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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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gender Macht, daß es wahrlich nicht Wunder nehmen konnte, wenn das
Publikum unter endlosem Beifall die ganze Scene as, eapv verlangte.

Als dritte Nummer wurde die Schlußscene des letzten Aktes geboten.
Sie umfaßt Brünnhildens Klage und Tod. Auch sie hinterließ einen ge¬
waltigen Eindruck. Die überaus schwierige Partie der Brünnhilde wurde von
Frau Materna aus Wien zwar mit einem häufigen Anfluge unnöthiger
Tremolirens, sonst aber mit bestem Verständniß und höchst anerkennenswerther
Tapferkeit gesungen. Ergreifenderes ist kaum zu denken, als wenn Brünn¬
hilde in den Anblick von Siegfried's Leiche versunken, also klagt:


[Beginn Spaltensatz] Aechter, als er,
schwur keiner Eide;
treuer, als er,
hielt keiner Verträge;
laut'rer, als er,
[Spaltenumbruch]
liebte kein andrer:
und doch alle Eide,
alle Verträge,
die treueste Liebe --
trog keiner wie er!
[Ende Spaltensatz]

Und ein wahrhaft dämonischer Zauber liegt in den letzten Sätzen, als
Brünnhilde sich in rasendem Jubel aus ihr Roß schwingt und dasselbe in
ihres Helden lodernden Scheiterhaufen sprengt. Dann folgt die Schlußkata¬
strophe: die Wiedergewinnung des Nibelungenringes durch die Rheintöchter
und der Untergang Hagens in der Flurs, während am Himmel sich der
Schein des Nordlichtes ausbreitet und der Blick in den Göttersaal sich öffnet.
Die musikalische Begleitung dieser letzteren Wandlung besonders ist von er¬
habener Schönheit.

Richard Wagner kann Berlin mit Befriedigung verlassen. Eine Ansprache,
die er, als der Beifall am Schluß nicht enden wollte, an das Publikum hielt,
schien auch dieser Befriedigung Ausdruck geben zu sollen. Ich habe unter dem
anhaltenden Geräusch einer im Aufbruch begriffenen äußerst zahlreichen Ver¬
sammlung nur ein paar Worte des Dankes verstanden, zugleich etwas von
Zuversicht zu dem Gelingen des Bayreuther Unternehmens. Wer möchte
dem alternden Meister nicht von Herzen gönnen, daß er das Ideal seines
Lebens herrlich verwirklicht sähe! Aber freilich, wenn auch das "Festspiel"
zu Stande kommt, für das "Gelingen" ist keine Garantie geboten. Ich meine
damit nicht eigentlich einen erwünschten Verlauf der nächstjährigen Auffüh¬
rung, wiewohl mir auch dieser noch keineswegs gesichert scheint. Ganz abge¬
sehen von den an die Sänger und Sängerinnen gestellten, fast übermenschlichen
Anforderungen, bleibt mir sehr zweifelhaft, ob die samische Technik selbst in
einem Zeitalter, wo man auf der Bühne, wie gegenwärtig im hiesigen Vic¬
toriatheater, Dampfschiffe explodiren und von den stürmischen Wogen begraben
werden läßt, allen ihr hier gemachten Zumuthungen zu genügen im Stande
sein wird. Auch der souveränen Verfügung über die thierischen Requisiten
dürften sich hie und da unübersteigliche Hindernisse entgegenstellen; z. B. ein


gender Macht, daß es wahrlich nicht Wunder nehmen konnte, wenn das
Publikum unter endlosem Beifall die ganze Scene as, eapv verlangte.

Als dritte Nummer wurde die Schlußscene des letzten Aktes geboten.
Sie umfaßt Brünnhildens Klage und Tod. Auch sie hinterließ einen ge¬
waltigen Eindruck. Die überaus schwierige Partie der Brünnhilde wurde von
Frau Materna aus Wien zwar mit einem häufigen Anfluge unnöthiger
Tremolirens, sonst aber mit bestem Verständniß und höchst anerkennenswerther
Tapferkeit gesungen. Ergreifenderes ist kaum zu denken, als wenn Brünn¬
hilde in den Anblick von Siegfried's Leiche versunken, also klagt:


[Beginn Spaltensatz] Aechter, als er,
schwur keiner Eide;
treuer, als er,
hielt keiner Verträge;
laut'rer, als er,
[Spaltenumbruch]
liebte kein andrer:
und doch alle Eide,
alle Verträge,
die treueste Liebe —
trog keiner wie er!
[Ende Spaltensatz]

Und ein wahrhaft dämonischer Zauber liegt in den letzten Sätzen, als
Brünnhilde sich in rasendem Jubel aus ihr Roß schwingt und dasselbe in
ihres Helden lodernden Scheiterhaufen sprengt. Dann folgt die Schlußkata¬
strophe: die Wiedergewinnung des Nibelungenringes durch die Rheintöchter
und der Untergang Hagens in der Flurs, während am Himmel sich der
Schein des Nordlichtes ausbreitet und der Blick in den Göttersaal sich öffnet.
Die musikalische Begleitung dieser letzteren Wandlung besonders ist von er¬
habener Schönheit.

Richard Wagner kann Berlin mit Befriedigung verlassen. Eine Ansprache,
die er, als der Beifall am Schluß nicht enden wollte, an das Publikum hielt,
schien auch dieser Befriedigung Ausdruck geben zu sollen. Ich habe unter dem
anhaltenden Geräusch einer im Aufbruch begriffenen äußerst zahlreichen Ver¬
sammlung nur ein paar Worte des Dankes verstanden, zugleich etwas von
Zuversicht zu dem Gelingen des Bayreuther Unternehmens. Wer möchte
dem alternden Meister nicht von Herzen gönnen, daß er das Ideal seines
Lebens herrlich verwirklicht sähe! Aber freilich, wenn auch das „Festspiel"
zu Stande kommt, für das „Gelingen" ist keine Garantie geboten. Ich meine
damit nicht eigentlich einen erwünschten Verlauf der nächstjährigen Auffüh¬
rung, wiewohl mir auch dieser noch keineswegs gesichert scheint. Ganz abge¬
sehen von den an die Sänger und Sängerinnen gestellten, fast übermenschlichen
Anforderungen, bleibt mir sehr zweifelhaft, ob die samische Technik selbst in
einem Zeitalter, wo man auf der Bühne, wie gegenwärtig im hiesigen Vic¬
toriatheater, Dampfschiffe explodiren und von den stürmischen Wogen begraben
werden läßt, allen ihr hier gemachten Zumuthungen zu genügen im Stande
sein wird. Auch der souveränen Verfügung über die thierischen Requisiten
dürften sich hie und da unübersteigliche Hindernisse entgegenstellen; z. B. ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/232>, abgerufen am 06.02.2025.