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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Hoffnung, darin ein gediegenes, originelles Werk von bleibendem Werthe zu
finden. Zu unserm Bedauern müssen wir aussprechen, daß wir uns in dieser
Hoffnung völlig getäuscht haben.

Das Wort "poetisch" im Titel des Buches ist nicht von Poesie, sondern
von Poetik abzuleiten, und der Titel sollte daher eigentlich, wenn diese Wort¬
form überhaupt gebräuchlich wäre, "Poetikalische Abende" heißen. So wie
er jetzt lautet, gehört er zu jenen halb andeutenden, halb verhüllenden Titeln,
die man sich allenfalls über einem Zeitungsartikel gefallen läßt, bei einem
Buche aber entschieden mißbilligen muß. Man sollte meinen, schon die Ver¬
leger selbst müßten im Interesse ihres Geschäftes den Autoren gegenüber gegen
derartige unklare Titel Protestiren.

Der Verfasser bezeichnet es als die Aufgabe seines Buches, "die Grund¬
sätze des Vor trag es rhythmischer Poesien darzulegen, und durch Hinweise
auf die praktische Ausübung dieser Grundsätze dieselben zu unmittelbarer,
lebendiger Wirkung zu bringen", und die Durchführung dieser Ausgabe ver¬
theilt er sich gleichsam auf einzelne Lectionen, die er eben als "poetische Abende"
bezeichnet. Das ist gewiß ein sehr hübscher, ansprechender Gedanke, und es
wäre zu erwarten, daß Gene'e, der neben Türschmann und Wauer zu unsern
besten Vorlesern zählt und ebenso wie die beiden genannten in den letzten
Jahren in vielen Städten Deutschlands durch die Kunst seines Vortrags
große Erfolge errungen hat, recht eigentlich dazu berufen sei, diese Idee zu
verwirklichen. Die Ausführung kann aber in keiner Weise befriedigen.

Unter der vagen Ueberschrift: "Ueber Sprache und Vortrag" giebt Gene'e,
nach einigen allgemeinen Betrachtungen, eine Reihe theoretischer Erörterungen
aus dem Capitel der Metrik und über deklamatorischen Vortrag. Die Partie
über Metrik ist entschieden schwach. Aus jeder populären Poetik kann sich der
Laie eingehender über den Gegenstand unterrichten, als bei Gene'e. Indeß
soll hierauf kein Gewicht gelegt werden, da der Verfasser selbst bekennt, dies
Thema nur insofern behandelt zu haben, als es "für seine eigentliche Aufgabe
unumgänglich nöthig war". Wenn aber der Verfasser einen aus vier jambischen
Dipodien bestehenden Vers als "Heptameter" bezeichnet, wenn er sich allen
Ernstes einbildet, es gebe einen "wohlklingendsten und beliebtesten" Hexameter,
so sind das Dinge, die wir durchaus nicht für "unumgänglich nöthig" halten
können, die vielmehr beweisen, daß Genee in diesen Fragen selber nur oberflächliche
Kenntnisse hat. Umsomehr waren wir nun auf den andern Abschnitt der Ein¬
leitung, der vom deklamatorischen Bortrage handelt, gespannt.. Aber auch
von ihm kann man nicht behaupten, daß er irgend etwas enthielte, was sich
nicht jeder verständige und geschmackvolle Leser von selber sagen könnte. Dieser
Theil enttäuscht einen am meisten, weil man am meisten von ihm erwartet.

Es folgen nun die eigentlichen "poetischen Abende", zwölf an der Zahl.


Hoffnung, darin ein gediegenes, originelles Werk von bleibendem Werthe zu
finden. Zu unserm Bedauern müssen wir aussprechen, daß wir uns in dieser
Hoffnung völlig getäuscht haben.

Das Wort „poetisch" im Titel des Buches ist nicht von Poesie, sondern
von Poetik abzuleiten, und der Titel sollte daher eigentlich, wenn diese Wort¬
form überhaupt gebräuchlich wäre, „Poetikalische Abende" heißen. So wie
er jetzt lautet, gehört er zu jenen halb andeutenden, halb verhüllenden Titeln,
die man sich allenfalls über einem Zeitungsartikel gefallen läßt, bei einem
Buche aber entschieden mißbilligen muß. Man sollte meinen, schon die Ver¬
leger selbst müßten im Interesse ihres Geschäftes den Autoren gegenüber gegen
derartige unklare Titel Protestiren.

Der Verfasser bezeichnet es als die Aufgabe seines Buches, „die Grund¬
sätze des Vor trag es rhythmischer Poesien darzulegen, und durch Hinweise
auf die praktische Ausübung dieser Grundsätze dieselben zu unmittelbarer,
lebendiger Wirkung zu bringen", und die Durchführung dieser Ausgabe ver¬
theilt er sich gleichsam auf einzelne Lectionen, die er eben als „poetische Abende"
bezeichnet. Das ist gewiß ein sehr hübscher, ansprechender Gedanke, und es
wäre zu erwarten, daß Gene'e, der neben Türschmann und Wauer zu unsern
besten Vorlesern zählt und ebenso wie die beiden genannten in den letzten
Jahren in vielen Städten Deutschlands durch die Kunst seines Vortrags
große Erfolge errungen hat, recht eigentlich dazu berufen sei, diese Idee zu
verwirklichen. Die Ausführung kann aber in keiner Weise befriedigen.

