Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band. Die Mutter kam nicht übers Meer, sie war Ein Kind der neuen Welt und sie gebar Amerikaner -- ihre Sprache spricht das Kind Und denkt des deutschen Vaters nicht. Und so verlernt, verliert und so vergißt Er, was ihm in der Heimath theuer ist. In Arbeit wird der Vater grau und alt. Sein deutsches Herz ist längst für Deutsch- land kalt. Und auf das Sterbelager sinkt er hin -- Sein Volk beklagt in fremder Zunge ihn. Er aber tröstet i Wiedersehen dort! Das war im Haus das letzte deutsche Wort! Man kann und muß als Deutscher mit schmerzlich bewegter Stimmung Die Mutter kam nicht übers Meer, sie war Ein Kind der neuen Welt und sie gebar Amerikaner — ihre Sprache spricht das Kind Und denkt des deutschen Vaters nicht. Und so verlernt, verliert und so vergißt Er, was ihm in der Heimath theuer ist. In Arbeit wird der Vater grau und alt. Sein deutsches Herz ist längst für Deutsch- land kalt. Und auf das Sterbelager sinkt er hin — Sein Volk beklagt in fremder Zunge ihn. Er aber tröstet i Wiedersehen dort! Das war im Haus das letzte deutsche Wort! Man kann und muß als Deutscher mit schmerzlich bewegter Stimmung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133563"/> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l> Die Mutter kam nicht übers Meer, sie war<lb/> Ein Kind der neuen Welt und sie gebar<lb/> Amerikaner — ihre Sprache spricht das<lb/> Kind<lb/> Und denkt des deutschen Vaters nicht.</l> <l> Und so verlernt, verliert und so vergißt<lb/> Er, was ihm in der Heimath theuer ist.<lb/> In Arbeit wird der Vater grau und alt.<lb/> Sein deutsches Herz ist längst für Deutsch-<lb/> land kalt.</l><lb/> <l> Und auf das Sterbelager sinkt er hin —<lb/> Sein Volk beklagt in fremder Zunge ihn.<lb/> Er aber tröstet i Wiedersehen dort!<lb/> Das war im Haus das letzte deutsche Wort!</l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Man kann und muß als Deutscher mit schmerzlich bewegter Stimmung<lb/> diesen Sterbeprozeß deutscher Nationalität verfolgen, aber wir sind ganz der<lb/> Ansicht des Verfassers, daß er unabwendbar ist. Er wird hier und da lang¬<lb/> samer vor sich gehen, er wird durch fortgesetzte deutsche Auswanderung ver¬<lb/> zögert werden, aber er ist nothwendig. Auf die Dauer können nicht die ver¬<lb/> schiedenen Nationalitäten der Eingewanderten unversehrt neben einander be¬<lb/> stehen, es muß und wird aus ihnen eine neue Nationalität erwachsen, zu<lb/> deren Eigenthümlichkett sie alle, und die deutsche nicht in geringsten Maße bei¬<lb/> getragen haben. Den Löwenantheil freilich wird die englische, und mit gutem<lb/> Rechte, davontragen, und die englische Sprache wird es auch sein, welcher die<lb/> Zukunft im neuen werdenden einheitlichen Volke der amerikanischen Union<lb/> gehört. Spezifisch deutschen Institutionen, Kirchen, Schulen und Vereinigun¬<lb/> gen kann nur die Aufgabe zufallen, den Uebergang zu erleichtern, vor un¬<lb/> zeitigen verfrühten Opfern deutscher Individualität zu schützen. Der Einfluß<lb/> «dessen, welchen die Vertreter der fremden Nationalitäten auf die Zukunfts¬<lb/> individualität ausüben dürfen und können, hängt von ihrem moralischen<lb/> Werthe ab, und so vergegenwärtigt uns denn der Verfasser die verschiedenen<lb/> Klassen der Einwandrer vom Standpunkt moralischer Werthschätzung aus.<lb/> Da bildet denn allerdings ein ansehnliches Kontingent die Zahl sittlich ver¬<lb/> kommener Persönlichkeiten, die in Europa unmöglich geworden sind, und giebt<lb/> den Uankees berechtigten Anlaß, viele soziale Mißstände auf ihr Dasein zurück<lb/> Zu führen. Und ein nicht unbeträchtlicher Theil von Mitgliedern dieser Gruppe<lb/> fällt auf Deutschland. Andre haben das alte Vaterland verlassen, um dem<lb/> Druck politischer und kirchlicher Verhältnisse zu entgehen und für die Verwirk¬<lb/> lichung ihrer Ideen freieren Spielraum zu finden. Auch unter ihnen sind<lb/> Deutsche. Noch andre endlich sind ausgewandert, um günstigere Bedingungen<lb/> der irdischen Existenz zu suchen, und dieser Klasse gehören ebenfalls viele<lb/> Deutsche an. Gegen den moralischen Werth dieser letzten zwei Klassen läßt<lb/> sich nichts einwenden. Und so können wir denn hoffen, daß die Deutschen<lb/> einen ansehnlichen, einflußreichen und Segen bringenden Faktor in der Bil¬<lb/> dung des neu entstehenden Volks ausmachen werden. Die Innerlichkeit des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
Die Mutter kam nicht übers Meer, sie war
Ein Kind der neuen Welt und sie gebar
Amerikaner — ihre Sprache spricht das
Kind
Und denkt des deutschen Vaters nicht. Und so verlernt, verliert und so vergißt
Er, was ihm in der Heimath theuer ist.
