Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.unerträglich sein. Daß die Gefilde vom marmornen Frost weiß waren und unerträglich sein. Daß die Gefilde vom marmornen Frost weiß waren und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133575"/> <p xml:id="ID_911" prev="#ID_910" next="#ID_912"> unerträglich sein. Daß die Gefilde vom marmornen Frost weiß waren und<lb/> ehe noch der frühere Schnee geschmolzen, schon andere Massen erschienen, daß<lb/> der Nord mit einer Häuser und Dächer niederreißenden Wucht daherstürmte,<lb/> daß der flüssige Wein erstarrte und die Form des Gefäßes annahm, daß man<lb/> sich mühsam durch Felle, ja durch Hosen, gegen den Frost schützte und von<lb/> der edlen Menschengestalt, unter der Last von Hüllen, bloß das Gesicht noch<lb/> sichtbar war, daß Haupt- und Barthaar vom Eise klirrten, und daß man<lb/> trocknen 'Fußes über die unabsehbare Meeresfläche wandelte — war für einen<lb/> Sohn Italiens schon neu und schaurig genug; vermehrt wurde das Melan¬<lb/> cholische des Eindrucks dadurch, daß kein Baum, kein Gesträuch die Ein¬<lb/> förmigkeit der kahlen Gegend unterbrach. Aber auch das und noch mehr:<lb/> das salzige Trinkwasser und die ungewohnte, unverdauliche Kost, die ärmliche<lb/> Wohnung, ja sogar die Tag für Tag wiederkehrende Angst vor den feindlichen<lb/> Einfällen der benachbarten Barbarenhorden, der Geten, Scythen, Bortarner,<lb/> Sarmaten und wie alle heißen, die stets sich neuernde Lebensgefahr wäre noch<lb/> erträglich gewesen, wenn Freunde, wenn sein treues Weib den Verzagenden<lb/> durch ihre Gegenwart und durch den trostreichen Klang ihrer Stimme hätten<lb/> aufrichten können, — aber er war ja allein, und die Töne, die an sein Ohr<lb/> schlugen, kamen nicht aus Freundesmund, ja, er verstand sie nicht; sein<lb/> geliebtes Latein war in diesen Gegenden eine völlig unbekannte Sprache, und<lb/> der Dichter, der wie keiner seiner Nation alle seine Gefühle und Gedanken,<lb/> den ganzen Reichthum eines leicht erregbaren Naturells in Worte zu ver¬<lb/> wandeln wußte und dem diese virtuose Thätigkeit ein eigentliches Lebens¬<lb/> bedürfniß geworden war, mußte sich seiner Umgebung durch Geberden ver¬<lb/> ständlich machen. Für ein reiches und empfängliches Gemüth wie das seinige,<lb/> für eine geistige Individualität, wie er sie besaß, war die Strafe eine fürchter¬<lb/> liche und er mußte daran verbluten. Der Leser fragt mich, warum denn und<lb/> woher dieses fürchterliche Maaß und was war des Dichters Verbrechen? Leider<lb/> kann ich auf diese sehr natürliche und berechtigte Frage nur eine unvollständige,<lb/> kaum halbe Antwort geben und selbst diese ergiebt sich erst aus einer Umschau<lb/> über das Leben des Dichters und seine dichterische Thätigkeit; und da er sich<lb/> selber ein Kind seiner Zeit nennt, so werden wir auch die damalige Gesell¬<lb/> schaft nach ihm fragen müssen. Wir lassen uns zunächst durch die Hand des<lb/> Dichters führen. (Vornehmlich Trift, lib. II. und lib. III. 10). Er ver¬<lb/> schweigt uns sogar seinen Geburtstag nicht, der allerdings für die Republik<lb/> wichtig genug war, er war zugleich der Todestag der beiden republikanischen<lb/> Consuln Hirtius und Pansa im Kampf gegen Antonius (20 März 43 v. Chr.,<lb/> im Jahre der Stadt 711). Sein Geburtsort Sulmo (jetzt Sulmona, im<lb/> Jahre 1706 durch ein Erdbeben völlig zerstört) lag ungefähr 20 Meilen östlich<lb/> von Rom im Gebiete der Seligner; er selbst gehörte einer begüterten Ritter-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
