Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.der Individualität nicht nach einem unsichern generellen Charakter des Ver¬ Am 29. April gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Berathung, Grenzboten II. I87V. > 3t)
der Individualität nicht nach einem unsichern generellen Charakter des Ver¬ Am 29. April gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Berathung, Grenzboten II. I87V. > 3t)
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133525"/> <p xml:id="ID_775" prev="#ID_774"> der Individualität nicht nach einem unsichern generellen Charakter des Ver¬<lb/> brechens die eine oder die andere Strafart zur Anwendung bringen; innerhalb<lb/> der vom Richter gewählten Strafart aber müsse durch die Gefängnißbehörden<lb/> ausschließlich die Individualität des Thäters, nicht die Individualität der<lb/> That zum Ausgangspunkt der Behandlung gemacht werden. Der Erlaß<lb/> genereller Borschriften über den Strafvollzug wird im preußischen Justiz¬<lb/> ministerium vorbereitet, die Bestimmung aber ist die Sache der Reichsgesetz¬<lb/> gebung. — Es dürfte unmöglich sein, über diesen Gegenstand einen sachge¬<lb/> mäßeren Ausspruch zu thun. So lange die Vorschriften über den Straf¬<lb/> vollzug freilich noch ungenügend sind, werden einzelne Unangemessenheiten<lb/> vorkommen. Der Eifer des Herrn Windthorst gegen solche Unangemessen¬<lb/> heiten scheint weniger in der Humanität zu suchen, als in dem Wunsche,<lb/> seinen Parteigenossen das jetzt so eifrig gesuchte Martyrium der Gefängni߬<lb/> strafe zu erleichtern. Wollte man aber darum alle Bestrafungen wegen Wider¬<lb/> standes gegen die Kirchengesetze als politische Verbrechen behandeln, und dann<lb/> wieder alle politischen Verbrechen als yuasi ehrenhafte Handlungen, so hieße<lb/> das, die Sicherheet des Staates doppelt preisgeben. Bei einer solchen Be¬<lb/> handlung würde die Scheu vor politischen Verbrechen und vor kirchlichem<lb/> Märtyrerthum gleichmäßig abnehmen und das allzubequeme Heidenthum beider<lb/> gleichmäßig gesucht werden. Der Staat und Alle, denen am Staat gelegen,<lb/> haben Grund, sich eine solche Folge mit ihrem Grund zu verbitten.</p><lb/> <p xml:id="ID_776" next="#ID_777"> Am 29. April gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Berathung,<lb/> das Gesetz über die Verwaltungsgerichte, welches von allen Berwaltungsre-<lb/> formgesetzen unseres Erachtens das fruchtbarste, vielleicht das einzige frucht¬<lb/> bare in der Gestalt ist, in welcher diese Gesetze bis jetzt vorliegen. Nach<lb/> diesem Gesetzentwurf soll die Verwaltungsjustiz oder die Rechtsprechung des<lb/> öffentlichen Rechts, wie man vielleicht weniger mißverständlich sich ausdrücken<lb/> sollte, in drei Instanzen erfolgen. Die erste Instanz sind die Kreisausschüsse,<lb/> deren Zusammensetzung und Funktion durch die Kreisordnung bereits voll¬<lb/> ständig geregelt sind. Die Kreisausschüsse vereinigen in sich eine richterliche<lb/> und eine verwaltende Funktion. Bei den Verwaltungsgerichten zweiter In¬<lb/> stanz hat der Regierungsvorschlag diese Vereinigung nicht gewollt. Die<lb/> Staatsregierung hat in ihrem Gesetzentwurf neben den fortbestehenden Be¬<lb/> zirksregierungen Bezirksausschüsse als Selbstverwaltungsorgane und drittens<lb/> besondere Bezirksverwaltungsgerichte als Verwaltungsgerichte zweiter Instanz<lb/> in Vorschlag gebracht. Die Commission zur Vorberathung des Negierungs-<lb/> entwurfs ist bei dem letzteren stehen geblieben bis auf die Terminologie. Sie<lb/> hat nämlich anstatt Bezirksverwaltungsgerichte den Ausdruck „Provinzialver-<lb/> waltungsgerichte mit örtlich abgegrenzter Competenz" eingeführt, und diese<lb/> Abgrenzung fakultativ gemacht. Durch diese Terminologie soll das Präjudiz</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. I87V. > 3t)</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0237]
