihrem Vorbild, der alexandrinischen Periode, besonders sich
in mythologischer und antiquarischer Gelehrsamkeit gefiel, auf das vollständigste.
Ein sprechendes Zeugniß dafür sind seine in Tomi geschriebenen Elegien,
welche ohne daß dem Verfasser literarische Hülfsmittel zu Gebote gestanden
hätten, von Mythen und sogar geschichtlichen, aus dem lebendigsten Gedächtniß
geschöpften Anspielungen reichlich durchflochten sind. Es wäre ihm auch nicht
schwer gefallen, sein berühmtestes, allerdings schon in Rom vollendetes Werk
die „Verwandlungen" (MLts.morxnosLs) weiter fortzuführen, jenes bewunderns¬
würdige, im Mittelalter wie auch in unserer Zeit populärste Werk des
Dichters, das mit einer so rauschenden Verherrlichung des jütischen Geschlechts
und einer so siegesgewisser Unsterblichkeitserklärung des Dichters abschließt.
Und gerade der am meisten gefeierte dieses Geschlechts maaßt sich in seinem
Herrschergrimme das Amt des Richters über unsern Dichter, ja . des Todten-
gräbers an und weist ihn bei lebendigem Leibe zu den Leichen! Und jenes
Selbstgefühl, das so stolz aufblitzte und aufleuchtete — es ist niedergebrannt
bis auf zahme Fünkchen. Der gebrochene Dichter glaubt kaum mehr an
seinen Beruf; es ist nicht falsche Bescheidenheit, die Zweifel sind wirkliche;
weder der Ort noch der Seelenzustand stimmt zur Heuchelei; zwar flackert
aus dem ausgebrannten Vulcan seines Innern die Freude wieder auf, als
ihm Freundeshand Nachricht giebt von dem Erfolg seiner Gedichte in Rom,
aber all sein Dichterruhm hält nicht vor, diese Flamme zu erhalten und er
gäbe gern die Herrlichkeit feines Namens hin für die Erlösung aus diesem
Elend, ja für die bloße Erleichterung desselben, für Versetzung in irgend eine
Gegend in größerer Nähe Roms.
Jene „Metamorphosen" hatte er schon zu Rom, vor seiner Abreise,
verbrannt, recht zum Zeichen, daß ihm Beruf und Nachruhm werthlos waren,
nachdem die Nacht über sein Leben gekommen war. Hätte nicht ein guter
Freund schon früher eine Abschrift von dem Gedichte (das Nähere wissen wir
nicht) genommen, so wären wir um eine der lieblichsten Früchte des römischen
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