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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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12. September. Durch Weinhändler Pfiermannn, einem Bruder von
der "königlichen Kunst," mit dem ich gestern im Gasthofe Bekanntschaft machte,
und der mir rasch gut geworden zu sein scheint, wie ich ihm, wurde ich heute
Morgen bei Pastor Kroll, dem Prediger an der Johanneskirche auf der sechsten
Straße, eingeführt. Ehrwürden, ein großer schwerer Mann, saß eben, der Hitze
wegen nur mit Hemd und Hosen bekleidet, in der Unterstube seines Häuschens,
die als Empfangs-Salon und zugleich als Schulzimmer für die Confirmanden
der Gemeinde dient, im Gespräche mit einem Herrn Herrsch, der gleich mir vor
Kurzem aus Deutschland angekommen ist. Als Confrater in sxv vorgestellt,
wurde ich freundlich aufgenommen, und der Pastor sagte auch mir recht wohl zu,
obschon er eine etwas phlegmatische und hausbackene Natur zu sein scheint und
offenbar zu den Auguren gehört, die sich anlächeln, wenn sie bei Amtsgängen
einander begegnen. Wenn ich ihn recht verstehe, so ist sein Evangelium der
alte Rohr. Weniger behagte mir Hertsch, der Rechtsgelehrter in Magdeburg
gewesen sein und zu der Uhlich'schen Partei gehört haben will, und der sich
jetzt, obwohl er an Krücken geht, und Krüppel nach den alten Satzungen der
Kirche nicht Priester sein sollen, um die Pfarre in Madison zu bewerben ge¬
denkt, deren bisheriger Inhaber der Gemeinde "zwischen zwei Tagen" abhan¬
den gekommen ist.

Verdunkelte das schon meinen Himmel ein wenig, so wurde es noch
düsterer, als nach einer Weile ein junger Mann hereinkam, der früher auf
Hecker's Farm in der Looking-Glaß-Prairie beschäftigt gewesen, und der
uns mit betrübter Miene erzählte, daß der Prediger, den Hertsch zu ersetzen
vorhatte -- er hieß, wenn ich recht hörte, Klingler -- und der die vorige
Nacht mit ihm auf einem Zimmer geschlafen, ihm mit einer Brieftasche, die
63 Dollars enthalten habe, davongegangen sei.

"Das sieht ja bös aus", dachte ich. Aber der Pastor schien es nicht so
tragisch zu nehmen. Wußte er doch sofort von ähnlichen Geistern zu berich¬
ten. Da war einer, der in Brooksville als motorischer Trunkenbold und
Landläufer gespukt, da war ein anderer, der eine fremde Uhr für die seinigx
angesehen und in der Zerstreutheit verkauft, da war ein dritter Unhold, der
-- "wohl auch aus Versehen", meinte der Pastor mild oder ironisch -- gar
als Liebhaber seines eignen Geschlechts Unfug verübt und, nachdem er von
mehrern Stellen verjagt worden, jetzt doch in Kentucky wieder eine gefunden
hatte, und so mit Grazie weiter.

Ich kann nicht mit Sicherheit behaupten, daß mich dies in besonders
hohem Grade in meinem Vorhaben ermuthigte; ja ich glaube fast, das
Gegentheil war der Fall. Wenigstens sagte ich etwas der Art meinem guten
Pastor, als ich diesen Abend, von ihm eingeladen, im Pfau ein Glas Rhein¬
wein -- vielleicht waren's auch zwei -- auf das Gelingen meiner Bewerbung


12. September. Durch Weinhändler Pfiermannn, einem Bruder von
der „königlichen Kunst," mit dem ich gestern im Gasthofe Bekanntschaft machte,
und der mir rasch gut geworden zu sein scheint, wie ich ihm, wurde ich heute
Morgen bei Pastor Kroll, dem Prediger an der Johanneskirche auf der sechsten
Straße, eingeführt. Ehrwürden, ein großer schwerer Mann, saß eben, der Hitze
wegen nur mit Hemd und Hosen bekleidet, in der Unterstube seines Häuschens,
die als Empfangs-Salon und zugleich als Schulzimmer für die Confirmanden
der Gemeinde dient, im Gespräche mit einem Herrn Herrsch, der gleich mir vor
Kurzem aus Deutschland angekommen ist. Als Confrater in sxv vorgestellt,
wurde ich freundlich aufgenommen, und der Pastor sagte auch mir recht wohl zu,
obschon er eine etwas phlegmatische und hausbackene Natur zu sein scheint und
offenbar zu den Auguren gehört, die sich anlächeln, wenn sie bei Amtsgängen
einander begegnen. Wenn ich ihn recht verstehe, so ist sein Evangelium der
alte Rohr. Weniger behagte mir Hertsch, der Rechtsgelehrter in Magdeburg
gewesen sein und zu der Uhlich'schen Partei gehört haben will, und der sich
jetzt, obwohl er an Krücken geht, und Krüppel nach den alten Satzungen der
Kirche nicht Priester sein sollen, um die Pfarre in Madison zu bewerben ge¬
denkt, deren bisheriger Inhaber der Gemeinde „zwischen zwei Tagen" abhan¬
den gekommen ist.

Verdunkelte das schon meinen Himmel ein wenig, so wurde es noch
düsterer, als nach einer Weile ein junger Mann hereinkam, der früher auf
Hecker's Farm in der Looking-Glaß-Prairie beschäftigt gewesen, und der
uns mit betrübter Miene erzählte, daß der Prediger, den Hertsch zu ersetzen
vorhatte — er hieß, wenn ich recht hörte, Klingler — und der die vorige
Nacht mit ihm auf einem Zimmer geschlafen, ihm mit einer Brieftasche, die
63 Dollars enthalten habe, davongegangen sei.

„Das sieht ja bös aus", dachte ich. Aber der Pastor schien es nicht so
tragisch zu nehmen. Wußte er doch sofort von ähnlichen Geistern zu berich¬
ten. Da war einer, der in Brooksville als motorischer Trunkenbold und
Landläufer gespukt, da war ein anderer, der eine fremde Uhr für die seinigx
angesehen und in der Zerstreutheit verkauft, da war ein dritter Unhold, der
— „wohl auch aus Versehen", meinte der Pastor mild oder ironisch — gar
als Liebhaber seines eignen Geschlechts Unfug verübt und, nachdem er von
mehrern Stellen verjagt worden, jetzt doch in Kentucky wieder eine gefunden
hatte, und so mit Grazie weiter.

Ich kann nicht mit Sicherheit behaupten, daß mich dies in besonders
hohem Grade in meinem Vorhaben ermuthigte; ja ich glaube fast, das
Gegentheil war der Fall. Wenigstens sagte ich etwas der Art meinem guten
Pastor, als ich diesen Abend, von ihm eingeladen, im Pfau ein Glas Rhein¬
wein — vielleicht waren's auch zwei — auf das Gelingen meiner Bewerbung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/24>, abgerufen am 06.02.2025.