Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nur eins hätten wir weggewünscht, den gereizten und bittern Ton. in dem
er von dem deutschen Militarismus und der Staatsktrche redet. Beide sind
Nothwendigkeit, die als solche anerkannt werden müssen, und beide bringen
gesegnete Früchte, die nicht vergessen werden dürfen. Und die Freikirche hat
Schattenseiten, die sich auch in Amerika herausgestellt haben, und die min¬
destens ebenso bedenklich sind, wie die ungünstigen Erscheinungen, die sich im
Gefolge der Staatskirche einzustellen pflegen. Doch hat sie der Verfasser wenig
beachtet. Es ist schwer über den ganzen Inhalt der Schrift zu berichten.
Sie bietet eine solche Fülle der mannigfachsten Beobachtungen, zu denen die
Kreuz- und Querfahrten in den Vereinigten Staaten dem Verfasser Stoff ge¬
geben haben, daß sie wiederzugeben mehr Raum beanspruchen würde, als
wir glauben fordern zu dürfen. Wir beschränken uns daher darauf, auf einen
Vortrag aufmerksam zu machen, welchen der Verfasser seinem Buche einverleibt
hat, und dessen Gegenstand, auf ein allgemeines nationales Interesse sich bezieht.

Er ist in Pittsburg gehalten, später in erweiterter Gestalt in Jena. Er
behandelt das Thema: "Ueber Aufgabe und Zukunft der Deutschen in den
Bereinigten Staaten von Nordamerika." Gehen wir etwas näher auf seinen
Inhalt ein. Es giebt in den Vereinigten Staaten ungefähr 3 -- 5 Millionen
deutsch redende und lesende Einwohner, in New-Uork allein gegen 300,000.
In allen großen Städten bilden sie einen beträchtlichen und angesehenen Theil
der Bevölkerung, besonders die deutschen Juden. Sie lernen leicht die fremde
Sprache, fassen geschickt Handel und Geldgeschäfte an, helfen sich gegenseitig
und vergessen bald die alte Heimath. Ein bedeutendes Kapital ist in ihrem
Besitz. Am dichtesten wohnen die Deutschen in den nordwestlichen und west¬
lichen Staaten. Die deutsche Sprache der Eingewanderten verschwindet je
länger je mehr im Lauf der Geschlechter und weicht der englischen. Diese
tragische Entwicklung macht ein vom Verfasser ungetheiltes Gedicht -- der
Name des Dichters und der Fundort des Gedichts ist nicht genannt -- in
ergreifender Weise anschaulich:

Und wie die Saat auf seinem Feld und wie
Das junge Holz in seinem Forst -- gedieh
Und blüht, so schoß in stolzem Wuchs empor
Des Hauses Jugend und sein schönster Flor.
Ein Jüngling kam über den Ocean
Und siedelte sich an der Küste an.
Und spannte sich aus deutschem Tuch ein
Zelt
Ueber vier Pfähle in der fremden Welt.
Des Farmers Kinder, welch ein schön
Geschlecht,
Blauäugig, rothwangig, ein blond Gesicht.
Ein braun Gelock, ächt Deutsch -- doch ist
es nicht
Des deutschen Vaters Sprache, die es spricht.
So gründete der Ankömmling sein Haus
Ging nach Erwerb mit frischen Sinnen aus.
Und was er sann und sann, das kam in
Stand,
Der Segen war mit seiner fleißigen Hand.

Nur eins hätten wir weggewünscht, den gereizten und bittern Ton. in dem
er von dem deutschen Militarismus und der Staatsktrche redet. Beide sind
Nothwendigkeit, die als solche anerkannt werden müssen, und beide bringen
gesegnete Früchte, die nicht vergessen werden dürfen. Und die Freikirche hat
Schattenseiten, die sich auch in Amerika herausgestellt haben, und die min¬
destens ebenso bedenklich sind, wie die ungünstigen Erscheinungen, die sich im
Gefolge der Staatskirche einzustellen pflegen. Doch hat sie der Verfasser wenig
beachtet. Es ist schwer über den ganzen Inhalt der Schrift zu berichten.
Sie bietet eine solche Fülle der mannigfachsten Beobachtungen, zu denen die
Kreuz- und Querfahrten in den Vereinigten Staaten dem Verfasser Stoff ge¬
geben haben, daß sie wiederzugeben mehr Raum beanspruchen würde, als
wir glauben fordern zu dürfen. Wir beschränken uns daher darauf, auf einen
Vortrag aufmerksam zu machen, welchen der Verfasser seinem Buche einverleibt
hat, und dessen Gegenstand, auf ein allgemeines nationales Interesse sich bezieht.

