Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Pferd zu einer Procedur abzurichten, welche dem Zuschauer den Eindruck
macht, als ob es sich in die Flammen stürze, könnte selbst für die höhere
Pferdedressur leicht eine unlösbare Frage bleiben. Aber lassen wir dies
Alles bei Seite und nehmen wir an, die Aufführung geht aufs Beste von
Statten -- würde aber nicht das Bayreuther Fest, trotz alles augenblicklichen
Erfolges, für Wagner und sein System gradezu eine Niederlage werden, wenn
sich eine Wiederholung, eine öftere Wiederholung desselben als unmöglich her¬
ausstellte? Alles wird darauf ankommen, ob dies "Bühnenfestspiel" wirklich
das "nationale Drama" ist, welches Wagner mit ihm beabsichtigt hat. Man
hat ihm vorgeworfen, daß seine Gestalten weit mehr der nordischen, als der
specifisch deutschen Sage entlehnt seien; das würde indeß, bei dem Jneinan-
derübergreifen der Mythologien der verschiedenen germanischen Völkerschaften,
wenig ins Gewicht fallen. Die Frage des "nationalen" Charakters läuft
vielmehr darauf hinaus, ob dies Festspiel ein Besitzthum der gesammten deut¬
schen Nation werden wird. Und da scheint mir die Gefahr nahe zu liegen,
daß ein wirkliches Interesse für dasselbe nur in den oberen Zehntausend Platz
greifen wird, von allen anderen Bedenken zu schweigen. Doch lassen wir das
Prophezeien und warten wir die nicht mehr ferne Entscheidung ab. Fällt
sie gegen Wagner aus, so hat er immer noch den Trost: In ma^ins vvluiWv
sät estl In der That, der Gedanke ist groß, einzig in seiner Art und macht
der deutschen Nation alle Ehre. Auf alle Fälle also: Achtung vor einem
solchen Genie! --

Als ein anderes hervorragendes musikalisches Ereigniß der letzten Wochen
ist die Aufführung von Rubinstein's "Makkabäern" im Opernhause zu nen¬
nen. Der Text dieser Oper ist von Mosenthal im engsten Anschluß an das
gleichnamige Drama von Otto Ludwig geliefert, bot also nichts eigentlich
Neues. Um so mehr war man auf die Musik gespannt. Eine Oper von
Rubinstein war bisher hier nie gehört worden, und die "dramatische Sym¬
phonie", welche er uns vor Kurzem im Concertsaal zum Besten gegeben, hatte
mit ihrem entsetzlich zerfahrenen Charakter nicht gerade die günstigsten Er¬
wartungen geweckt. Da muß nun freilich zugestanden werden, daß die Auf¬
führung solches Vorurtheil vollständig besiegt hat. Die Oper macht auf alle
Fälle den Eindruck eines mit innerer Nothwendigkeit gestalteten organischen
Baues, während jene Symphonie sich nur zu sehr als ein willkürliches Ge¬
fügt zusammenhangsloser Einfälle kennzeichnet. Originalität aber läßt sich
auch dieser Rubinstein'sehen Schöpfung nicht nachrühmen. Zwei Einflüsse, unter
sich selbst vielfach verwandt, sind bestimmend für das Ganze gewesen: die
Meyerbeer'sche Oper und das Mendelssohn'sche Oratorium. Namentlich
bet den Chören, in welche ganz überwiegend der Schwerpunkt gelegt ist, drängt
sich diese Wahrnehmung auf Schritt und Tritt aus. Im Uebrigen ist für


Pferd zu einer Procedur abzurichten, welche dem Zuschauer den Eindruck
macht, als ob es sich in die Flammen stürze, könnte selbst für die höhere
Pferdedressur leicht eine unlösbare Frage bleiben. Aber lassen wir dies
Alles bei Seite und nehmen wir an, die Aufführung geht aufs Beste von
Statten — würde aber nicht das Bayreuther Fest, trotz alles augenblicklichen
Erfolges, für Wagner und sein System gradezu eine Niederlage werden, wenn
sich eine Wiederholung, eine öftere Wiederholung desselben als unmöglich her¬
ausstellte? Alles wird darauf ankommen, ob dies „Bühnenfestspiel" wirklich
das „nationale Drama" ist, welches Wagner mit ihm beabsichtigt hat. Man
hat ihm vorgeworfen, daß seine Gestalten weit mehr der nordischen, als der
specifisch deutschen Sage entlehnt seien; das würde indeß, bei dem Jneinan-
derübergreifen der Mythologien der verschiedenen germanischen Völkerschaften,
wenig ins Gewicht fallen. Die Frage des „nationalen" Charakters läuft
vielmehr darauf hinaus, ob dies Festspiel ein Besitzthum der gesammten deut¬
schen Nation werden wird. Und da scheint mir die Gefahr nahe zu liegen,
daß ein wirkliches Interesse für dasselbe nur in den oberen Zehntausend Platz
greifen wird, von allen anderen Bedenken zu schweigen. Doch lassen wir das
Prophezeien und warten wir die nicht mehr ferne Entscheidung ab. Fällt
sie gegen Wagner aus, so hat er immer noch den Trost: In ma^ins vvluiWv
sät estl In der That, der Gedanke ist groß, einzig in seiner Art und macht
der deutschen Nation alle Ehre. Auf alle Fälle also: Achtung vor einem
solchen Genie! —

