Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.größte Frage an. welche die Weltgeschichte an entscheidenden Wendepunkten Und was macht nun Shakespeare aus diesem tragischen Stoffe, mit dieser größte Frage an. welche die Weltgeschichte an entscheidenden Wendepunkten Und was macht nun Shakespeare aus diesem tragischen Stoffe, mit dieser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133536"/> <p xml:id="ID_806" prev="#ID_805"> größte Frage an. welche die Weltgeschichte an entscheidenden Wendepunkten<lb/> stellt: wie hätte sich die Entwickelung des Menschengeschlechtes gestaltet, wenn<lb/> er auch nur einen dieser Plane, vor Allem die Unterwerfung Germaniens<lb/> vollbracht hätte? Ferner zeigt auch die geschichtliche Entwickelung der That¬<lb/> sachen das öffentliche Pflichtgefühl und das politische Verständniß der Römer<lb/> in allen Classen nach der Ermordung Caesar's in einem so traurigen Lichte,<lb/> daß die historisch beglaubigte Meinung des Brutus, durch die Wegräumung<lb/> Caesar's werde die alte biedere Republik erblühen, beinahe als unbegreifliche<lb/> Thorheit erscheint. Namentlich ist das stupide Verhalten des Plebs nach der<lb/> Mordthat in keiner Weise corrigirt worden durch die besseren Gesellschafts¬<lb/> schichten, welche Caesar auch den Schein der Herrschaft so grimmig verübelten.<lb/> Der Senat und die Optimaten übertrafen womöglich noch das Volk an seiger<lb/> Unthätigkeit. Sie flohen in wilder Bestürzung. Später setzen sie die<lb/> Phrase und Rede an Stelle der That. — Und dieselbe rathlose Unentschlossen-<lb/> heit zeigt das Verhalten der Verschworenen selbst. Sie lassen den Antonius<lb/> sich der Staatskasse und aller Papiere des Todten bemächtigen und das Volk<lb/> gegen die Mörder Caesar's aufreizen. Sie sehen dem Bruche des Antonius<lb/> mit der Staatspartei, die erst in der Mitte des Jahres eintritt und dem mu-<lb/> tinensischen Kriege zu und lassen den Triumvirn Zeit, alle Schwierigkeiten<lb/> einer gemeinsamen Vereinigung zu überwinden und ihre Heere den Ver¬<lb/> schworenen entgegenzustellen. Dieser Zeitraum, vom Tode des Caesar bis<lb/> zur Schlacht von Philippi, den der Dramatiker aus wenige Scenen zusammen¬<lb/> drängen muß, höchstens durch das Fallen des Vorhangs als einen längeren<lb/> anzudeuten vermag, dehnt sich in Wirklichkeit auf zwei und ein halbes Jahr<lb/> aus, und umfaßt die widerwärtigsten Züge und Thaten, deren der römische<lb/> Volksgeist bis dahin sich fähig gezeigt hatte. Namentlich jene scheußlichen<lb/> Proseriptionen, bei denen tausende hervorragender Männer, das ganze vor¬<lb/> nehmere Rom der Republik mit kalter Grausamkeit hingeschlachtet wurde<lb/> keiner der Geächteten vor dem Verrath seiner Familie sicher war; wo mit<lb/> Wollust und grundsätzlich, für Geld und Gut, und viele Monate hindurch,<lb/> gemordet wurde. Sulla hatte doch wenigstens in der Hitze der ersten Leiden¬<lb/> schaft und zur Revanche für die blutigen Opfer der eigenen Partei, endlich<lb/> um jede neue Erhebung durch Schrecken niederzuschlagen, gemordet. Keines<lb/> dieser Motive stand den Triumvirn zur Seite. Und auch diese Gräuel mu߬<lb/> ten Brutus und Cassius gelassen von ihren östlichen Provinzen aus mit an¬<lb/> sehen und über Italien ergehen lassen. Wahrlich, die tragische Nemesis ist<lb/> selten Jemandem so klar vor Augen getreten, wie ihnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Und was macht nun Shakespeare aus diesem tragischen Stoffe, mit dieser<lb/> tragischen Idee? Caesar ist die personificirte Hybris, Brutus die personificirte<lb/> Tugend und Freiheitsliebe, Cassius die verkörperte Unzufriedenheit, Antonius</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
