Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.deutschliberalen Parteien sind die "Nationalconservativen" allmälig in eine In Betreff der Organisation hatten die Clerikalen immer einen erheb¬ deutschliberalen Parteien sind die „Nationalconservativen" allmälig in eine In Betreff der Organisation hatten die Clerikalen immer einen erheb¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133571"/> <p xml:id="ID_902" prev="#ID_901"> deutschliberalen Parteien sind die „Nationalconservativen" allmälig in eine<lb/> „Frontstellung" gegen dieselben übergegangen. Ein „Reichspostler" und ein<lb/> „Liberaler" sind Hierzuland schon zwei scharf markirte Gegensätze. Trotz der<lb/> Behauptung unbedingter Reichstreue und voller Freisinnigkeit verfolgt die<lb/> genannte Partei, wir wollen annehmen vielleicht sich selbst unbewußt, gleiche<lb/> Tendenzen, wie die klerikale, kommt wenigstens vielfach bei den gleichen<lb/> Resultaten an. Wir haben an ihr dieselbe unnatürliche Verquickung des<lb/> Kirchlichen und Politischen. die dort den Culturkampf heraufbeschworen hat<lb/> und unter ihren Führern dieselben hierarchisch gesinnten Herren im geistlichen<lb/> Gewand, wie sie dort die Parole ausgeben. Gelegentlich der Reichstags¬<lb/> wahlen versuchten die Nationalconservativen ihren ersten Wassergang mit den<lb/> Liberalen. Damals war die Civilehe das Gespenst, mit dem sie die<lb/> gläubigen Gemüther ganz in derselben Weise, wie es die römischen „Hetzkaplane"<lb/> thaten, schreckten und auf das Volk wirken wollten; die Niederlage, die sie<lb/> aber damals erfuhren, könnte für ihre diesmalige Campagne keine gute Vor¬<lb/> bedeutung sein. Immerhin jedoch werden die Liberalen Sorge tragen müssen,<lb/> auf ihrer Hut zu sein und ihre Augen offen zu halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_903" next="#ID_904"> In Betreff der Organisation hatten die Clerikalen immer einen erheb¬<lb/> lichen Vorsprung vor ihren Gegnern : jedes Dorf hat ja in seinem Seelenhir¬<lb/> ten auch seinen Wahlagitator und Organisator. Die Liberalen müssen ihre<lb/> Keule mühsamer zusammensuchen und zusammenhalten. Dazu kommt, daß<lb/> auf dem Lande zumal vielfach eine bedenkliche Apathie und politische Indiffe¬<lb/> renz herrscht, gegen welche noch viel zu wenig gearbeitet wird. Im Sommer<lb/> 1870, unter dem Eindruck der gewaltigen Kriegsereignisse, wachte manches<lb/> schläfrige Bauerngemüth auch auf und wurde für das Verständniß politischer<lb/> Fragen zugänglicher, jetzt ist der Schlummer schon wieder mehr Herr gewor¬<lb/> den. Eine eigentliche, das ganze ihr zuständige Gebiet überziehende Landes¬<lb/> organisation hat die liberale Partei nicht: man suchte zwar von München<lb/> aus eine solche anzustreben, allein die fränkischen Provinzen, von welchen aus<lb/> schon früher die Fortschrittspartei geleitet wurde, wünschten ihre eigenen Wege<lb/> ^zuhalten, während dem sehr thätigen Verein der „liberalen Reichsfreunde"<lb/> in der Hauptstadt die Sorge für diese und die altbayrischen Provinzen über¬<lb/> lassen bleibt. Im Prinzip hat man sich beim Auseinandergehen des Land¬<lb/> tags dahin verständigt, daß, falls sie nicht selbst des Maubads überdrüssig<lb/> send, die bisherigen liberalen Abgeordneten sämmtlich wieder zu wählen seien.<lb/> Mit besonderer Spannung steht man auf München. wo der Wahlkampf am<lb/> erbittertsten werden wird, und auf Schwaben, in welchem einst wenigstens<lb/> Dr. Volk entschieden gesichert war und wo jetzt, Dank den unermüdlichen<lb/> Wühlereien, sogar dieser alte Kämpe gefährdet erscheint. Daß die Staatsregie-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0283]
deutschliberalen Parteien sind die „Nationalconservativen" allmälig in eine
„Frontstellung" gegen dieselben übergegangen. Ein „Reichspostler" und ein
„Liberaler" sind Hierzuland schon zwei scharf markirte Gegensätze. Trotz der
Behauptung unbedingter Reichstreue und voller Freisinnigkeit verfolgt die
genannte Partei, wir wollen annehmen vielleicht sich selbst unbewußt, gleiche
Tendenzen, wie die klerikale, kommt wenigstens vielfach bei den gleichen
Resultaten an. Wir haben an ihr dieselbe unnatürliche Verquickung des
Kirchlichen und Politischen. die dort den Culturkampf heraufbeschworen hat
und unter ihren Führern dieselben hierarchisch gesinnten Herren im geistlichen
Gewand, wie sie dort die Parole ausgeben. Gelegentlich der Reichstags¬
wahlen versuchten die Nationalconservativen ihren ersten Wassergang mit den
Liberalen. Damals war die Civilehe das Gespenst, mit dem sie die
gläubigen Gemüther ganz in derselben Weise, wie es die römischen „Hetzkaplane"
thaten, schreckten und auf das Volk wirken wollten; die Niederlage, die sie
aber damals erfuhren, könnte für ihre diesmalige Campagne keine gute Vor¬
bedeutung sein. Immerhin jedoch werden die Liberalen Sorge tragen müssen,
auf ihrer Hut zu sein und ihre Augen offen zu halten.
In Betreff der Organisation hatten die Clerikalen immer einen erheb¬
lichen Vorsprung vor ihren Gegnern : jedes Dorf hat ja in seinem Seelenhir¬
ten auch seinen Wahlagitator und Organisator. Die Liberalen müssen ihre
Keule mühsamer zusammensuchen und zusammenhalten. Dazu kommt, daß
auf dem Lande zumal vielfach eine bedenkliche Apathie und politische Indiffe¬
renz herrscht, gegen welche noch viel zu wenig gearbeitet wird. Im Sommer
1870, unter dem Eindruck der gewaltigen Kriegsereignisse, wachte manches
schläfrige Bauerngemüth auch auf und wurde für das Verständniß politischer
Fragen zugänglicher, jetzt ist der Schlummer schon wieder mehr Herr gewor¬
den. Eine eigentliche, das ganze ihr zuständige Gebiet überziehende Landes¬
organisation hat die liberale Partei nicht: man suchte zwar von München
aus eine solche anzustreben, allein die fränkischen Provinzen, von welchen aus
schon früher die Fortschrittspartei geleitet wurde, wünschten ihre eigenen Wege
^zuhalten, während dem sehr thätigen Verein der „liberalen Reichsfreunde"
in der Hauptstadt die Sorge für diese und die altbayrischen Provinzen über¬
lassen bleibt. Im Prinzip hat man sich beim Auseinandergehen des Land¬
tags dahin verständigt, daß, falls sie nicht selbst des Maubads überdrüssig
send, die bisherigen liberalen Abgeordneten sämmtlich wieder zu wählen seien.
Mit besonderer Spannung steht man auf München. wo der Wahlkampf am
erbittertsten werden wird, und auf Schwaben, in welchem einst wenigstens
Dr. Volk entschieden gesichert war und wo jetzt, Dank den unermüdlichen
Wühlereien, sogar dieser alte Kämpe gefährdet erscheint. Daß die Staatsregie-
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