unerträglich sein. Daß die Gefilde vom marmornen Frost weiß waren und
ehe noch der frühere Schnee geschmolzen, schon andere Massen erschienen, daß
der Nord mit einer Häuser und Dächer niederreißenden Wucht daherstürmte,
daß der flüssige Wein erstarrte und die Form des Gefäßes annahm, daß man
sich mühsam durch Felle, ja durch Hosen, gegen den Frost schützte und von
der edlen Menschengestalt, unter der Last von Hüllen, bloß das Gesicht noch
sichtbar war, daß Haupt- und Barthaar vom Eise klirrten, und daß man
trocknen 'Fußes über die unabsehbare Meeresfläche wandelte — war für einen
Sohn Italiens schon neu und schaurig genug; vermehrt wurde das Melan¬
cholische des Eindrucks dadurch, daß kein Baum, kein Gesträuch die Ein¬
förmigkeit der kahlen Gegend unterbrach. Aber auch das und noch mehr:
das salzige Trinkwasser und die ungewohnte, unverdauliche Kost, die ärmliche
Wohnung, ja sogar die Tag für Tag wiederkehrende Angst vor den feindlichen
Einfällen der benachbarten Barbarenhorden, der Geten, Scythen, Bortarner,
Sarmaten und wie alle heißen, die stets sich neuernde Lebensgefahr wäre noch
erträglich gewesen, wenn Freunde, wenn sein treues Weib den Verzagenden
durch ihre Gegenwart und durch den trostreichen Klang ihrer Stimme hätten
aufrichten können, — aber er war ja allein, und die Töne, die an sein Ohr
schlugen, kamen nicht aus Freundesmund, ja, er verstand sie nicht; sein
geliebtes Latein war in diesen Gegenden eine völlig unbekannte Sprache, und
der Dichter, der wie keiner seiner Nation alle seine Gefühle und Gedanken,
den ganzen Reichthum eines leicht erregbaren Naturells in Worte zu ver¬
wandeln wußte und dem diese virtuose Thätigkeit ein eigentliches Lebens¬
bedürfniß geworden war, mußte sich seiner Umgebung durch Geberden ver¬
ständlich machen. Für ein reiches und empfängliches Gemüth wie das seinige,
für eine geistige Individualität, wie er sie besaß, war die Strafe eine fürchter¬
liche und er mußte daran verbluten. Der Leser fragt mich, warum denn und
woher dieses fürchterliche Maaß und was war des Dichters Verbrechen? Leider
kann ich auf diese sehr natürliche und berechtigte Frage nur eine unvollständige,
kaum halbe Antwort geben und selbst diese ergiebt sich erst aus einer Umschau
über das Leben des Dichters und seine dichterische Thätigkeit; und da er sich
selber ein Kind seiner Zeit nennt, so werden wir auch die damalige Gesell¬
schaft nach ihm fragen müssen. Wir lassen uns zunächst durch die Hand des
Dichters führen. (Vornehmlich Trift, lib. II. und lib. III. 10). Er ver¬
schweigt uns sogar seinen Geburtstag nicht, der allerdings für die Republik
wichtig genug war, er war zugleich der Todestag der beiden republikanischen
Consuln Hirtius und Pansa im Kampf gegen Antonius (20 März 43 v. Chr.,
im Jahre der Stadt 711). Sein Geburtsort Sulmo (jetzt Sulmona, im
Jahre 1706 durch ein Erdbeben völlig zerstört) lag ungefähr 20 Meilen östlich
von Rom im Gebiete der Seligner; er selbst gehörte einer begüterten Ritter-
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