Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.dürftigen Ersatz schaffen. Und dennoch darf gesagt werden, daß die Wirkung Am wenigsten vermochte das erste Fragment, das Vorspiel zur "Götter¬ dürftigen Ersatz schaffen. Und dennoch darf gesagt werden, daß die Wirkung Am wenigsten vermochte das erste Fragment, das Vorspiel zur „Götter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133519"/> <p xml:id="ID_758" prev="#ID_757"> dürftigen Ersatz schaffen. Und dennoch darf gesagt werden, daß die Wirkung<lb/> der drei Bruchstücke selbst hier in dem nüchternen, kalt-kritischen Berlin eine<lb/> unbestritten siegreiche gewesen ist. Man denke nicht, daß der Erfolg wohl<lb/> mehr dem Manne als der Sache gehöre. Wagner's Persönlichkeit hat nichts<lb/> Bestechendes. Absonderlichkeiten, wie der traditionell aus dem Rockschoß her¬<lb/> aushängende rothe Taschentuchszipfel, wirken aus diejenigen Bestandtheile des<lb/> Publikums, welche nicht von der Vergötterungssucht angesteckt find, eher be¬<lb/> fremdend, als anziehend. Nein, es war unverkennbar des Werkes eigener<lb/> Werth, der mit überzeugender Gewalt die Hörer allmählich bis zur hellen<lb/> Begeisterung entflammte.</p><lb/> <p xml:id="ID_759" next="#ID_760"> Am wenigsten vermochte das erste Fragment, das Vorspiel zur „Götter¬<lb/> dämmerung", zu erwärmen. Die Einleitung malt eine nächtliche Scene auf<lb/> felsiger Höhe; die drei Nornen weben und werfen das Seil des Schicksals: —<lb/> es reißt. Die musikalische Begleitung dieses Vorganges ist in ihrer düster-<lb/> klagenden Weise von wunderbarer Tiefe. Aber es brauchte eine Weile, ehe<lb/> die Phantasie des Hörers für diese ferne Welt der Helden und Dämonen<lb/> vollkommen accommodationsfähig geworden war. Und daß der Text diese<lb/> Psychische Präparation nicht erleichtert, ist leider eine bedauernswerthe That¬<lb/> sache. Es kostet immer schon große Anstrengung, sich in den uralten Rhyth¬<lb/> mus hinein zu gewöhnen. Aber wenn es damit nur abgethan wäre! Es<lb/> gesellt sich hierzu eine Verrenkung und Ungelenkigkeit der Satzbildung, die<lb/> auch in den ältesten Dichtungen ihres Gleichen suchen dürfte, — eine Satz¬<lb/> bildung, die dem Dichter vielleicht die Befriedigung der Gelehrsamkeit gewährt<lb/> haben mag, für den Leser und Hörer aber nur eine grausame Quälerei ist.<lb/> Auch mit der ebenso gewissenhaft wie mühsam durchgeführten Alliteration ist<lb/> es nicht anders; die mangelnde poetische Schönheit kann sie nicht ersetzen. —<lb/> Voll und ganz aber schlug das zweite Bruchstück, Siegfried's Tod, durch.<lb/> Der in seliger Verzückung oahinströmende Sterbegesang des Helden, von un¬<lb/> serm Niemann vorgetragen mit der ganzen Inbrunst einer leidenschaftlich be¬<lb/> wegten Seele, war von unwiderstehlicher, tiefergreifender Wirkung. Welch<lb/> eine Fülle ungeahnter Gefühle durchbebt dies jugendfrische Heldenherz, als es<lb/> w „süßem Vergehen", in „seligem Grauen" aus dem Erdenleben dahinscheidet!<lb/> Das unendliche Wogen und Sprießen, die in tausendfältigen Farben funkelnde,<lb/> sinnberückende Pracht der Wagner'schen Polyphonie — hier ist sie in ihrem<lb/> eigensten Element. Fürwahr, das ist das hohe Lied des fröhlichen Helden¬<lb/> todes! In diesem jauchzenden Dahinschweben über das Irtisch-Gemeine, über<lb/> ^eit und Raum, was bleibt da noch von den Schrecken des Sterbens? —<lb/> Und dann, als Siegfried seine Seele ausgehaucht hat, als die Mannen ihn<lb/> auf dem Schilde von dannen tragen, da hebt das Orchester einen Trauerchor<lb/> an, eine Todtenklage und Apotheose zugleich von so elementarer, überwälti-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0231]