In Arbeit wird der Vater grau und alt.
Sein deutsches Herz ist längst für Deutsch-
land kalt.
Und auf das Sterbelager sinkt er hin —
Sein Volk beklagt in fremder Zunge ihn.
Er aber tröstet i Wiedersehen dort!
Das war im Haus das letzte deutsche Wort!
Man kann und muß als Deutscher mit schmerzlich bewegter Stimmung
diesen Sterbeprozeß deutscher Nationalität verfolgen, aber wir sind ganz der
Ansicht des Verfassers, daß er unabwendbar ist. Er wird hier und da lang¬
samer vor sich gehen, er wird durch fortgesetzte deutsche Auswanderung ver¬
zögert werden, aber er ist nothwendig. Auf die Dauer können nicht die ver¬
schiedenen Nationalitäten der Eingewanderten unversehrt neben einander be¬
stehen, es muß und wird aus ihnen eine neue Nationalität erwachsen, zu
deren Eigenthümlichkett sie alle, und die deutsche nicht in geringsten Maße bei¬
getragen haben. Den Löwenantheil freilich wird die englische, und mit gutem
Rechte, davontragen, und die englische Sprache wird es auch sein, welcher die
Zukunft im neuen werdenden einheitlichen Volke der amerikanischen Union
gehört. Spezifisch deutschen Institutionen, Kirchen, Schulen und Vereinigun¬
gen kann nur die Aufgabe zufallen, den Uebergang zu erleichtern, vor un¬
zeitigen verfrühten Opfern deutscher Individualität zu schützen. Der Einfluß
«dessen, welchen die Vertreter der fremden Nationalitäten auf die Zukunfts¬
individualität ausüben dürfen und können, hängt von ihrem moralischen
Werthe ab, und so vergegenwärtigt uns denn der Verfasser die verschiedenen
Klassen der Einwandrer vom Standpunkt moralischer Werthschätzung aus.
Da bildet denn allerdings ein ansehnliches Kontingent die Zahl sittlich ver¬
kommener Persönlichkeiten, die in Europa unmöglich geworden sind, und giebt
den Uankees berechtigten Anlaß, viele soziale Mißstände auf ihr Dasein zurück
Zu führen. Und ein nicht unbeträchtlicher Theil von Mitgliedern dieser Gruppe
fällt auf Deutschland. Andre haben das alte Vaterland verlassen, um dem
Druck politischer und kirchlicher Verhältnisse zu entgehen und für die Verwirk¬
lichung ihrer Ideen freieren Spielraum zu finden. Auch unter ihnen sind
Deutsche. Noch andre endlich sind ausgewandert, um günstigere Bedingungen
der irdischen Existenz zu suchen, und dieser Klasse gehören ebenfalls viele
Deutsche an. Gegen den moralischen Werth dieser letzten zwei Klassen läßt
sich nichts einwenden. Und so können wir denn hoffen, daß die Deutschen
einen ansehnlichen, einflußreichen und Segen bringenden Faktor in der Bil¬
dung des neu entstehenden Volks ausmachen werden. Die Innerlichkeit des
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