Er ist in Pittsburg gehalten, später in erweiterter Gestalt in Jena. Er
behandelt das Thema: „Ueber Aufgabe und Zukunft der Deutschen in den
Bereinigten Staaten von Nordamerika." Gehen wir etwas näher auf seinen
Inhalt ein. Es giebt in den Vereinigten Staaten ungefähr 3 — 5 Millionen
deutsch redende und lesende Einwohner, in New-Uork allein gegen 300,000.
In allen großen Städten bilden sie einen beträchtlichen und angesehenen Theil
der Bevölkerung, besonders die deutschen Juden. Sie lernen leicht die fremde
Sprache, fassen geschickt Handel und Geldgeschäfte an, helfen sich gegenseitig
und vergessen bald die alte Heimath. Ein bedeutendes Kapital ist in ihrem
Besitz. Am dichtesten wohnen die Deutschen in den nordwestlichen und west¬
lichen Staaten. Die deutsche Sprache der Eingewanderten verschwindet je
länger je mehr im Lauf der Geschlechter und weicht der englischen. Diese
tragische Entwicklung macht ein vom Verfasser ungetheiltes Gedicht — der
Name des Dichters und der Fundort des Gedichts ist nicht genannt — in
ergreifender Weise anschaulich:

Und wie die Saat auf seinem Feld und wie
Das junge Holz in seinem Forst — gedieh
Und blüht, so schoß in stolzem Wuchs empor
Des Hauses Jugend und sein schönster Flor.
Ein Jüngling kam über den Ocean
Und siedelte sich an der Küste an.
Und spannte sich aus deutschem Tuch ein
Zelt
Ueber vier Pfähle in der fremden Welt.
Des Farmers Kinder, welch ein schön
Geschlecht,
Blauäugig, rothwangig, ein blond Gesicht.
Ein braun Gelock, ächt Deutsch — doch ist
es nicht
Des deutschen Vaters Sprache, die es spricht.
So gründete der Ankömmling sein Haus
Ging nach Erwerb mit frischen Sinnen aus.
Und was er sann und sann, das kam in
Stand,
Der Segen war mit seiner fleißigen Hand.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133562"/>
          <p xml:id="ID_867" prev="#ID_866"> Nur eins hätten wir weggewünscht, den gereizten und bittern Ton. in dem<lb/>
er von dem deutschen Militarismus und der Staatsktrche redet. Beide sind<lb/>
Nothwendigkeit, die als solche anerkannt werden müssen, und beide bringen<lb/>
gesegnete Früchte, die nicht vergessen werden dürfen. Und die Freikirche hat<lb/>
Schattenseiten, die sich auch in Amerika herausgestellt haben, und die min¬<lb/>
destens ebenso bedenklich sind, wie die ungünstigen Erscheinungen, die sich im<lb/>
Gefolge der Staatskirche einzustellen pflegen. Doch hat sie der Verfasser wenig<lb/>
beachtet. Es ist schwer über den ganzen Inhalt der Schrift zu berichten.<lb/>
Sie bietet eine solche Fülle der mannigfachsten Beobachtungen, zu denen die<lb/>
Kreuz- und Querfahrten in den Vereinigten Staaten dem Verfasser Stoff ge¬<lb/>
geben haben, daß sie wiederzugeben mehr Raum beanspruchen würde, als<lb/>
wir glauben fordern zu dürfen. Wir beschränken uns daher darauf, auf einen<lb/>
Vortrag aufmerksam zu machen, welchen der Verfasser seinem Buche einverleibt<lb/>
hat, und dessen Gegenstand, auf ein allgemeines nationales Interesse sich bezieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868"> Er ist in Pittsburg gehalten, später in erweiterter Gestalt in Jena. Er<lb/>
behandelt das Thema: &#x201E;Ueber Aufgabe und Zukunft der Deutschen in den<lb/>
Bereinigten Staaten von Nordamerika." Gehen wir etwas näher auf seinen<lb/>
Inhalt ein. Es giebt in den Vereinigten Staaten ungefähr 3 &#x2014; 5 Millionen<lb/>
deutsch redende und lesende Einwohner, in New-Uork allein gegen 300,000.<lb/>
In allen großen Städten bilden sie einen beträchtlichen und angesehenen Theil<lb/>
der Bevölkerung, besonders die deutschen Juden. Sie lernen leicht die fremde<lb/>
Sprache, fassen geschickt Handel und Geldgeschäfte an, helfen sich gegenseitig<lb/>
und vergessen bald die alte Heimath. Ein bedeutendes Kapital ist in ihrem<lb/>
Besitz. Am dichtesten wohnen die Deutschen in den nordwestlichen und west¬<lb/>
lichen Staaten. Die deutsche Sprache der Eingewanderten verschwindet je<lb/>
länger je mehr im Lauf der Geschlechter und weicht der englischen. Diese<lb/>