dürftigen Ersatz schaffen. Und dennoch darf gesagt werden, daß die Wirkung
der drei Bruchstücke selbst hier in dem nüchternen, kalt-kritischen Berlin eine
unbestritten siegreiche gewesen ist. Man denke nicht, daß der Erfolg wohl
mehr dem Manne als der Sache gehöre. Wagner's Persönlichkeit hat nichts
Bestechendes. Absonderlichkeiten, wie der traditionell aus dem Rockschoß her¬
aushängende rothe Taschentuchszipfel, wirken aus diejenigen Bestandtheile des
Publikums, welche nicht von der Vergötterungssucht angesteckt find, eher be¬
fremdend, als anziehend. Nein, es war unverkennbar des Werkes eigener
Werth, der mit überzeugender Gewalt die Hörer allmählich bis zur hellen
Begeisterung entflammte.
Am wenigsten vermochte das erste Fragment, das Vorspiel zur „Götter¬
dämmerung", zu erwärmen. Die Einleitung malt eine nächtliche Scene auf
felsiger Höhe; die drei Nornen weben und werfen das Seil des Schicksals: —
es reißt. Die musikalische Begleitung dieses Vorganges ist in ihrer düster-
klagenden Weise von wunderbarer Tiefe. Aber es brauchte eine Weile, ehe
die Phantasie des Hörers für diese ferne Welt der Helden und Dämonen
vollkommen accommodationsfähig geworden war. Und daß der Text diese
Psychische Präparation nicht erleichtert, ist leider eine bedauernswerthe That¬
sache. Es kostet immer schon große Anstrengung, sich in den uralten Rhyth¬
mus hinein zu gewöhnen. Aber wenn es damit nur abgethan wäre! Es
gesellt sich hierzu eine Verrenkung und Ungelenkigkeit der Satzbildung, die
auch in den ältesten Dichtungen ihres Gleichen suchen dürfte, — eine Satz¬
bildung, die dem Dichter vielleicht die Befriedigung der Gelehrsamkeit gewährt
haben mag, für den Leser und Hörer aber nur eine grausame Quälerei ist.
Auch mit der ebenso gewissenhaft wie mühsam durchgeführten Alliteration ist
es nicht anders; die mangelnde poetische Schönheit kann sie nicht ersetzen. —
Voll und ganz aber schlug das zweite Bruchstück, Siegfried's Tod, durch.
Der in seliger Verzückung oahinströmende Sterbegesang des Helden, von un¬
serm Niemann vorgetragen mit der ganzen Inbrunst einer leidenschaftlich be¬
wegten Seele, war von unwiderstehlicher, tiefergreifender Wirkung. Welch
eine Fülle ungeahnter Gefühle durchbebt dies jugendfrische Heldenherz, als es
w „süßem Vergehen", in „seligem Grauen" aus dem Erdenleben dahinscheidet!
Das unendliche Wogen und Sprießen, die in tausendfältigen Farben funkelnde,
sinnberückende Pracht der Wagner'schen Polyphonie — hier ist sie in ihrem
eigensten Element. Fürwahr, das ist das hohe Lied des fröhlichen Helden¬
todes! In diesem jauchzenden Dahinschweben über das Irtisch-Gemeine, über
^eit und Raum, was bleibt da noch von den Schrecken des Sterbens? —
Und dann, als Siegfried seine Seele ausgehaucht hat, als die Mannen ihn
auf dem Schilde von dannen tragen, da hebt das Orchester einen Trauerchor
an, eine Todtenklage und Apotheose zugleich von so elementarer, überwälti-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |