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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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der ehrgeizige Schlauberger, Octavian der hoffnungsvolle Prinz u. s. w."
Jeder der Shakespeare'schen Charaktere deckt eine menschliche Leidenschaft oder
Tugend vollkommen. Von der Geschichte bleiben im wesentlichen nur die
Namen, der Gang der Handlung und die Katastrophen des Mordes an
Caesar und der Vergeltung bei Philippi, und eine Reihe von überlieferten oder
vom Dichtet für historisch gehaltenen Phrasen, die sorgfältig an den Mann
gebracht werden. Wie wenig historisches Detail und römische Loealfarbe in
Shakespeare's Drama steckt, wird jeder inne werden, der diesen Julius Caesar
diesen Brutus, Cassius, Antonius u. s. w. von dem historischen Hintergrunde,
dem sie aufgeklebt sind, loslöst, und sie auf eine andere Pappe zieht. Sie
werden sich, in andere Verhältnisse versetzt, fast mit demselben Erfolge unter¬
halten, angreifen und erstechen. So etwa wird das Urtheil des Histo¬
rikers über Shakespeare's "Julius Caesar" ausfallen, mag er das Drama
vom künstlerischen und literarischen Standpunkt aus auch noch so hoch stellen.
Es ist auch kein Zweifel, daß Shakespaere selbst diesen Mangel seines Stückes
empfunden hat, daß die Hoheit und Gewalt dieses unvergleichlichen tragischen
Stoffes ihn anzog, ihn wie es auch sei, zu behandeln; daß er ahnte, er werde
keineswegs der Letzte sein, der dieses Stoffes Meister zu werden versuchte.
Er spricht das ja aus Cassius und Brutus Mund klar aus in den bekann¬
ten Versen-


[Beginn Spaltensatz] In wie entfernter Zeit
Wird man dies hohe Schauspiel wiederholen,
In neuen Zungen und mit fremdem Pomp!
[Spaltenumbruch]
Wie oft wird Caesar noch im Spiele bluten,
Der jetzt am Fußgestell Pompejus liegt,
Dem Staube gleich geachtet.
[Ende Spaltensatz]

Diese Andeutungen werden genügen, um unsern Standpunkt gegenüber
einer neuen Bearbeitung dieses Stoffes zu bezeichnen. Wir halten jeden der¬
artigen Versuch, der den großartigen Stoff, mit strengeren Anschluß an die
Geschichte, behandelt, hochwillkomner. Wir meinen, ein Deutscher soll es
sein, der das hohe Werk Shakespeare's übertrifft durch deutsche Geschichts¬
kenntniß und Treue, durch freie neue Umrisse der Züge der handeln¬
den Personen, tiefere individuellere Ausfassung der Charaktere, durch eine der
fortgeschrittenen geschichtlicher Kenntniß mehr entsprechende Entwickelung der
Handlung und Idee des Stückes. Ja, wir gehen einen Schritt weiter. Wir
bezeichnen als das Drama, welches diese Vorzüge in sich vereinigt die jüngste
Schöpfung Heinrich Kruse's, seinen "Brutus".*)

Robert von Mohl sagt im dritten Bande seiner Geschichte und Literatur
der Staatswissenschaften in der einleitenden Uebersicht seiner berühmten Mo¬
nographie über die Machiavelli-Literatur, diese Literatur gebe "ein zwar nicht
erfreuliches und schmeichelhaftes, aber ein um so belehrenderes Beispiel, von
der Verkehrtheit, Urteilslosigkeit und Oberflächlichkeit, welche oft lange Zeit



") Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1875.

der ehrgeizige Schlauberger, Octavian der hoffnungsvolle Prinz u. s. w."
Jeder der Shakespeare'schen Charaktere deckt eine menschliche Leidenschaft oder
Tugend vollkommen. Von der Geschichte bleiben im wesentlichen nur die
Namen, der Gang der Handlung und die Katastrophen des Mordes an
Caesar und der Vergeltung bei Philippi, und eine Reihe von überlieferten oder
vom Dichtet für historisch gehaltenen Phrasen, die sorgfältig an den Mann
gebracht werden. Wie wenig historisches Detail und römische Loealfarbe in
Shakespeare's Drama steckt, wird jeder inne werden, der diesen Julius Caesar
diesen Brutus, Cassius, Antonius u. s. w. von dem historischen Hintergrunde,
dem sie aufgeklebt sind, loslöst, und sie auf eine andere Pappe zieht. Sie
werden sich, in andere Verhältnisse versetzt, fast mit demselben Erfolge unter¬
halten, angreifen und erstechen. So etwa wird das Urtheil des Histo¬
rikers über Shakespeare's „Julius Caesar" ausfallen, mag er das Drama
vom künstlerischen und literarischen Standpunkt aus auch noch so hoch stellen.
Es ist auch kein Zweifel, daß Shakespaere selbst diesen Mangel seines Stückes
empfunden hat, daß die Hoheit und Gewalt dieses unvergleichlichen tragischen
Stoffes ihn anzog, ihn wie es auch sei, zu behandeln; daß er ahnte, er werde
keineswegs der Letzte sein, der dieses Stoffes Meister zu werden versuchte.
Er spricht das ja aus Cassius und Brutus Mund klar aus in den bekann¬
ten Versen-