der Individualität nicht nach einem unsichern generellen Charakter des Ver¬
brechens die eine oder die andere Strafart zur Anwendung bringen; innerhalb
der vom Richter gewählten Strafart aber müsse durch die Gefängnißbehörden
ausschließlich die Individualität des Thäters, nicht die Individualität der
That zum Ausgangspunkt der Behandlung gemacht werden. Der Erlaß
genereller Borschriften über den Strafvollzug wird im preußischen Justiz¬
ministerium vorbereitet, die Bestimmung aber ist die Sache der Reichsgesetz¬
gebung. — Es dürfte unmöglich sein, über diesen Gegenstand einen sachge¬
mäßeren Ausspruch zu thun. So lange die Vorschriften über den Straf¬
vollzug freilich noch ungenügend sind, werden einzelne Unangemessenheiten
vorkommen. Der Eifer des Herrn Windthorst gegen solche Unangemessen¬
heiten scheint weniger in der Humanität zu suchen, als in dem Wunsche,
seinen Parteigenossen das jetzt so eifrig gesuchte Martyrium der Gefängni߬
strafe zu erleichtern. Wollte man aber darum alle Bestrafungen wegen Wider¬
standes gegen die Kirchengesetze als politische Verbrechen behandeln, und dann
wieder alle politischen Verbrechen als yuasi ehrenhafte Handlungen, so hieße
das, die Sicherheet des Staates doppelt preisgeben. Bei einer solchen Be¬
handlung würde die Scheu vor politischen Verbrechen und vor kirchlichem
Märtyrerthum gleichmäßig abnehmen und das allzubequeme Heidenthum beider
gleichmäßig gesucht werden. Der Staat und Alle, denen am Staat gelegen,
haben Grund, sich eine solche Folge mit ihrem Grund zu verbitten.
Am 29. April gelangte ein sehr wichtiges Gesetz zur zweiten Berathung,
das Gesetz über die Verwaltungsgerichte, welches von allen Berwaltungsre-
formgesetzen unseres Erachtens das fruchtbarste, vielleicht das einzige frucht¬
bare in der Gestalt ist, in welcher diese Gesetze bis jetzt vorliegen. Nach
diesem Gesetzentwurf soll die Verwaltungsjustiz oder die Rechtsprechung des
öffentlichen Rechts, wie man vielleicht weniger mißverständlich sich ausdrücken
sollte, in drei Instanzen erfolgen. Die erste Instanz sind die Kreisausschüsse,
deren Zusammensetzung und Funktion durch die Kreisordnung bereits voll¬
ständig geregelt sind. Die Kreisausschüsse vereinigen in sich eine richterliche
und eine verwaltende Funktion. Bei den Verwaltungsgerichten zweiter In¬
stanz hat der Regierungsvorschlag diese Vereinigung nicht gewollt. Die
Staatsregierung hat in ihrem Gesetzentwurf neben den fortbestehenden Be¬
zirksregierungen Bezirksausschüsse als Selbstverwaltungsorgane und drittens
besondere Bezirksverwaltungsgerichte als Verwaltungsgerichte zweiter Instanz
in Vorschlag gebracht. Die Commission zur Vorberathung des Negierungs-
entwurfs ist bei dem letzteren stehen geblieben bis auf die Terminologie. Sie
hat nämlich anstatt Bezirksverwaltungsgerichte den Ausdruck „Provinzialver-
waltungsgerichte mit örtlich abgegrenzter Competenz" eingeführt, und diese
Abgrenzung fakultativ gemacht. Durch diese Terminologie soll das Präjudiz
Grenzboten II. I87V. > 3t)
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