Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.damaligen Roms, eine Liebe, welche, durch keine Bande der Ehe beschränkt, Bor den "Elegien" und der "Liebeskunst" übrigens liegen noch die Grcnzl^kam II. 187S. 37
damaligen Roms, eine Liebe, welche, durch keine Bande der Ehe beschränkt, Bor den „Elegien" und der „Liebeskunst" übrigens liegen noch die Grcnzl^kam II. 187S. 37
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133581"/> <p xml:id="ID_926" prev="#ID_925"> damaligen Roms, eine Liebe, welche, durch keine Bande der Ehe beschränkt,<lb/> nach den Empfindungen des Momentes ihre Wahl trifft und, wenn sie etwa<lb/> auch durch längere Vertrautheit zu einer ernsteren, wirklich ethischen Bedeutung<lb/> heranwachsen kann, für gewöhnlich nicht von Gram und Herzeleid zehrt, sich<lb/> zwar über Sprödigkeit, wohl auch zeitweise Untreue zu beklagen hat, aber<lb/> im Genusse wieder alle vorausgegangenen Schmerzen vergißt. Ob aber solche<lb/> Verhältnisse der dichterischen Darstellung fähig, oder würdig sind? das ist<lb/> eine Frage der Zeiten und der Sitten. Wenn selbst die unsrige, welche auch<lb/> im Punkte der Sinnlichkeit, d. h. des künstlerischen Ausdruckes derselben, sich<lb/> so herbjungfräulich, beinah ascetisch verhält, ihre größten Dichter sich mit<lb/> Behagen in diesem Gebiete hat ergehen sehen, so werden wir uns hüten, den<lb/> Alten einen strengeren Maßstab als wir selber haben, aufdrängen zu wollen.<lb/> Jene Verhältnisse galten für durchaus erlaubt und unanstößig; es war nicht<lb/> blos die Mode, welche sie aufrecht erhielt, sondern die Sitte, welche sie ge¬<lb/> stattete. Und den Dichter kann am wenigsten ein Vorwurf treffen, welcher<lb/> ohne jeglichen Cynismus, aber auch ohne Verhüllung die Natur schildert,<lb/> wie sie eben ist, der sie nicht blos zur Hälfte zeigt und zur Hälfte verdeckt,<lb/> gerade aber durch ein coquettes Andenken des Restes die Lüsternheit zu wei¬<lb/> terem Forschen reizt. Diese gefährlichere Manier ist in gewissen anderen Li¬<lb/> teraturen viel mehr vertreten als durch Ovid und Genossen, deren er eine<lb/> bedenklich lange Reihe aufzählt. Das Genre überhaupt verdient deswegen,<lb/> weil es von vielen geübt, von sehr vielen gesucht und goutirt wurde, weder<lb/> Vertheidigung noch auch Lob, aber man darf es auch nicht ohne Weiteres<lb/> verdammen; jedenfalls darf unsere Zeit nicht im Gerichte sitzen. Die da¬<lb/> malige ^'öuiwssL avr6<z beiderlei Geschlechts verlangte es, und ein Dichter, der<lb/> zunächst ein großes Publikum suchte, war beinahe auf diese Gattung ange¬<lb/> wiesen. Keine Frage, er hätte nach würdigeren und erhabeneren Stoffen greifen<lb/> können, wenn sein leichtes Naturell ihn nur einen Augenblick hätte schwanken<lb/> lassen zwischen den höchsten poetischen Motiven einerseits und der Verbreitung<lb/> seines Namens anderseits; sittliche Skrupeln konnten ihn um so weniger be¬<lb/> unruhigen, als er seine ganze erotische Poesie ausdrücklich nicht den Stoikern<lb/> und Matronen geschrieben wissen wollte. Seine ganze erotische Poesie: denn<lb/> wie den Elegien an und über Corinna ist diese noch lange nicht erschöpft und<lb/> noch viel bedenklicher als jene wäre allerdings die „Liebeskunst" desselben<lb/> Dichters, hätte er nicht das, ihm vorschwebende Publikum mit aller nur<lb/> wünschbaren Deutlichkeit bezeichnet, nämlich als „derjenigen Mädchen, deren<lb/> Haare etwas los um die Schläfe und deren Kleider nicht deckend über die<lb/> Füße wallen".</p><lb/> <p xml:id="ID_927" next="#ID_928"> Bor den „Elegien" und der „Liebeskunst" übrigens liegen noch die<lb/> «Liebesbriefe", gewöhnlich Herolden genannt, eine poetische Gattung, deren</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzl^kam II. 187S. 37</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293]
