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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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ebenso berüchtigten Mutter, eine Hauptrolle in diesem Drama zuweist. Wenn,
wie es kaum anders möglich ist, die Herausgabe der "Liebeskunst" in mittel¬
barem Zusammenhang mit dem geheimnißvollen zweiten Grunde steht, so läßt
sich der nachhaltige Grimm des Augustus, welcher dem Dichter nie verzieh,
und für alle direkten und indirekten Gnadengesuche zu Gunsten des Verbannten
taube Ohren hatte, gar nicht anders erklären, als durch ein Familiendrama,
dessen Motiv ein Liebeshandel war, und hierbei können die beiden Julien den
traurigen Anspruch erheben, daß man zunächst und zuerst an sie denke.
An beiden fand jedenfalls Ovid's "Liebeskunst" eifrige Leserinnen; die Buhl¬
künste, die er lehrte, wurden von Beiden praktisch geübt und die leichtfertige,
zugleich graciöse Manier, womit der Dichter ein Gewerbe, wie das ihrige, zu-
schildern, und gleichsam für den Geschmack lecker zu machen wußte, mußte
ihr allerhöchstes Wohlgefallen erregen. So scheint Ovid sich der Gunst der
Jüngeren -- denn zur Zeit seiner Verbannung kann nur von dieser die Rede
sein -- erfreut zu haben, ob aber in dem Grade, daß nicht nur seine Gedichte
im Boudoir der Schönen als Toilettenschmuck prangten, sondern auch seine
Persönlichkeit mit lüsternem Auge betrachtet und zu den Orgien derselben zuge¬
zogen wurde, wird immer ein Geheimniß bleiben. Zeuge einer solchen Orgie
Mag, scheint ja Ovid allerdings gewesen zu sein, und wenn er das, was
für das hochgestellte aber sittenlose Weib ein Verbrechen war, verschwieg, so
war das Grund genug für Augustus, ihn, den Hehler, seinen ganzen Zorn
fühlen zu lassen. Denn in solchen Dingen verstand er keinen Spaß, und es
war kein Wunder, wenn er, der den Ruf seines Hauses und die Grundsätze
seiner häuslichen Erziehung an der zügellosen Wildheit des Geschlechtstriebes
scheitern sah, der vergeblich Tochter und Enkelin an den Spinnrocken und den
Webstuhl zu bannen, vergeblich ohne Reden und Handlungen durch das steife
(Zeremoniell der Etikette in die Grenzen der Ehrbarkeit zu zwingen versucht
hatte, nun in der Bekümmerniß seines Vaterherzens trotz seiner äußeren Strenge
unbewußt nach mildernden Trostgründen zu Gunsten der Verlornen Tochter
und Enkelin haschend, den Thetlnehmer (oder Zeugen?) ihrer Ausschweifungen,
"als deren Anstifter, den Verführten als ihren Verführer, den Dichter der
Liebe als ihren Lehrmeister in der Unzucht und dem Ehebruch betrachtete".
Merkwürdig ist auch die Coincidenz der Strafe beider Schuldiger: im gleichen
Jahre wie Ovid wurde Julia nach einer kleinen Insel verbannt und auch
sie kehrte, wie Ovid, nicht mehr nach Rom zurück, sondern starb im Exil. Auch
der Umstand, daß Augustus selber, durch Machtspruch, nicht der Senat, vor
welchen eigentlich als obersten Criminalgerichtshof der jungen Monarchie die
Untersuchung gehörte, die Strafe festsetzte, und daß Ovid in allen seinen be¬
züglichen Briefen stets nur auf die Gnade des Alleinherrschers anspielt, ver¬
stärkt die Wahrscheinlichkeit, daß Augustus sich persönlich beleidigt fand.


ebenso berüchtigten Mutter, eine Hauptrolle in diesem Drama zuweist. Wenn,
wie es kaum anders möglich ist, die Herausgabe der „Liebeskunst" in mittel¬
barem Zusammenhang mit dem geheimnißvollen zweiten Grunde steht, so läßt
sich der nachhaltige Grimm des Augustus, welcher dem Dichter nie verzieh,
und für alle direkten und indirekten Gnadengesuche zu Gunsten des Verbannten
taube Ohren hatte, gar nicht anders erklären, als durch ein Familiendrama,
dessen Motiv ein Liebeshandel war, und hierbei können die beiden Julien den
traurigen Anspruch erheben, daß man zunächst und zuerst an sie denke.
An beiden fand jedenfalls Ovid's „Liebeskunst" eifrige Leserinnen; die Buhl¬
künste, die er lehrte, wurden von Beiden praktisch geübt und die leichtfertige,
zugleich graciöse Manier, womit der Dichter ein Gewerbe, wie das ihrige, zu-
schildern, und gleichsam für den Geschmack lecker zu machen wußte, mußte
ihr allerhöchstes Wohlgefallen erregen. So scheint Ovid sich der Gunst der
Jüngeren — denn zur Zeit seiner Verbannung kann nur von dieser die Rede
sein — erfreut zu haben, ob aber in dem Grade, daß nicht nur seine Gedichte
im Boudoir der Schönen als Toilettenschmuck prangten, sondern auch seine
Persönlichkeit mit lüsternem Auge betrachtet und zu den Orgien derselben zuge¬
zogen wurde, wird immer ein Geheimniß bleiben. Zeuge einer solchen Orgie
Mag, scheint ja Ovid allerdings gewesen zu sein, und wenn er das, was
für das hochgestellte aber sittenlose Weib ein Verbrechen war, verschwieg, so
war das Grund genug für Augustus, ihn, den Hehler, seinen ganzen Zorn
fühlen zu lassen. Denn in solchen Dingen verstand er keinen Spaß, und es
war kein Wunder, wenn er, der den Ruf seines Hauses und die Grundsätze
seiner häuslichen Erziehung an der zügellosen Wildheit des Geschlechtstriebes
scheitern sah, der vergeblich Tochter und Enkelin an den Spinnrocken und den
Webstuhl zu bannen, vergeblich ohne Reden und Handlungen durch das steife
(Zeremoniell der Etikette in die Grenzen der Ehrbarkeit zu zwingen versucht
hatte, nun in der Bekümmerniß seines Vaterherzens trotz seiner äußeren Strenge
unbewußt nach mildernden Trostgründen zu Gunsten der Verlornen Tochter
und Enkelin haschend, den Thetlnehmer (oder Zeugen?) ihrer Ausschweifungen,
„als deren Anstifter, den Verführten als ihren Verführer, den Dichter der
Liebe als ihren Lehrmeister in der Unzucht und dem Ehebruch betrachtete".
Merkwürdig ist auch die Coincidenz der Strafe beider Schuldiger: im gleichen
Jahre wie Ovid wurde Julia nach einer kleinen Insel verbannt und auch
sie kehrte, wie Ovid, nicht mehr nach Rom zurück, sondern starb im Exil. Auch
der Umstand, daß Augustus selber, durch Machtspruch, nicht der Senat, vor
welchen eigentlich als obersten Criminalgerichtshof der jungen Monarchie die
Untersuchung gehörte, die Strafe festsetzte, und daß Ovid in allen seinen be¬
züglichen Briefen stets nur auf die Gnade des Alleinherrschers anspielt, ver¬
stärkt die Wahrscheinlichkeit, daß Augustus sich persönlich beleidigt fand.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/297>, abgerufen am 06.02.2025.