Als ein anderes hervorragendes musikalisches Ereigniß der letzten Wochen
ist die Aufführung von Rubinstein's „Makkabäern" im Opernhause zu nen¬
nen. Der Text dieser Oper ist von Mosenthal im engsten Anschluß an das
gleichnamige Drama von Otto Ludwig geliefert, bot also nichts eigentlich
Neues. Um so mehr war man auf die Musik gespannt. Eine Oper von
Rubinstein war bisher hier nie gehört worden, und die „dramatische Sym¬
phonie", welche er uns vor Kurzem im Concertsaal zum Besten gegeben, hatte
mit ihrem entsetzlich zerfahrenen Charakter nicht gerade die günstigsten Er¬
wartungen geweckt. Da muß nun freilich zugestanden werden, daß die Auf¬
führung solches Vorurtheil vollständig besiegt hat. Die Oper macht auf alle
Fälle den Eindruck eines mit innerer Nothwendigkeit gestalteten organischen
Baues, während jene Symphonie sich nur zu sehr als ein willkürliches Ge¬
fügt zusammenhangsloser Einfälle kennzeichnet. Originalität aber läßt sich
auch dieser Rubinstein'sehen Schöpfung nicht nachrühmen. Zwei Einflüsse, unter
sich selbst vielfach verwandt, sind bestimmend für das Ganze gewesen: die
Meyerbeer'sche Oper und das Mendelssohn'sche Oratorium. Namentlich
bet den Chören, in welche ganz überwiegend der Schwerpunkt gelegt ist, drängt
sich diese Wahrnehmung auf Schritt und Tritt aus. Im Uebrigen ist für


