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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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besserung des Lohnes zunehme. Namentlich in denjenigen Industriezweigen,
welche am meisten Schwankungen im Absatz und in den Preisen haben und
wo die Löhne am raschesten in die Höhe schnellen, dafür aber auch wieder
leichter zurückgehen, wird getadelt, daß die Arbeiter am wenigsten geneigt
sind von dem Ueberfluß der hohen Löhne zurückzulegen, um einen Sparpfennig
für die Zeiten der Geschäftsstockung zu haben. Gerade aus den gewerbe¬
reichsten Bezirken vernimmt man die lautesten Klagen darüber, daß oft die¬
jenigen Arbeiter, welche am meisten verdienen am stärksten in Schulden stecken.
Trotz dieser einzelnen bedauernswerthen Erscheinungen, läßt sich nicht ver¬
kennen, daß die Lage der arbeitenden Klassen Großbritanniens sich seit 10 Jahren
wesentlich gebessert hat. Den Beweis dafür liefert die steigende Betheiligung
an Consum-Bereinen und kleinen Aktiengesellschaften mit beschränkter Haft¬
pflicht aus den vermehrten Beiträgen, welche die Hilfsvereine aller Art er¬
halten, aus dem Wachsen der Sparkassen und namentlich auch aus der Er¬
höhung der finanziellen Kraft der Gewerkvereine, durch welche diese in Stand
gesetzt wurden, während der Zeit des Aufschwunges Myriaden von Arbeitern
in zahlreichen Aufständen zu erhalten. Ein Blick auf die Post-Sparkassen,
deren Ausweis uns gerade vorliegt, bestätigt gleichfalls diese Kräftigung der
Stellung der Arbeiter.

Im Jahre 1862 betrug die Gesammtheit der Einlagen 42,290,000 Mark
180407,000,000
180874,000,00"
Im Durchschnitt 18<>0 --70104,000.000
Im Jahre 1871121,000,000
141,000,0001872
141,900,0001873

Nachdem der Ausbruch der Krisis von 1873 dem Eldorado der Specu-
lation ein Ende mit Schrecken gemacht hatte, dauerte es doch noch ein halbes
Jahr, bis die Wirkung auch auf die Arbeiter Englands sich erstreckte. Die Sisti-
rung und Einschränkung einer großen Menge von Eisenbahnen und Fabriken
machte auf einmal der Fülle der Bestellungen ein Ende. Am meisten machte
sich dieses in der Kohlen - und Eisenproduktion geltend. Bon Mitte
März 1873 bis zum gleichen Datum 1874 war der Preis des Roheisens um
36 Procent und der der Steinkohle um 30 Procent gefallen. Auch im ver¬
flossenen Jahre setzte sich die Abnahme der Bestellungen und des Preises fort,
so daß vom 31. Dezember 1873 bis zum gleichen Datum 1874 das schottische
Roheisen einen Abschlag von 20 Procent und die Steinkohle von 30 Procent
aufweist. Im Ganzen sind diese Haupthülfsstoffe der Industrie seit 2 Jahren
um ungefähr 30 Procent gesunken und trotz dieser Preisverringerung hat sich
der Absatz noch nicht wieder gehoben. Unter solchen Umständen mußten auch
die Arbeitslöhne wieder herabgesetzt werden, wenn die Kohlen- und Eisenwerke


besserung des Lohnes zunehme. Namentlich in denjenigen Industriezweigen,
welche am meisten Schwankungen im Absatz und in den Preisen haben und
wo die Löhne am raschesten in die Höhe schnellen, dafür aber auch wieder
leichter zurückgehen, wird getadelt, daß die Arbeiter am wenigsten geneigt
sind von dem Ueberfluß der hohen Löhne zurückzulegen, um einen Sparpfennig
für die Zeiten der Geschäftsstockung zu haben. Gerade aus den gewerbe¬
reichsten Bezirken vernimmt man die lautesten Klagen darüber, daß oft die¬
jenigen Arbeiter, welche am meisten verdienen am stärksten in Schulden stecken.
Trotz dieser einzelnen bedauernswerthen Erscheinungen, läßt sich nicht ver¬
kennen, daß die Lage der arbeitenden Klassen Großbritanniens sich seit 10 Jahren
wesentlich gebessert hat. Den Beweis dafür liefert die steigende Betheiligung
an Consum-Bereinen und kleinen Aktiengesellschaften mit beschränkter Haft¬
pflicht aus den vermehrten Beiträgen, welche die Hilfsvereine aller Art er¬
halten, aus dem Wachsen der Sparkassen und namentlich auch aus der Er¬
höhung der finanziellen Kraft der Gewerkvereine, durch welche diese in Stand
gesetzt wurden, während der Zeit des Aufschwunges Myriaden von Arbeitern
in zahlreichen Aufständen zu erhalten. Ein Blick auf die Post-Sparkassen,
deren Ausweis uns gerade vorliegt, bestätigt gleichfalls diese Kräftigung der
Stellung der Arbeiter.

