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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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mit einer rücksichtslosen Energie, welche in dieser Beziehung fast ohne Beispiel
dasteht. Um den Arbeitern jede Hoffnung zu benehmen, daß es den Meistern
nicht Ernst sein könne, schritten diese ohne Verzug zur Ausführung ihrer
Maßregel. Sämmtliche Kohlen-Gruben, Eisen-, Zink- und Kupfer-Hütten
wurden geschlossen, die Hochöfen ausgeblasen, sämmtliche Werke demontirt und
die Pferde aus den Stollen der Bergwerke herausgeschafft. Da schon in der
ersten Woche über tausend Pferde aus den Gruben gebracht waren, so mußten
zu ihrer Unterbringung provisorische Schuppen errichtet werden. Die Hälfte
der Locomotiven und Wagen der Eisenbahngesellschaften steht still und bedeckt
auf eine halbe Meile weit die Geleise; die Verminderung der Kohlenproduk¬
tion beträgt wöchentlich 16 Millionen Zentner. Die zwingende Macht der
Werkbesitzer liegt in der großen Zahl von Arbeitern, die durch die Schließung
^der Werke brodlos geworden sind. Es sind gegen sechzigtausend Kohlen- und
Eisen-Arbeiter, welche von der Arbeitssperre in Süd-Wales betroffen sind; mit
ihren Angehörigen und den Gewerben, welche von ihnen abhängen, mögen
durch diese Maßregel auf einmal 250,000 Menschen brodlos geworden sein.
Zwar geben sich die Armenverwaltungen alle erdenkliche Mühe, um Nebenbe¬
schäftigung beim Straßenbau u. f. w. aufzutreiben, allein diese Gelegenheit
ist im Verhältniß zu der ungeheuern Zahl der Beschäftigungslosen zu unbedeu¬
tend, um im Ganzen eine wirksame Hilfe zu bringen. Obgleich schon beim
Beginn der Arbeitssperre Anfangs Februar der Agent der Union bei einer
Versammlung der Bergleute eine ziemlich kühle Aufnahme fand, so ist der
Widerstand der Arbeiter doch so zähe, daß jetzt der zweite Monat der Arbeits¬
sperre zu Ende geht, ohne daß es gelungen ist, eine Verständigung zu Wege
zu bringen. Zwar hat der Bund der Gewerkvereine seine Unterstützung .fast
ausschließlich den Süd-Wallisern zugewandt, allein seine Mittel fangen bereits
an zu versiechen, obgleich sie noch durch freiwillige Sammlungen in London
und anderen Städten Englands verstärkt wurden. Schon melden sich Arbei¬
ter massenhaft in den überfüllten Armen-Arbeitshäusern, schon berichtet man
von Kindern, welche ihren Hunger mit Ueberbleibseln auf dem Mist zu stillen
suchen. Schon hat die Polizei Vorsichtsmaßregeln ergriffen. Der Schaden,
den nicht blos die Industrie, sondern auch die Arbeiter erleiden, ist unberechen¬
bar. Während des großen Aufstandes in Preston. wo 16,000 Arbeiter 38
Wochen lang feierten, verloren diese 8'/- Millionen Mark an Löhnen; im
Jahre 1859 10,000 Londoner Bauarbeiter, welche 26 Wochen aufstanden,
nicht weniger als 6Vz Millionen Mark. Diese Aufstände waren erfolglos,
obgleich die Leute so lange aushielten. Welche Aussicht auf Erfolg haben da¬
her die Süd-Walliser Berg- und Hüttenleute bei ihrer ungeheueren Anzahl?
Schon hat man versucht, den Lord Aberdare, einen der größten Hüttenbesitzer
von Süd-Wales, dazu zu bewegen, das Vermittler-Amt zu übernehmen.
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GttNjlwtm II. 187S. 34

mit einer rücksichtslosen Energie, welche in dieser Beziehung fast ohne Beispiel
dasteht. Um den Arbeitern jede Hoffnung zu benehmen, daß es den Meistern
nicht Ernst sein könne, schritten diese ohne Verzug zur Ausführung ihrer
Maßregel. Sämmtliche Kohlen-Gruben, Eisen-, Zink- und Kupfer-Hütten
wurden geschlossen, die Hochöfen ausgeblasen, sämmtliche Werke demontirt und
die Pferde aus den Stollen der Bergwerke herausgeschafft. Da schon in der
ersten Woche über tausend Pferde aus den Gruben gebracht waren, so mußten
zu ihrer Unterbringung provisorische Schuppen errichtet werden. Die Hälfte
der Locomotiven und Wagen der Eisenbahngesellschaften steht still und bedeckt
auf eine halbe Meile weit die Geleise; die Verminderung der Kohlenproduk¬
tion beträgt wöchentlich 16 Millionen Zentner. Die zwingende Macht der
Werkbesitzer liegt in der großen Zahl von Arbeitern, die durch die Schließung
^der Werke brodlos geworden sind. Es sind gegen sechzigtausend Kohlen- und
Eisen-Arbeiter, welche von der Arbeitssperre in Süd-Wales betroffen sind; mit
ihren Angehörigen und den Gewerben, welche von ihnen abhängen, mögen
durch diese Maßregel auf einmal 250,000 Menschen brodlos geworden sein.
Zwar geben sich die Armenverwaltungen alle erdenkliche Mühe, um Nebenbe¬
schäftigung beim Straßenbau u. f. w. aufzutreiben, allein diese Gelegenheit
ist im Verhältniß zu der ungeheuern Zahl der Beschäftigungslosen zu unbedeu¬
tend, um im Ganzen eine wirksame Hilfe zu bringen. Obgleich schon beim
Beginn der Arbeitssperre Anfangs Februar der Agent der Union bei einer
Versammlung der Bergleute eine ziemlich kühle Aufnahme fand, so ist der
Widerstand der Arbeiter doch so zähe, daß jetzt der zweite Monat der Arbeits¬
sperre zu Ende geht, ohne daß es gelungen ist, eine Verständigung zu Wege
zu bringen. Zwar hat der Bund der Gewerkvereine seine Unterstützung .fast
ausschließlich den Süd-Wallisern zugewandt, allein seine Mittel fangen bereits
an zu versiechen, obgleich sie noch durch freiwillige Sammlungen in London
und anderen Städten Englands verstärkt wurden. Schon melden sich Arbei¬
ter massenhaft in den überfüllten Armen-Arbeitshäusern, schon berichtet man
von Kindern, welche ihren Hunger mit Ueberbleibseln auf dem Mist zu stillen
suchen. Schon hat die Polizei Vorsichtsmaßregeln ergriffen. Der Schaden,
den nicht blos die Industrie, sondern auch die Arbeiter erleiden, ist unberechen¬
bar. Während des großen Aufstandes in Preston. wo 16,000 Arbeiter 38
Wochen lang feierten, verloren diese 8'/- Millionen Mark an Löhnen; im
Jahre 1859 10,000 Londoner Bauarbeiter, welche 26 Wochen aufstanden,
nicht weniger als 6Vz Millionen Mark. Diese Aufstände waren erfolglos,
obgleich die Leute so lange aushielten. Welche Aussicht auf Erfolg haben da¬
her die Süd-Walliser Berg- und Hüttenleute bei ihrer ungeheueren Anzahl?
Schon hat man versucht, den Lord Aberdare, einen der größten Hüttenbesitzer
von Süd-Wales, dazu zu bewegen, das Vermittler-Amt zu übernehmen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/269>, abgerufen am 06.02.2025.