tragische Entwicklung macht ein vom Verfasser ungetheiltes Gedicht &#x2014; der<lb/>
Name des Dichters und der Fundort des Gedichts ist nicht genannt &#x2014; in<lb/>
ergreifender Weise anschaulich:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
            <l> Und wie die Saat auf seinem Feld und wie<lb/>
Das junge Holz in seinem Forst &#x2014; gedieh<lb/>
Und blüht, so schoß in stolzem Wuchs empor<lb/>
Des Hauses Jugend und sein schönster Flor.</l>
            <l> Ein Jüngling kam über den Ocean<lb/>
Und siedelte sich an der Küste an.<lb/>
Und spannte sich aus deutschem Tuch ein<lb/>
Zelt<lb/>
Ueber vier Pfähle in der fremden Welt.</l>
            <l> Des Farmers Kinder, welch ein schön<lb/>
Geschlecht,<lb/>
Blauäugig, rothwangig, ein blond Gesicht.<lb/>
Ein braun Gelock, ächt Deutsch &#x2014; doch ist<lb/>
es nicht<lb/>
Des deutschen Vaters Sprache, die es spricht.</l>
            <l> So gründete der Ankömmling sein Haus<lb/>
Ging nach Erwerb mit frischen Sinnen aus.<lb/>
Und was er sann und sann, das kam in<lb/>
Stand,<lb/>
Der Segen war mit seiner fleißigen Hand.</l>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] Nur eins hätten wir weggewünscht, den gereizten und bittern Ton. in dem er von dem deutschen Militarismus und der Staatsktrche redet. Beide sind Nothwendigkeit, die als solche anerkannt werden müssen, und beide bringen gesegnete Früchte, die nicht vergessen werden dürfen. Und die Freikirche hat Schattenseiten, die sich auch in Amerika herausgestellt haben, und die min¬ destens ebenso bedenklich sind, wie die ungünstigen Erscheinungen, die sich im Gefolge der Staatskirche einzustellen pflegen. Doch hat sie der Verfasser wenig beachtet. Es ist schwer über den ganzen Inhalt der Schrift zu berichten. Sie bietet eine solche Fülle der mannigfachsten Beobachtungen, zu denen die Kreuz- und Querfahrten in den Vereinigten Staaten dem Verfasser Stoff ge¬ geben haben, daß sie wiederzugeben mehr Raum beanspruchen würde, als wir glauben fordern zu dürfen. Wir beschränken uns daher darauf, auf einen Vortrag aufmerksam zu machen, welchen der Verfasser seinem Buche einverleibt hat, und dessen Gegenstand, auf ein allgemeines nationales Interesse sich bezieht. Er ist in Pittsburg gehalten, später in erweiterter Gestalt in Jena. Er behandelt das Thema: „Ueber Aufgabe und Zukunft der Deutschen in den Bereinigten Staaten von Nordamerika." Gehen wir etwas näher auf seinen Inhalt ein. Es giebt in den Vereinigten Staaten ungefähr 3 — 5 Millionen deutsch redende und lesende Einwohner, in New-Uork allein gegen 300,000. In allen großen Städten bilden sie einen beträchtlichen und angesehenen Theil der Bevölkerung, besonders die deutschen Juden. Sie lernen leicht die fremde Sprache, fassen geschickt Handel und Geldgeschäfte an, helfen sich gegenseitig und vergessen bald die alte Heimath. Ein bedeutendes Kapital ist in ihrem Besitz. Am dichtesten wohnen die Deutschen in den nordwestlichen und west¬ lichen Staaten. Die deutsche Sprache der Eingewanderten verschwindet je länger je mehr im Lauf der Geschlechter und weicht der englischen. Diese tragische Entwicklung macht ein vom Verfasser ungetheiltes Gedicht — der Name des Dichters und der Fundort des Gedichts ist nicht genannt — in ergreifender Weise anschaulich: Und wie die Saat auf seinem Feld und wie Das junge Holz in seinem Forst — gedieh Und blüht, so schoß in stolzem Wuchs empor Des Hauses Jugend und sein schönster Flor. Ein Jüngling kam über den Ocean Und siedelte sich an der Küste an. Und spannte sich aus deutschem Tuch ein Zelt Ueber vier Pfähle in der fremden Welt. Des Farmers Kinder, welch ein schön Geschlecht, Blauäugig, rothwangig, ein blond Gesicht. Ein braun Gelock, ächt Deutsch — doch ist es nicht Des deutschen Vaters Sprache, die es spricht. So gründete der Ankömmling sein Haus Ging nach Erwerb mit frischen Sinnen aus. Und was er sann und sann, das kam in Stand, Der Segen war mit seiner fleißigen Hand.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/274>, abgerufen am 06.02.2025.