größte Frage an. welche die Weltgeschichte an entscheidenden Wendepunkten
stellt: wie hätte sich die Entwickelung des Menschengeschlechtes gestaltet, wenn
er auch nur einen dieser Plane, vor Allem die Unterwerfung Germaniens
vollbracht hätte? Ferner zeigt auch die geschichtliche Entwickelung der That¬
sachen das öffentliche Pflichtgefühl und das politische Verständniß der Römer
in allen Classen nach der Ermordung Caesar's in einem so traurigen Lichte,
daß die historisch beglaubigte Meinung des Brutus, durch die Wegräumung
Caesar's werde die alte biedere Republik erblühen, beinahe als unbegreifliche
Thorheit erscheint. Namentlich ist das stupide Verhalten des Plebs nach der
Mordthat in keiner Weise corrigirt worden durch die besseren Gesellschafts¬
schichten, welche Caesar auch den Schein der Herrschaft so grimmig verübelten.
Der Senat und die Optimaten übertrafen womöglich noch das Volk an seiger
Unthätigkeit. Sie flohen in wilder Bestürzung. Später setzen sie die
Phrase und Rede an Stelle der That. — Und dieselbe rathlose Unentschlossen-
heit zeigt das Verhalten der Verschworenen selbst. Sie lassen den Antonius
sich der Staatskasse und aller Papiere des Todten bemächtigen und das Volk
gegen die Mörder Caesar's aufreizen. Sie sehen dem Bruche des Antonius
mit der Staatspartei, die erst in der Mitte des Jahres eintritt und dem mu-
tinensischen Kriege zu und lassen den Triumvirn Zeit, alle Schwierigkeiten
einer gemeinsamen Vereinigung zu überwinden und ihre Heere den Ver¬
schworenen entgegenzustellen. Dieser Zeitraum, vom Tode des Caesar bis
zur Schlacht von Philippi, den der Dramatiker aus wenige Scenen zusammen¬
drängen muß, höchstens durch das Fallen des Vorhangs als einen längeren
anzudeuten vermag, dehnt sich in Wirklichkeit auf zwei und ein halbes Jahr
aus, und umfaßt die widerwärtigsten Züge und Thaten, deren der römische
Volksgeist bis dahin sich fähig gezeigt hatte. Namentlich jene scheußlichen
Proseriptionen, bei denen tausende hervorragender Männer, das ganze vor¬
nehmere Rom der Republik mit kalter Grausamkeit hingeschlachtet wurde
keiner der Geächteten vor dem Verrath seiner Familie sicher war; wo mit
Wollust und grundsätzlich, für Geld und Gut, und viele Monate hindurch,
gemordet wurde. Sulla hatte doch wenigstens in der Hitze der ersten Leiden¬
schaft und zur Revanche für die blutigen Opfer der eigenen Partei, endlich
um jede neue Erhebung durch Schrecken niederzuschlagen, gemordet. Keines
dieser Motive stand den Triumvirn zur Seite. Und auch diese Gräuel mu߬
ten Brutus und Cassius gelassen von ihren östlichen Provinzen aus mit an¬
sehen und über Italien ergehen lassen. Wahrlich, die tragische Nemesis ist
selten Jemandem so klar vor Augen getreten, wie ihnen.
Und was macht nun Shakespeare aus diesem tragischen Stoffe, mit dieser
tragischen Idee? Caesar ist die personificirte Hybris, Brutus die personificirte
Tugend und Freiheitsliebe, Cassius die verkörperte Unzufriedenheit, Antonius
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