Unter der vagen Ueberschrift: „Ueber Sprache und Vortrag" giebt Gene'e,
nach einigen allgemeinen Betrachtungen, eine Reihe theoretischer Erörterungen
aus dem Capitel der Metrik und über deklamatorischen Vortrag. Die Partie
über Metrik ist entschieden schwach. Aus jeder populären Poetik kann sich der
Laie eingehender über den Gegenstand unterrichten, als bei Gene'e. Indeß
soll hierauf kein Gewicht gelegt werden, da der Verfasser selbst bekennt, dies
Thema nur insofern behandelt zu haben, als es „für seine eigentliche Aufgabe
unumgänglich nöthig war". Wenn aber der Verfasser einen aus vier jambischen
Dipodien bestehenden Vers als „Heptameter" bezeichnet, wenn er sich allen
Ernstes einbildet, es gebe einen „wohlklingendsten und beliebtesten" Hexameter,
so sind das Dinge, die wir durchaus nicht für „unumgänglich nöthig" halten
können, die vielmehr beweisen, daß Genee in diesen Fragen selber nur oberflächliche
Kenntnisse hat. Umsomehr waren wir nun auf den andern Abschnitt der Ein¬
leitung, der vom deklamatorischen Bortrage handelt, gespannt.. Aber auch
von ihm kann man nicht behaupten, daß er irgend etwas enthielte, was sich
nicht jeder verständige und geschmackvolle Leser von selber sagen könnte. Dieser
Theil enttäuscht einen am meisten, weil man am meisten von ihm erwartet.

Es folgen nun die eigentlichen „poetischen Abende", zwölf an der Zahl.


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[0240] Hoffnung, darin ein gediegenes, originelles Werk von bleibendem Werthe zu finden. Zu unserm Bedauern müssen wir aussprechen, daß wir uns in dieser Hoffnung völlig getäuscht haben. Das Wort „poetisch" im Titel des Buches ist nicht von Poesie, sondern von Poetik abzuleiten, und der Titel sollte daher eigentlich, wenn diese Wort¬ form überhaupt gebräuchlich wäre, „Poetikalische Abende" heißen. So wie er jetzt lautet, gehört er zu jenen halb andeutenden, halb verhüllenden Titeln, die man sich allenfalls über einem Zeitungsartikel gefallen läßt, bei einem Buche aber entschieden mißbilligen muß. Man sollte meinen, schon die Ver¬ leger selbst müßten im Interesse ihres Geschäftes den Autoren gegenüber gegen derartige unklare Titel Protestiren. Der Verfasser bezeichnet es als die Aufgabe seines Buches, „die Grund¬ sätze des Vor trag es rhythmischer Poesien darzulegen, und durch Hinweise auf die praktische Ausübung dieser Grundsätze dieselben zu unmittelbarer, lebendiger Wirkung zu bringen", und die Durchführung dieser Ausgabe ver¬ theilt er sich gleichsam auf einzelne Lectionen, die er eben als „poetische Abende" bezeichnet. Das ist gewiß ein sehr hübscher, ansprechender Gedanke, und es wäre zu erwarten, daß Gene'e, der neben Türschmann und Wauer zu unsern besten Vorlesern zählt und ebenso wie die beiden genannten in den letzten Jahren in vielen Städten Deutschlands durch die Kunst seines Vortrags große Erfolge errungen hat, recht eigentlich dazu berufen sei, diese Idee zu verwirklichen. Die Ausführung kann aber in keiner Weise befriedigen. Unter der vagen Ueberschrift: „Ueber Sprache und Vortrag" giebt Gene'e, nach einigen allgemeinen Betrachtungen, eine Reihe theoretischer Erörterungen aus dem Capitel der Metrik und über deklamatorischen Vortrag. Die Partie über Metrik ist entschieden schwach. Aus jeder populären Poetik kann sich der Laie eingehender über den Gegenstand unterrichten, als bei Gene'e. Indeß soll hierauf kein Gewicht gelegt werden, da der Verfasser selbst bekennt, dies Thema nur insofern behandelt zu haben, als es „für seine eigentliche Aufgabe unumgänglich nöthig war". Wenn aber der Verfasser einen aus vier jambischen Dipodien bestehenden Vers als „Heptameter" bezeichnet, wenn er sich allen Ernstes einbildet, es gebe einen „wohlklingendsten und beliebtesten" Hexameter, so sind das Dinge, die wir durchaus nicht für „unumgänglich nöthig" halten können, die vielmehr beweisen, daß Genee in diesen Fragen selber nur oberflächliche Kenntnisse hat. Umsomehr waren wir nun auf den andern Abschnitt der Ein¬ leitung, der vom deklamatorischen Bortrage handelt, gespannt.. Aber auch von ihm kann man nicht behaupten, daß er irgend etwas enthielte, was sich nicht jeder verständige und geschmackvolle Leser von selber sagen könnte. Dieser Theil enttäuscht einen am meisten, weil man am meisten von ihm erwartet. Es folgen nun die eigentlichen „poetischen Abende", zwölf an der Zahl.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/240>, abgerufen am 06.02.2025.