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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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überhaupt im Stand sein sollten in Thätigkeit zu bleiben. Schon kamen
Fälle vor, daß das Ausland durch seine billigeren Löhne in Stand gesetzt
war, mit englischen Werken in Großbritannien selbst zu concurriren. Eine
englische Eisenhütte war bereit eine Lieferung von 22000 Tonnen Schienen
sür eine britische Eisenbahn zum Selbstkostenpreis auszuführen, allein der
Auftrag wurde einem belgischen Hause ertheilt, weil dieses durch seine niedri¬
geren Arbeitslöhne im Stande war noch billiger zu liefern.

In Sheffield mußte ein großes Eisenwerk S00 Arbeiter entlassen, weil
es nicht mehr im Stande war, die belgische und deutsche Concurrenz auszu¬
halten. Ende März 1874 trat der Wendepunkt ein. Die Meister sahen sich
genöthigt, mit der Lohnreduktion zu beginnen, aber obgleich sie am Anfang
nur mäßige Herabsetzungen von 10 Procent ankündigten, so wollten sich die
Arbeiter dieser nach der Lage der Dinge unabwendbaren Forderung doch nicht
gutwillig fügen und sie setzten seit einem ganzen Jahr den Lohnkampf in der
Defensive fort, welchen sie in den vorhergegangenen beiden Jahren angriffs¬
weise geführt hatten. In den verschiedenen Kohlen- Eisen- und Baumwoll-
Vezirken von England, Schottland und Wales folgte Schritt vor Schritt überall
auf die Ankündigung der Lohnreduktion der Ausbruch von Aufständen, wäh¬
rend deren oft zu gleicher Zeit 60 bis 60 Tausend Leute feierten. Der Er¬
folg der vorhergegangenen Jahre hatte die Führer der l'i-aäizs Iluioiis über¬
müthig gemacht, sodaß sie die Kräfte der Arbeiter überschätzten und überhaupt
über die Lage des Geschäfts sich in Täuschungen wiegten. Die Beschaffenheit
des Marktes war derart, daß viele Werke auch nach einer Lohnreduktion nur
ihre Arbeit mehr aus Rücksicht auf ihre Leute fortsetzen konnten und lieber
ganz geschlossen hätten. Vielen war daher der unüberlegte Aufstand eine
willkommene Veranlassung, um ihre Werke ganz zu schließen. Hunderte von
Hochöfen wurden ausgeblasen und erst nach Monaten wieder in Gang gesetzt,
weil das Wiederanblasen eines Hochofens gegen 20 Tausend Mark Unkosten
verursacht. Alle diese zum Theil in denselben Gegenden wiederholten Auf¬
stände endigten damit, daß die Arbeiter sich der Forderung der Meister fügen
wußten. Letztere blieben nicht auf der ursprünglichen Lohnherabsetzung von
^ Procent stehen, sondern waren wegen der andauernden Flausen des
Marktes zu weiteren Reduktionen genöthigt, welche im ganzen großen Durch¬
schnitt die Löhne wieder im Laufe des verflossenen Jahres um 36 bis 40
Vroeent gekürzt haben. Es bleibt den Arbeitern gegen das Jahr 1871 im-
^er noch eine Besserung um 17'/s bis 21^ Procent. Die Ursachen und
Mittel der Beilegung des Streites bestanden einestheils darin, daß den Ar¬
bitern die Subsistenz-Mittel ausgingen, anderntheils darin, daß beide Theile
steh einem Schiedsgericht unterwarfen. Bei den späteren Aufständen bot über-
hnupt die Frage der Lohnreduktion nicht die Hauptschwierigkeit, sondern der


überhaupt im Stand sein sollten in Thätigkeit zu bleiben. Schon kamen
Fälle vor, daß das Ausland durch seine billigeren Löhne in Stand gesetzt
war, mit englischen Werken in Großbritannien selbst zu concurriren. Eine
englische Eisenhütte war bereit eine Lieferung von 22000 Tonnen Schienen
sür eine britische Eisenbahn zum Selbstkostenpreis auszuführen, allein der
Auftrag wurde einem belgischen Hause ertheilt, weil dieses durch seine niedri¬
geren Arbeitslöhne im Stande war noch billiger zu liefern.