damaligen Roms, eine Liebe, welche, durch keine Bande der Ehe beschränkt,
nach den Empfindungen des Momentes ihre Wahl trifft und, wenn sie etwa
auch durch längere Vertrautheit zu einer ernsteren, wirklich ethischen Bedeutung
heranwachsen kann, für gewöhnlich nicht von Gram und Herzeleid zehrt, sich
zwar über Sprödigkeit, wohl auch zeitweise Untreue zu beklagen hat, aber
im Genusse wieder alle vorausgegangenen Schmerzen vergißt. Ob aber solche
Verhältnisse der dichterischen Darstellung fähig, oder würdig sind? das ist
eine Frage der Zeiten und der Sitten. Wenn selbst die unsrige, welche auch
im Punkte der Sinnlichkeit, d. h. des künstlerischen Ausdruckes derselben, sich
so herbjungfräulich, beinah ascetisch verhält, ihre größten Dichter sich mit
Behagen in diesem Gebiete hat ergehen sehen, so werden wir uns hüten, den
Alten einen strengeren Maßstab als wir selber haben, aufdrängen zu wollen.
Jene Verhältnisse galten für durchaus erlaubt und unanstößig; es war nicht
blos die Mode, welche sie aufrecht erhielt, sondern die Sitte, welche sie ge¬
stattete. Und den Dichter kann am wenigsten ein Vorwurf treffen, welcher
ohne jeglichen Cynismus, aber auch ohne Verhüllung die Natur schildert,
wie sie eben ist, der sie nicht blos zur Hälfte zeigt und zur Hälfte verdeckt,
gerade aber durch ein coquettes Andenken des Restes die Lüsternheit zu wei¬
terem Forschen reizt. Diese gefährlichere Manier ist in gewissen anderen Li¬
teraturen viel mehr vertreten als durch Ovid und Genossen, deren er eine
bedenklich lange Reihe aufzählt. Das Genre überhaupt verdient deswegen,
weil es von vielen geübt, von sehr vielen gesucht und goutirt wurde, weder
Vertheidigung noch auch Lob, aber man darf es auch nicht ohne Weiteres
verdammen; jedenfalls darf unsere Zeit nicht im Gerichte sitzen. Die da¬
malige ^'öuiwssL avr6<z beiderlei Geschlechts verlangte es, und ein Dichter, der
zunächst ein großes Publikum suchte, war beinahe auf diese Gattung ange¬
wiesen. Keine Frage, er hätte nach würdigeren und erhabeneren Stoffen greifen
können, wenn sein leichtes Naturell ihn nur einen Augenblick hätte schwanken
lassen zwischen den höchsten poetischen Motiven einerseits und der Verbreitung
seines Namens anderseits; sittliche Skrupeln konnten ihn um so weniger be¬
unruhigen, als er seine ganze erotische Poesie ausdrücklich nicht den Stoikern
und Matronen geschrieben wissen wollte. Seine ganze erotische Poesie: denn
wie den Elegien an und über Corinna ist diese noch lange nicht erschöpft und
noch viel bedenklicher als jene wäre allerdings die „Liebeskunst" desselben
Dichters, hätte er nicht das, ihm vorschwebende Publikum mit aller nur
wünschbaren Deutlichkeit bezeichnet, nämlich als „derjenigen Mädchen, deren
Haare etwas los um die Schläfe und deren Kleider nicht deckend über die
Füße wallen".
Bor den „Elegien" und der „Liebeskunst" übrigens liegen noch die
«Liebesbriefe", gewöhnlich Herolden genannt, eine poetische Gattung, deren
Grcnzl^kam II. 187S. 37
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