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133521"/>
          <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763"> Pferd zu einer Procedur abzurichten, welche dem Zuschauer den Eindruck<lb/>
macht, als ob es sich in die Flammen stürze, könnte selbst für die höhere<lb/>
Pferdedressur leicht eine unlösbare Frage bleiben. Aber lassen wir dies<lb/>
Alles bei Seite und nehmen wir an, die Aufführung geht aufs Beste von<lb/>
Statten &#x2014; würde aber nicht das Bayreuther Fest, trotz alles augenblicklichen<lb/>
Erfolges, für Wagner und sein System gradezu eine Niederlage werden, wenn<lb/>
sich eine Wiederholung, eine öftere Wiederholung desselben als unmöglich her¬<lb/>
ausstellte? Alles wird darauf ankommen, ob dies &#x201E;Bühnenfestspiel" wirklich<lb/>
das &#x201E;nationale Drama" ist, welches Wagner mit ihm beabsichtigt hat. Man<lb/>
hat ihm vorgeworfen, daß seine Gestalten weit mehr der nordischen, als der<lb/>
specifisch deutschen Sage entlehnt seien; das würde indeß, bei dem Jneinan-<lb/>
derübergreifen der Mythologien der verschiedenen germanischen Völkerschaften,<lb/>
wenig ins Gewicht fallen. Die Frage des &#x201E;nationalen" Charakters läuft<lb/>
vielmehr darauf hinaus, ob dies Festspiel ein Besitzthum der gesammten deut¬<lb/>
schen Nation werden wird. Und da scheint mir die Gefahr nahe zu liegen,<lb/>
daß ein wirkliches Interesse für dasselbe nur in den oberen Zehntausend Platz<lb/>
greifen wird, von allen anderen Bedenken zu schweigen. Doch lassen wir das<lb/>
Prophezeien und warten wir die nicht mehr ferne Entscheidung ab. Fällt<lb/>
sie gegen Wagner aus, so hat er immer noch den Trost: In ma^ins vvluiWv<lb/>
sät estl In der That, der Gedanke ist groß, einzig in seiner Art und macht<lb/>
der deutschen Nation alle Ehre. Auf alle Fälle also: Achtung vor einem<lb/>
solchen Genie! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765" next="#ID_766"> Als ein anderes hervorragendes musikalisches Ereigniß der letzten Wochen<lb/>
ist die Aufführung von Rubinstein's &#x201E;Makkabäern" im Opernhause zu nen¬<lb/>
nen. Der Text dieser Oper ist von Mosenthal im engsten Anschluß an das<lb/>
gleichnamige Drama von Otto Ludwig geliefert, bot also nichts eigentlich<lb/>
Neues. Um so mehr war man auf die Musik gespannt. Eine Oper von<lb/>
Rubinstein war bisher hier nie gehört worden, und die &#x201E;dramatische Sym¬<lb/>
phonie", welche er uns vor Kurzem im Concertsaal zum Besten gegeben, hatte<lb/>
mit ihrem entsetzlich zerfahrenen Charakter nicht gerade die günstigsten Er¬<lb/>
wartungen geweckt. Da muß nun freilich zugestanden werden, daß die Auf¬<lb/>
führung solches Vorurtheil vollständig besiegt hat. Die Oper macht auf alle<lb/>
Fälle den Eindruck eines mit innerer Nothwendigkeit gestalteten organischen<lb/>
Baues, während jene Symphonie sich nur zu sehr als ein willkürliches Ge¬<lb/>
fügt zusammenhangsloser Einfälle kennzeichnet. Originalität aber läßt sich<lb/>
auch dieser Rubinstein'sehen Schöpfung nicht nachrühmen. Zwei Einflüsse, unter<lb/>
sich selbst vielfach verwandt, sind bestimmend für das Ganze gewesen: die<lb/>
Meyerbeer'sche Oper und das Mendelssohn'sche Oratorium. Namentlich<lb/>
bet den Chören, in welche ganz überwiegend der Schwerpunkt gelegt ist, drängt<lb/>
sich diese Wahrnehmung auf Schritt und Tritt aus. Im Uebrigen ist für</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] Pferd zu einer Procedur abzurichten, welche dem Zuschauer den Eindruck macht, als ob es sich in die Flammen stürze, könnte selbst für die höhere Pferdedressur leicht eine unlösbare Frage bleiben. Aber lassen wir dies Alles bei Seite und nehmen wir an, die Aufführung geht aufs Beste von Statten — würde aber nicht das Bayreuther Fest, trotz alles augenblicklichen Erfolges, für Wagner und sein System gradezu eine Niederlage werden, wenn sich eine Wiederholung, eine öftere Wiederholung desselben als unmöglich her¬ ausstellte? Alles wird darauf ankommen, ob dies „Bühnenfestspiel" wirklich das „nationale Drama" ist, welches Wagner mit ihm beabsichtigt hat. Man hat ihm vorgeworfen, daß seine Gestalten weit mehr der nordischen, als der specifisch deutschen Sage entlehnt seien; das würde indeß, bei dem Jneinan- derübergreifen der Mythologien der verschiedenen germanischen Völkerschaften, wenig ins Gewicht fallen. Die Frage des „nationalen" Charakters läuft vielmehr darauf hinaus, ob dies Festspiel ein Besitzthum der gesammten deut¬ schen Nation werden wird. Und da scheint mir die Gefahr nahe zu liegen, daß ein wirkliches Interesse für dasselbe nur in den oberen Zehntausend Platz greifen wird, von allen anderen Bedenken zu schweigen. Doch lassen wir das Prophezeien und warten wir die nicht mehr ferne Entscheidung ab. Fällt sie gegen Wagner aus, so hat er immer noch den Trost: In ma^ins vvluiWv sät estl In der That, der Gedanke ist groß, einzig in seiner Art und macht der deutschen Nation alle Ehre. Auf alle Fälle also: Achtung vor einem solchen Genie! — Als ein anderes hervorragendes musikalisches Ereigniß der letzten Wochen ist die Aufführung von Rubinstein's „Makkabäern" im Opernhause zu nen¬ nen. Der Text dieser Oper ist von Mosenthal im engsten Anschluß an das gleichnamige Drama von Otto Ludwig geliefert, bot also nichts eigentlich Neues. Um so mehr war man auf die Musik gespannt. Eine Oper von Rubinstein war bisher hier nie gehört worden, und die „dramatische Sym¬ phonie", welche er uns vor Kurzem im Concertsaal zum Besten gegeben, hatte mit ihrem entsetzlich zerfahrenen Charakter nicht gerade die günstigsten Er¬ wartungen geweckt. Da muß nun freilich zugestanden werden, daß die Auf¬ führung solches Vorurtheil vollständig besiegt hat. Die Oper macht auf alle Fälle den Eindruck eines mit innerer Nothwendigkeit gestalteten organischen Baues, während jene Symphonie sich nur zu sehr als ein willkürliches Ge¬ fügt zusammenhangsloser Einfälle kennzeichnet. Originalität aber läßt sich auch dieser Rubinstein'sehen Schöpfung nicht nachrühmen. Zwei Einflüsse, unter sich selbst vielfach verwandt, sind bestimmend für das Ganze gewesen: die Meyerbeer'sche Oper und das Mendelssohn'sche Oratorium. Namentlich bet den Chören, in welche ganz überwiegend der Schwerpunkt gelegt ist, drängt sich diese Wahrnehmung auf Schritt und Tritt aus. Im Uebrigen ist für

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/233>, abgerufen am 06.02.2025.