In Sheffield mußte ein großes Eisenwerk S00 Arbeiter entlassen, weil
es nicht mehr im Stande war, die belgische und deutsche Concurrenz auszu¬
halten. Ende März 1874 trat der Wendepunkt ein. Die Meister sahen sich
genöthigt, mit der Lohnreduktion zu beginnen, aber obgleich sie am Anfang
nur mäßige Herabsetzungen von 10 Procent ankündigten, so wollten sich die
Arbeiter dieser nach der Lage der Dinge unabwendbaren Forderung doch nicht
gutwillig fügen und sie setzten seit einem ganzen Jahr den Lohnkampf in der
Defensive fort, welchen sie in den vorhergegangenen beiden Jahren angriffs¬
weise geführt hatten. In den verschiedenen Kohlen- Eisen- und Baumwoll-
Vezirken von England, Schottland und Wales folgte Schritt vor Schritt überall
auf die Ankündigung der Lohnreduktion der Ausbruch von Aufständen, wäh¬
rend deren oft zu gleicher Zeit 60 bis 60 Tausend Leute feierten. Der Er¬
folg der vorhergegangenen Jahre hatte die Führer der l'i-aäizs Iluioiis über¬
müthig gemacht, sodaß sie die Kräfte der Arbeiter überschätzten und überhaupt
über die Lage des Geschäfts sich in Täuschungen wiegten. Die Beschaffenheit
des Marktes war derart, daß viele Werke auch nach einer Lohnreduktion nur
ihre Arbeit mehr aus Rücksicht auf ihre Leute fortsetzen konnten und lieber
ganz geschlossen hätten. Vielen war daher der unüberlegte Aufstand eine
willkommene Veranlassung, um ihre Werke ganz zu schließen. Hunderte von
Hochöfen wurden ausgeblasen und erst nach Monaten wieder in Gang gesetzt,
weil das Wiederanblasen eines Hochofens gegen 20 Tausend Mark Unkosten
verursacht. Alle diese zum Theil in denselben Gegenden wiederholten Auf¬
stände endigten damit, daß die Arbeiter sich der Forderung der Meister fügen
wußten. Letztere blieben nicht auf der ursprünglichen Lohnherabsetzung von
^ Procent stehen, sondern waren wegen der andauernden Flausen des
Marktes zu weiteren Reduktionen genöthigt, welche im ganzen großen Durch¬
schnitt die Löhne wieder im Laufe des verflossenen Jahres um 36 bis 40
Vroeent gekürzt haben. Es bleibt den Arbeitern gegen das Jahr 1871 im-
^er noch eine Besserung um 17'/s bis 21^ Procent. Die Ursachen und
Mittel der Beilegung des Streites bestanden einestheils darin, daß den Ar¬
bitern die Subsistenz-Mittel ausgingen, anderntheils darin, daß beide Theile
steh einem Schiedsgericht unterwarfen. Bei den späteren Aufständen bot über-
hnupt die Frage der Lohnreduktion nicht die Hauptschwierigkeit, sondern der


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[0267] überhaupt im Stand sein sollten in Thätigkeit zu bleiben. Schon kamen Fälle vor, daß das Ausland durch seine billigeren Löhne in Stand gesetzt war, mit englischen Werken in Großbritannien selbst zu concurriren. Eine englische Eisenhütte war bereit eine Lieferung von 22000 Tonnen Schienen sür eine britische Eisenbahn zum Selbstkostenpreis auszuführen, allein der Auftrag wurde einem belgischen Hause ertheilt, weil dieses durch seine niedri¬ geren Arbeitslöhne im Stande war noch billiger zu liefern. In Sheffield mußte ein großes Eisenwerk S00 Arbeiter entlassen, weil es nicht mehr im Stande war, die belgische und deutsche Concurrenz auszu¬ halten. Ende März 1874 trat der Wendepunkt ein. Die Meister sahen sich genöthigt, mit der Lohnreduktion zu beginnen, aber obgleich sie am Anfang nur mäßige Herabsetzungen von 10 Procent ankündigten, so wollten sich die Arbeiter dieser nach der Lage der Dinge unabwendbaren Forderung doch nicht gutwillig fügen und sie setzten seit einem ganzen Jahr den Lohnkampf in der Defensive fort, welchen sie in den vorhergegangenen beiden Jahren angriffs¬ weise geführt hatten. In den verschiedenen Kohlen- Eisen- und Baumwoll- Vezirken von England, Schottland und Wales folgte Schritt vor Schritt überall auf die Ankündigung der Lohnreduktion der Ausbruch von Aufständen, wäh¬ rend deren oft zu gleicher Zeit 60 bis 60 Tausend Leute feierten. Der Er¬ folg der vorhergegangenen Jahre hatte die Führer der l'i-aäizs Iluioiis über¬ müthig gemacht, sodaß sie die Kräfte der Arbeiter überschätzten und überhaupt über die Lage des Geschäfts sich in Täuschungen wiegten. Die Beschaffenheit des Marktes war derart, daß viele Werke auch nach einer Lohnreduktion nur ihre Arbeit mehr aus Rücksicht auf ihre Leute fortsetzen konnten und lieber ganz geschlossen hätten. Vielen war daher der unüberlegte Aufstand eine willkommene Veranlassung, um ihre Werke ganz zu schließen. Hunderte von Hochöfen wurden ausgeblasen und erst nach Monaten wieder in Gang gesetzt, weil das Wiederanblasen eines Hochofens gegen 20 Tausend Mark Unkosten verursacht. Alle diese zum Theil in denselben Gegenden wiederholten Auf¬ stände endigten damit, daß die Arbeiter sich der Forderung der Meister fügen wußten. Letztere blieben nicht auf der ursprünglichen Lohnherabsetzung von ^ Procent stehen, sondern waren wegen der andauernden Flausen des Marktes zu weiteren Reduktionen genöthigt, welche im ganzen großen Durch¬ schnitt die Löhne wieder im Laufe des verflossenen Jahres um 36 bis 40 Vroeent gekürzt haben. Es bleibt den Arbeitern gegen das Jahr 1871 im- ^er noch eine Besserung um 17'/s bis 21^ Procent. Die Ursachen und Mittel der Beilegung des Streites bestanden einestheils darin, daß den Ar¬ bitern die Subsistenz-Mittel ausgingen, anderntheils darin, daß beide Theile steh einem Schiedsgericht unterwarfen. Bei den späteren Aufständen bot über- hnupt die Frage der Lohnreduktion nicht die Hauptschwierigkeit, sondern der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/267>, abgerufen am 06.02.2025.