Im Jahre 1862 betrug die Gesammtheit der Einlagen 42,290,000 Mark
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180874,000,00»
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Im Jahre 1871121,000,000
141,000,0001872
141,900,0001873

Nachdem der Ausbruch der Krisis von 1873 dem Eldorado der Specu-
lation ein Ende mit Schrecken gemacht hatte, dauerte es doch noch ein halbes
Jahr, bis die Wirkung auch auf die Arbeiter Englands sich erstreckte. Die Sisti-
rung und Einschränkung einer großen Menge von Eisenbahnen und Fabriken
machte auf einmal der Fülle der Bestellungen ein Ende. Am meisten machte
sich dieses in der Kohlen - und Eisenproduktion geltend. Bon Mitte
März 1873 bis zum gleichen Datum 1874 war der Preis des Roheisens um
36 Procent und der der Steinkohle um 30 Procent gefallen. Auch im ver¬
flossenen Jahre setzte sich die Abnahme der Bestellungen und des Preises fort,
so daß vom 31. Dezember 1873 bis zum gleichen Datum 1874 das schottische
Roheisen einen Abschlag von 20 Procent und die Steinkohle von 30 Procent
aufweist. Im Ganzen sind diese Haupthülfsstoffe der Industrie seit 2 Jahren
um ungefähr 30 Procent gesunken und trotz dieser Preisverringerung hat sich
der Absatz noch nicht wieder gehoben. Unter solchen Umständen mußten auch
die Arbeitslöhne wieder herabgesetzt werden, wenn die Kohlen- und Eisenwerke


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[0266] besserung des Lohnes zunehme. Namentlich in denjenigen Industriezweigen, welche am meisten Schwankungen im Absatz und in den Preisen haben und wo die Löhne am raschesten in die Höhe schnellen, dafür aber auch wieder leichter zurückgehen, wird getadelt, daß die Arbeiter am wenigsten geneigt sind von dem Ueberfluß der hohen Löhne zurückzulegen, um einen Sparpfennig für die Zeiten der Geschäftsstockung zu haben. Gerade aus den gewerbe¬ reichsten Bezirken vernimmt man die lautesten Klagen darüber, daß oft die¬ jenigen Arbeiter, welche am meisten verdienen am stärksten in Schulden stecken. Trotz dieser einzelnen bedauernswerthen Erscheinungen, läßt sich nicht ver¬ kennen, daß die Lage der arbeitenden Klassen Großbritanniens sich seit 10 Jahren wesentlich gebessert hat. Den Beweis dafür liefert die steigende Betheiligung an Consum-Bereinen und kleinen Aktiengesellschaften mit beschränkter Haft¬ pflicht aus den vermehrten Beiträgen, welche die Hilfsvereine aller Art er¬ halten, aus dem Wachsen der Sparkassen und namentlich auch aus der Er¬ höhung der finanziellen Kraft der Gewerkvereine, durch welche diese in Stand gesetzt wurden, während der Zeit des Aufschwunges Myriaden von Arbeitern in zahlreichen Aufständen zu erhalten. Ein Blick auf die Post-Sparkassen, deren Ausweis uns gerade vorliegt, bestätigt gleichfalls diese Kräftigung der Stellung der Arbeiter. Im Jahre 1862 betrug die Gesammtheit der Einlagen 42,290,000 Mark 180407,000,000 180874,000,00» Im Durchschnitt 18<>0 —70104,000.000 Im Jahre 1871121,000,000 141,000,0001872 141,900,0001873 Nachdem der Ausbruch der Krisis von 1873 dem Eldorado der Specu- lation ein Ende mit Schrecken gemacht hatte, dauerte es doch noch ein halbes Jahr, bis die Wirkung auch auf die Arbeiter Englands sich erstreckte. Die Sisti- rung und Einschränkung einer großen Menge von Eisenbahnen und Fabriken machte auf einmal der Fülle der Bestellungen ein Ende. Am meisten machte sich dieses in der Kohlen - und Eisenproduktion geltend. Bon Mitte März 1873 bis zum gleichen Datum 1874 war der Preis des Roheisens um 36 Procent und der der Steinkohle um 30 Procent gefallen. Auch im ver¬ flossenen Jahre setzte sich die Abnahme der Bestellungen und des Preises fort, so daß vom 31. Dezember 1873 bis zum gleichen Datum 1874 das schottische Roheisen einen Abschlag von 20 Procent und die Steinkohle von 30 Procent aufweist. Im Ganzen sind diese Haupthülfsstoffe der Industrie seit 2 Jahren um ungefähr 30 Procent gesunken und trotz dieser Preisverringerung hat sich der Absatz noch nicht wieder gehoben. Unter solchen Umständen mußten auch die Arbeitslöhne wieder herabgesetzt werden, wenn die Kohlen- und Eisenwerke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/266>, abgerufen am 06.02.2025.