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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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wahr sei, daß Caesar sich König nennen wolle. Caesar bejaht. "Das Volk
will einmal immer Zeichen seh'n -- einen König haben. Denn ihm gehorcht
es lieber." Das Wort "gehorcht!" und die unmittelbar nachher von Caesar
gethane Aeußerung, daß er Octavian zu seinem Sohn und Erben eingesetzt
habe, beseitigt bei Brutus den letzten Zweifel. Mit dem heimlichen Rufe:
Schon erblich ist die Tyrannei!
Weicht er von Caesar's Seite, um die blutige That zu befehlen. -- Die Mord¬
scene selbst ist fast wortgetreu nach den Quellen dargestellt. Auch Shakespeare
folgte darin am treuesten den Quellen. Die folgenden Scenen Kruse's weichen
dagegen wieder sehr weit von Shakespeare ab. Antonius schickt nicht, wie
bei Shakespeare, erst einen Diener an die Mörder ab, der den Auftrag hat,
vor Brutus niederzuknien und ihm seine Unterwürfigkeit zu melden. Antonius
schüttelt auch nicht die Hände mit den Verschworenen, als er dann selbst er¬
scheint. Er kommt bei Kruse vielmehr unmittelbar nach der Ermordung in die
Halle, knirscht in ohnmächtigem Ingrimm, versucht zu entfliehen, wird erfaßt,
und Cassius schickt sich an, ihm den Todesstoß zu geben, den Antonius mit
wilden Spöttereien begehrt, den aber Brutus abwehrt in dem idealen Glauben,
"auch dieser Baum werde in der reinen Luft der jungen Freiheit edle Sprossen
treiben." "O wie dumm, wie rasend dumm!" ruft Antonius bet Seite, als
ihm das Leben geschenkt wird, und laut setzt er hinzu:
Wenn Ihr mir denn das Leben schenken wollt,
So dank' ich Euch für diese Kleinigkeit:
Viel ist es jetzt nicht werth.

Und sofort regt nun Antonius die Bestattungsfrage an und verspricht mit aller
Biederkeit, deren er äußerlich fähig ist. in seiner Leichenrede nichts gegen die
Mörder Caesar's vorzubringen, noch Caesar's Tyrannei zu verringern und zu
entschuldigen. Man sieht, sein Charakter ist bei Kruse ein ganz Theil derber
und realistischer --- aber auch historisch treuer -- gezeichnet, als bei Shake¬
speare. Dem Antonius des Briten wohnen zwei Seelen in der Brust und
von beiden gewahren wir die rohere, gemeinere selten unverhüllt. Der Mann
ist fähig, die unvergleichlich erhabenen Worte vor Caesar's Leiche und vor
Brutus' Leiche später die klassischen und fast bei jeder politischen Leichenrede
oder Biographie noch heute citirten Worte zu sprechen. Der historische An¬
tonius, den Kruse zeichnet, ist dazu nur einmal fähig vor der Leiche des
Brutus am Ende des Stückes; um so gewaltiger ist die Wirkung. Er kann
sonst in der ernstesten Lage seine Späße, sein Behagen am thierischen Lebens¬
genuß, seine materielle Auffassung aller Dinge nicht unterdrücken. Und auch
hier ist die volle Tiefe seiner Empfindung flüchtig wie die fließende Welle.
Schon als er, einen Moment später bei Kruse von Octavian die Genehmigung
zur feierlichen Bestattung des Brutus, ertrotzt, verfährt Antonius dabei un-

wahr sei, daß Caesar sich König nennen wolle. Caesar bejaht. „Das Volk
will einmal immer Zeichen seh'n — einen König haben. Denn ihm gehorcht
es lieber." Das Wort „gehorcht!" und die unmittelbar nachher von Caesar
gethane Aeußerung, daß er Octavian zu seinem Sohn und Erben eingesetzt
habe, beseitigt bei Brutus den letzten Zweifel. Mit dem heimlichen Rufe:
Schon erblich ist die Tyrannei!
Weicht er von Caesar's Seite, um die blutige That zu befehlen. — Die Mord¬
scene selbst ist fast wortgetreu nach den Quellen dargestellt. Auch Shakespeare
folgte darin am treuesten den Quellen. Die folgenden Scenen Kruse's weichen
dagegen wieder sehr weit von Shakespeare ab. Antonius schickt nicht, wie
bei Shakespeare, erst einen Diener an die Mörder ab, der den Auftrag hat,
vor Brutus niederzuknien und ihm seine Unterwürfigkeit zu melden. Antonius
schüttelt auch nicht die Hände mit den Verschworenen, als er dann selbst er¬
scheint. Er kommt bei Kruse vielmehr unmittelbar nach der Ermordung in die
Halle, knirscht in ohnmächtigem Ingrimm, versucht zu entfliehen, wird erfaßt,
und Cassius schickt sich an, ihm den Todesstoß zu geben, den Antonius mit
wilden Spöttereien begehrt, den aber Brutus abwehrt in dem idealen Glauben,
„auch dieser Baum werde in der reinen Luft der jungen Freiheit edle Sprossen
treiben." „O wie dumm, wie rasend dumm!" ruft Antonius bet Seite, als
ihm das Leben geschenkt wird, und laut setzt er hinzu:
Wenn Ihr mir denn das Leben schenken wollt,
So dank' ich Euch für diese Kleinigkeit:
Viel ist es jetzt nicht werth.

Und sofort regt nun Antonius die Bestattungsfrage an und verspricht mit aller
Biederkeit, deren er äußerlich fähig ist. in seiner Leichenrede nichts gegen die
Mörder Caesar's vorzubringen, noch Caesar's Tyrannei zu verringern und zu
entschuldigen. Man sieht, sein Charakter ist bei Kruse ein ganz Theil derber
und realistischer —- aber auch historisch treuer — gezeichnet, als bei Shake¬
speare. Dem Antonius des Briten wohnen zwei Seelen in der Brust und
von beiden gewahren wir die rohere, gemeinere selten unverhüllt. Der Mann
ist fähig, die unvergleichlich erhabenen Worte vor Caesar's Leiche und vor
Brutus' Leiche später die klassischen und fast bei jeder politischen Leichenrede
oder Biographie noch heute citirten Worte zu sprechen. Der historische An¬
tonius, den Kruse zeichnet, ist dazu nur einmal fähig vor der Leiche des
Brutus am Ende des Stückes; um so gewaltiger ist die Wirkung. Er kann
sonst in der ernstesten Lage seine Späße, sein Behagen am thierischen Lebens¬
genuß, seine materielle Auffassung aller Dinge nicht unterdrücken. Und auch
hier ist die volle Tiefe seiner Empfindung flüchtig wie die fließende Welle.
Schon als er, einen Moment später bei Kruse von Octavian die Genehmigung
zur feierlichen Bestattung des Brutus, ertrotzt, verfährt Antonius dabei un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/257>, abgerufen am 06.02.2025.