[Beginn Spaltensatz] In wie entfernter Zeit
Wird man dies hohe Schauspiel wiederholen,
In neuen Zungen und mit fremdem Pomp!
[Spaltenumbruch]
Wie oft wird Caesar noch im Spiele bluten,
Der jetzt am Fußgestell Pompejus liegt,
Dem Staube gleich geachtet.
[Ende Spaltensatz]

Diese Andeutungen werden genügen, um unsern Standpunkt gegenüber
einer neuen Bearbeitung dieses Stoffes zu bezeichnen. Wir halten jeden der¬
artigen Versuch, der den großartigen Stoff, mit strengeren Anschluß an die
Geschichte, behandelt, hochwillkomner. Wir meinen, ein Deutscher soll es
sein, der das hohe Werk Shakespeare's übertrifft durch deutsche Geschichts¬
kenntniß und Treue, durch freie neue Umrisse der Züge der handeln¬
den Personen, tiefere individuellere Ausfassung der Charaktere, durch eine der
fortgeschrittenen geschichtlicher Kenntniß mehr entsprechende Entwickelung der
Handlung und Idee des Stückes. Ja, wir gehen einen Schritt weiter. Wir
bezeichnen als das Drama, welches diese Vorzüge in sich vereinigt die jüngste
Schöpfung Heinrich Kruse's, seinen „Brutus".*)

Robert von Mohl sagt im dritten Bande seiner Geschichte und Literatur
der Staatswissenschaften in der einleitenden Uebersicht seiner berühmten Mo¬
nographie über die Machiavelli-Literatur, diese Literatur gebe „ein zwar nicht
erfreuliches und schmeichelhaftes, aber ein um so belehrenderes Beispiel, von
der Verkehrtheit, Urteilslosigkeit und Oberflächlichkeit, welche oft lange Zeit



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[0249] der ehrgeizige Schlauberger, Octavian der hoffnungsvolle Prinz u. s. w." Jeder der Shakespeare'schen Charaktere deckt eine menschliche Leidenschaft oder Tugend vollkommen. Von der Geschichte bleiben im wesentlichen nur die Namen, der Gang der Handlung und die Katastrophen des Mordes an Caesar und der Vergeltung bei Philippi, und eine Reihe von überlieferten oder vom Dichtet für historisch gehaltenen Phrasen, die sorgfältig an den Mann gebracht werden. Wie wenig historisches Detail und römische Loealfarbe in Shakespeare's Drama steckt, wird jeder inne werden, der diesen Julius Caesar diesen Brutus, Cassius, Antonius u. s. w. von dem historischen Hintergrunde, dem sie aufgeklebt sind, loslöst, und sie auf eine andere Pappe zieht. Sie werden sich, in andere Verhältnisse versetzt, fast mit demselben Erfolge unter¬ halten, angreifen und erstechen. So etwa wird das Urtheil des Histo¬ rikers über Shakespeare's „Julius Caesar" ausfallen, mag er das Drama vom künstlerischen und literarischen Standpunkt aus auch noch so hoch stellen. Es ist auch kein Zweifel, daß Shakespaere selbst diesen Mangel seines Stückes empfunden hat, daß die Hoheit und Gewalt dieses unvergleichlichen tragischen Stoffes ihn anzog, ihn wie es auch sei, zu behandeln; daß er ahnte, er werde keineswegs der Letzte sein, der dieses Stoffes Meister zu werden versuchte. Er spricht das ja aus Cassius und Brutus Mund klar aus in den bekann¬ ten Versen- In wie entfernter Zeit Wird man dies hohe Schauspiel wiederholen, In neuen Zungen und mit fremdem Pomp! Wie oft wird Caesar noch im Spiele bluten, Der jetzt am Fußgestell Pompejus liegt, Dem Staube gleich geachtet. Diese Andeutungen werden genügen, um unsern Standpunkt gegenüber einer neuen Bearbeitung dieses Stoffes zu bezeichnen. Wir halten jeden der¬ artigen Versuch, der den großartigen Stoff, mit strengeren Anschluß an die Geschichte, behandelt, hochwillkomner. Wir meinen, ein Deutscher soll es sein, der das hohe Werk Shakespeare's übertrifft durch deutsche Geschichts¬ kenntniß und Treue, durch freie neue Umrisse der Züge der handeln¬ den Personen, tiefere individuellere Ausfassung der Charaktere, durch eine der fortgeschrittenen geschichtlicher Kenntniß mehr entsprechende Entwickelung der Handlung und Idee des Stückes. Ja, wir gehen einen Schritt weiter. Wir bezeichnen als das Drama, welches diese Vorzüge in sich vereinigt die jüngste Schöpfung Heinrich Kruse's, seinen „Brutus".*) Robert von Mohl sagt im dritten Bande seiner Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften in der einleitenden Uebersicht seiner berühmten Mo¬ nographie über die Machiavelli-Literatur, diese Literatur gebe „ein zwar nicht erfreuliches und schmeichelhaftes, aber ein um so belehrenderes Beispiel, von der Verkehrtheit, Urteilslosigkeit und Oberflächlichkeit, welche oft lange Zeit ") Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1875.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/249>, abgerufen am 06.02.2025.